Franz Schubert
»Könnt ich doch den Ausgang finden…«
von Ruth Renée Reif
31. Januar 2022
31 Jahre nur währte sein Leben. Dennoch hinterließ Franz Schubert ein gewaltiges musikalisches Erbe. Am 31. Januar 2022 jährt sich sein Geburtstag zum 225. Mal.
Franz Schuberts Leben wirkt über weite Strecken zutiefst unglücklich. Es war geprägt vom frühen Tod der geliebten Mutter und von einem zerrütteten Verhältnis zum Vater, der einen Sohn nicht einmal aufsuchte, als dieser auf dem Totenbett lag. Krankheiten überschatteten dieses kurze Leben, in dem Schubert weder seine Sexualität leben, noch sich an der Aufführung seiner Werke erfreuen konnte.
Etwa 12 Sinfonien komponierte Schubert. Aufgeführt aber wurde zu seinen Lebzeiten nur die Erste. Schubert hatte sie 1813 im Wiener Stadtkonvikt, wo ihn der Vater dank eines Stiftungsplatzes im Alter von 11 Jahren unterbrachte, zur Geburtstagsfeier des Direktors komponiert. Schubert selbst saß als Geiger im Orchester. Vermutlich aus dem zweiten Jahr im Konvikt stammen Schuberts erste Kompositionen, und mit 14 Jahren schuf er seine ersten Lieder. Auf einen Text von Friedrich Schiller komponierte er die große Gesangsszene Leichenfantasie über einen Vater, dessen Sohn tot ist. Und 1811 vertonte er Der Vatermörder von Gottlieb Konrad Pfeffel. Der Schubert-Biograf Hans-Jürgen Fröhlich schreibt den Gedichten, die Schubert vertonte, von Anfang an Bekenntnischarakter zu.
Faszinierende Komplementärfigur
Ein Konviktskamerad immerhin erkannte Schuberts Talent: Joseph von Spaun. Er war bereits 20 Jahre alt, stammte aus einer wohlhabenden Familie und wurde Schuberts Beschützer im Konvikt und sein erster Mentor. Über Spaun lernte Schubert Johann Baptist Mayrhofer und Franz von Schober kennen. Mit beiden wohnte er zeitweilig zusammen, und beide schrieben Gedichte, die er vertonte. Doch während Mayrhofer aufgrund seiner Homosexualität unter Depressionen litt und Selbstmordversuche unternahm, beschreibt der Autor und Dramaturg Christoph Schwandt, der sich in einem Essay ausführlich mit Schuberts Leben und seiner Homosexualität auseinandersetzt, Schober als „faszinierende Komplementärfigur“ zu Schubert. Dieser sei klein dicklich, wenig attraktiv, nachdenklich, melancholisch und vor allem immer in Geldnöten gewesen. Schober hingegen „sah sehr gut aus, war gewandt, charmant, kommunikativ, vielseitig interessiert und begabt“.
1817 war der Hofopernsänger Johann Michael Vogl im Hause Schober zu Gast. Von den Lieder Schuberts war er sehr beeindruckt. Vor allem die sich entfaltende Beziehung zwischen Text und Ton inspirierte ihn. Schwandt beschreibt Vogl als außergewöhnlich gebildeten Mann, der nicht nur die Alten Sprachen, sondern auch das Englische beherrschte. Als „griechischen Vogel“ bezeichnete Schubert den Sänger. Vogl soll ziemlich affektiert gewesen sein, wie Otto Erich Deutsch, der das Verzeichnis der Werke Schuberts anlegte, schreibt, und „sein Spiel mit der Lorgnette, wenn er neben Schubert am Klavier saß, war etwas kokett“. Als Vogl 1820 im Alter von 52 Jahren seine aktive Bühnenlaufbahn beendete, widmete er sich ganz dem Konzertgesang. Er leitete die große Tradition der Bariton-Liedsänger ein, die bis in die Gegenwart reicht.
An dem Herzen Deiner Liebe wie einen Engel
Wie Schwandt ausführt, gehörte Schubert in Wien einem subkulturellen Kreis homosexueller junger Männer an, in dessen Mittelpunkt Schober stand. 1819 stieß der 15-jährige Moritz von Schwind zu dem Kreis und schloss Freundschaft mit Schubert: „Lieber guter Franz“, schrieb er 1824 in einem Brief. „Du hast Alles so innig umarmt, was in mir ist … Ich sehe mich selbst an dem Herzen Deiner Liebe wie einen Engel … der in deinen Armen ruhig und sanft und ganz Liebe ist.“
1821 trafen die Freunde erstmals bei Schober zu einer Schubertiade zusammen. Wie Schwandt erläutert, sei musiziert und getrunken worden, und es seien mit Neugier neue Stücke gehört worden. Die Männer seien dabei meist unter sich geblieben. Tradiert wurden diese Schubertiaden jedoch in jenem Bild, das Schwind mit seiner Zeichnung Ein Schubertabend bei Ritter von Spaun schuf.
Als Cruiser unterwegs
Die Zeichnung entstand 1865, 40 Jahre nach der letzten, bereits postumen Schubertiade, an der Schwind selbst nicht mehr teilnahm. Auch konnten die abgebildeten Personen nicht beieinander gewesen sein. Sogar die Komtesse Karoline, der Schubert in Zselíz auf dem Esterházy-Schlossgut Klavierunterricht erteilte, ist auf einem Gemälde im Bild zu sehen. Sie gehört zu all jenen Frauen, die die Nachwelt immer wieder mit Schubert in Verbindung brachte, die aber in Schuberts Liebesleben keine Rolle spielten. Auch die Syphilis, mit der er sich ansteckte, holte er sich nicht bei Frauen, sondern auf dem Strich, wo er als Cruiser unterwegs war. Ein erster Schub seiner Krankheit zwang ihn 1823 zu einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt.
Es war eine Idealisierung seiner eigenen wilden Wiener Jahre, die Schwind mit der Zeichnung vornahm, als er selbst bereits ein geachteter akademischer Maler war. Sein aus dem Gedächtnis erstelltes Tableau verklärte und idealisierte Schubert. Wie Schubert tatsächlich aussah, zeigt vermutlich das Porträt von Joseph Eduard Teltscher. Es befand sich im Besitz von Stefan Zweig und liegt sich heute in der British Library.
Anlässlich der 225. Wiederkehr von Schuberts Geburtstag hat das Quatuor Modigliani alle Streichquartette von Schubert eingespielt. Die Geigerin Lena Neudauer und der Pianist Wolfgang Brunner haben alle Violinsonaten von Schubert aufgenommen. Und Howard Arman hat sich mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks den Chorliedern Schuberts zugewandt, während sich die Sopranistin Christina Landshamer und der Pianist Justus Zeyen Liedern von Schubert gewidmet hat. Eröffnet wird das Album mit dem Lied Der Gondelfahrer auf einen Text von Mayrhofer. Schubert vertonte diesen Text zweimal, einmal für Solostimme und einmal für Männerquartett. Das Lied markiert in seiner Düsternis das Ende der Beziehung zu Mayrhofer. Das Lied Sehnsucht, das Schubert als 16-Jähriger auf einen Text Friedrich Schillers komponierte, zog sich durch sein ganzes Leben. Über ein Dutzend Sehnsucht-Lieder komponierte Schubert. Schillers-Text, der mit den Worten beginnt „Ach, aus dieses Tales Gründen, die der kalte Nebel drückt, / Könnt ich doch den Ausgang finden“, komponierte er 1821 noch einmal sogar in drei Fassungen. „Du musst glauben, du musst wagen, / Denn die Götter leihn kein Pfand, / Nur ein Wunder kann dich tragen / In das schöne Wunderland.“
Franz Schubert: „The String Quartets“, Quatuor Modigliani (fünf CDs, Mirare)
Franz Schubert: „Complete Violin Sonatas“, Lena Neudauer, Wolfgang Brunner (Koproduktion mit BR KLASSIK, CPO)
„Schubertiade“, Christina Landshamer, Justus Zeyen, Chor des Bayerischen Rundfunks, Howard Arman (4. Februar 2022, BR KLASSIK)