Evelyn Glennie
Wohlige Klanglichkeit
von Roland H. Dippel
3. April 2021
Evelyn Glennie versammelt auf ihrer Anthologie Perkussion-Kompositionen von Alexis Alrich, Karl Jenkins, Ned Rorem zum Tagträumen.
Evelyn Glennie ist ein Phänomen nicht nur, weil sie nach einer Beeinträchtigung ihres Gehörs Musik überwiegend durch Vibrationen wahrnimmt. Die Uraufführungsexpertin zahlreicher komplizierter und vertrackter Auftragskompositionen, die über 1800 Percussion-Instrumente unterschiedlicher Größe spiel- und einsatzbereit hält, glänzt seit Jahren auf dem freien Musikmarkt als Soloschlagzeugerin mit immer wieder überraschenden Projekten.
Auf dieser CD finden sich drei unterschiedliche Kompositionen. Bei deren Partituren könnte man den Eindruck gewinnen, dass der musikalische Aufbruch ins dritte Jahrtausend weitaus zahmer, gemäßigter und unaufgeregter vonstattengeht als jener aus dem Fin du siècle in die expressiven Erschütterungen des frühen 20. Jahrhunderts. Percussion-Kompositionen der letzten Jahre standen von Michael Torke bis Philip Glass oft Soundszenarien mit dramatischen Erdbeben und Lufterschütterungen nahe. Diese Anthologie bündelt dagegen drei Werke, die neoklassischer Unverbindlichkeit recht nahekommen und – vor allem Ned Rorem – an seriellen oder anderweitig experimentellen Ereignissen vorsätzlich nicht partizipieren wollen.
Das City Chamber Orchestra of Hong Kong unter Jean Thorel klingt so hell und leicht, als ob es von einer romantischen Spieltradition oder ‑haltung nie etwas gehört hätte. Das schafft akustische Klarheiten, auf denen Evelyn Glennie ihre souveränen Spieltechniken ohne Befürchtungen von eruptiven Überfällen und Kampfeinsätzen ausbreitet. Alexis Alrich kann in ihrem Marimba-Konzert nicht tief genug in den sanft gezeichneten Farbtopf des Orchesters greifen, fast alle Stilausprägungen der letzten Jahre von Minimal- bis Spektralmusik finden sich auf ihrer musikalischen Häppchenplatte. Der Bandmusiker Karl Jenkins entdeckte seine Liebe zur Italianítá in einem recht dunklen Set über Arcangelo Corellis berühmter Folia-Melodie. Ned Rorem bietet der Virtuosin immerhin bravouröse Einwürfe auf Vibrafon, Glockenspiel, Marimba und Xylofon. Das bleibt wie die vorherigen Stücke in einer gläsernen und kristallinen Klanglichkeit, die wohlig ermüdet und leichten Tagträumen förderlich ist. Evelyn Glennie braucht diesmal keine Kanten und Schatten zum musikalischen Glück. Die Wohlfühlmeile wurde mit allen Sicherheitsmaßnahmen von ästhetischen Schreck- und Spannungsmomenten abgeschirmt. Aber man kann sich zurücklehnen und von einer passionierten Könnerin unangestrengt entertainen lassen.