KlassikWoche 11/2024

Frauen, Schwule und das Salzach in der Suppe 

von Axel Brüggemann

11. März 2024

Eine Grund­satz­de­batte über Regie und Musik, Polemik über zwei Rand­gruppen, Proteste gegen Kultur­strei­chungen und eine Wette auf die Salz­burger Fest­spiele.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit eine Grund­satz­de­batte über Regie und Musik, mit einer Polemik über zwei Rand­gruppen, mit Protesten gegen Kultur­strei­chungen und einer Wette auf die Salz­burger Fest­spiele! 

Prima la musica?

… oder prima le parole? Diese Frage haben ich hier letzte Woche bereits gestellt, als ich über den Unmut des Orches­ters am Staats­theater Kassel berichtet habe: 97 Prozent der Musi­ke­rinnen und Musiker hatten sich gegen eine Vertrags­ver­län­ge­rung von Inten­dant ausge­spro­chen. Unter anderem, weil der seine Regie­kon­zepte angeb­lich über den Wert der Musik stelle. Aber Florian Lutz wurde (wie eben­falls an dieser Stelle vermutet) dennoch bis 2031 vom Land Hessen und der Stadt Kassel verlän­gert. Die grund­sätz­liche Debatte verstummt damit nicht. Ich habe mehrere Anrufe bekommen, in denen Musik­di­rek­to­rinnen und Musik­di­rek­toren mir erklärten, dass die musi­ka­li­sche Seite an vielen deut­schen Häusern vernach­läs­sigt würde und dass die Kommu­ni­ka­tion mit Inten­dan­tinnen und Inten­danten oft schwierig sei. Die GMD-Konfe­renz plant offenbar eine Umfrage zu diesem Thema. Span­nend in diesem Zusam­men­hang ist das sehr aufschluss­reiche Inter­view, das die beiden regie­füh­renden Inten­danten (Musik­Theater an der Wien) und Tobias Kratzer (bald Hambur­gi­sche Staats­oper) in der Süddeut­schen gegeben haben. Während Herheim auch deshalb Inten­dant geworden ist, um ideale Voraus­set­zungen für einen krea­tiven Opern-Prozess im Team aus Regie und Musik zu schaffen, gibt Kratzer sich durchaus selbst­kri­tisch: „Im Regie­theater inter­pre­tiert man dieselben zehn bis vierzig Stücke perma­nent neu. Das hat einer­seits eine Schön­heit fast wie mit den Büchern der Bibel. Es gibt ihre alltäg­lich sonn­täg­liche Neuin­ter­pre­ta­tion. Das zeigt immer einen Stand der Debatte oder der Gesell­schaft. Ande­rer­seits denkt man aber auch an Karl Valentin: ‚Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem.‘ Das trifft den Beruf des Opern­re­gis­seurs manchmal auch ziem­lich genau.“ Es wird an vielen Häusern in Zukunft wohl wieder darum gehen, die Lust am gemein­samen Neudenken von Oper durch Musik und Szene neu zu beleben. 

Keine Frauen, überall nur Schwule!

Gut gemeinte Soli­da­rität kann auch nach hinten losgehen. Das hat ein Lese­rinnen-Kommentar bei BR-Klassik diese Woche eindrucks­voll bewiesen. Auf einen Text der Jour­na­listin Antonia Morin zum Frau­entag kriti­sierte „Suggia“, dass es zu wenig Frauen in der Klassik-Kritik gäbe. Dabei wurde von der „Zeit“ und Judith von Stern­burg von der „Frank­furter Rund­schau“ kurzer­hand als „Alibi­f­rauen“ einsor­tiert, um dann sofort das nächste Fett­näpf­chen anzu­steuern: „Sie sind halt auch nicht so gut vernetzt wie schwule Opern­freaks“, heißt es in dem Kommentar. Abge­sehen davon, dass es durchaus legitim ist, sich mehr Frauen in der Kritik zu wünschen (und auch aktiv zu fördern), erscheint es doch kontra­pro­duktiv, jene Frauen, die schon ange­kommen sind, als „Alibi­f­rauen“ abzu­stem­peln, sie gleich­zeitig gegen Schwule auszu­spielen und dann auch noch die Augen vor vielen anderen Frauen, die bereits erfolg­reich den Diskurs mitbe­stimmen, zu verschließen. Nur Mal auf die Schnelle aus der männ­li­chen Hüfte geschossen: Julia Spinola, Shirley Apthorp, Julia Kaiser, Susann El-Kassar, Susanne Benda, Maria Gnann, Ida Hermes oder Hannah Schmidt … ganz zu schweigen von den sehr guten Kultur-Ressort­lei­te­rinnen großer deut­scher Zeitungen, etwa Katrin Sohns beim „Tages­spiegel“ oder Chris­tine Käppeler beim „Freitag“. (in einer vorhe­rigen Version dieses Textes hieß es, dass der Kommentar von Frau Morin stamme, das ist natür­lich falsch. Ich entschul­dige mich.)

Quo vadis Salz­burg? 

Die Bewer­bungs­frist ist abge­laufen, die Hearings sollen noch im März statt­finden, mit einer Entschei­dung wird im April gerechnet. Wird Inten­dant der Salz­burger Fest­spiele bleiben, oder wird jemand anderes den anste­henden Umbau orga­ni­sieren und endlich wieder frische Luft und neue Begeis­te­rung an die Salzach bringen? Offen­sicht­lich gab es nur acht Bewerber, drei aus Öster­reich, nur eine Frau. Namen und Gerüchte kursieren seither: In Berlin fällt immer wieder der Name – ich halte es für unwahr­schein­lich, dass er sich über­haupt beworben hat. von der Mailänder Scala wäre sicher­lich inter­es­siert, das wird auch von den Oster­fest­spielen nach­ge­sagt. Matthias Schulz wird erst einmal von Berlin nach Zürich ziehen, unwahr­schein­lich, dass er nach kurzer Zeit schon wieder weiter nach Salz­burg geht, eher vorstellbar wäre das von Serge Dorny, dem derzei­tigen Inten­danten der Baye­ri­schen Staats­oper – es wäre ein kurzer Weg. Unwahr­schein­li­cher wäre wohl die Wahl von Stutt­garts Inten­dant . Bleibt am Ende doch alles beim Uralten? Etwa drei weitere Jahre für Markus Hinter­häuser? Dann wäre er 70. Das wäre sicher­lich die abso­lute Mutlos-Lösung und eine weitere, sehr lange, blei­erne Zeit für die schon jetzt müden Fest­spiele. Aix en Provence zieht mit Meilen­stie­feln davon. Aber unwahr­schein­lich ist das bei der Salz­burger Mutlos-Politik nicht. Die Probleme der Ära Hinter­häuser beleuchte ich noch einmal in diesem Video. 

Junge Grüne gegen Wagner und Strauss-Straßen 

Wer diesen News­letter kennt, weiß, dass ich durchaus dafür bin, Kultur­schaf­fende auch mora­lisch zu hinter­fragen, sowohl im Heute, als auch im histo­ri­schen Rück­blick. Es gehört zur Geschichte, auch den gesell­schaft­li­chen Kompass neu zu justieren und histo­ri­sche Äuße­rungen einzu­ordnen, zu kommen­tieren und zu thema­ti­sieren. Doch was Hessens Grüne Jugend da nun fordert, ist genau das Gegen­teil. Die Akti­visten wollen unter anderem Stra­ßen­namen von oder umbe­nennen, da beide Kompo­nisten sich anti­se­mi­tisch geäu­ßert hätten. Doch Namen einfach auszu­ra­dieren, verhin­dert auch unsere Ausein­an­der­set­zung mit ihrem Schaffen, ihrem Welt­bild und ihrer Einord­nung ins Heute. So wird ein histo­ri­scher Diskurs nicht thema­ti­siert, sondern tabui­siert. Das sorgt nicht nur bei Histo­ri­kern der Gegen­wart für Kritik, sondern könnte auch bei Akti­visten der Zukunft für Unmut sorgen. 

Proteste gegen Kürzungen in Bayern

In einem Inter­view über „Gott und die Welt“, spricht Bariton über die Pandemie, die Rolle der Kultur in der Öffent­lich­keit und die Baye­ri­sche Schul­po­litik. Er kriti­siert „die gera­dezu scham­losen Versuche der Baye­ri­schen Staats­re­gie­rung seit Jahr­zehnten, die Kultur als etwas Obso­letes, als ‚Salz auf der Breze‘ zu charak­te­ri­sieren“. Auch 28 Künst­le­rinnen und Künstler haben nun gegen das Vorhaben des baye­ri­schen Kultur­mi­nis­te­riums protes­tiert, Musik, Kunst und Werk­un­ter­richt zusam­men­zu­legen (ich habe das letzte Woche in einem Video kommen­tiert). Die Staats­re­gie­rung, heißt es in dem Schreiben, wolle ihrem „schon längst realen Unver­mögen“, der krea­tiven Erzie­hung der Schüler ange­messen nach­zu­kommen, nun „eine gesetz­liche Grund­lage“ geben. Das Vorhaben sei der „offene Versuch, die Künste als verzicht­bare Neben­sache zu erklären“. Das seien „Kürzungen am völlig falschen Ort“. Zu den Unter­zeich­nenden gehören unter anderen und . Eine Peti­tion hat inzwi­schen fast 200.000 Unter­schriften gesam­melt. Und dennoch: außer­halb der Musik-Bubble bleibt der Aufschrei ziem­lich leise. Haben wir unsere Kunst viel­leicht doch etwas zu sehr in die Nische geführt? 

Perso­na­lien der Woche

Der Diri­gent wünsche sich eine Oper über Alexei Nawalny. Er sei ein Ideal der Frei­heit und ein moderner Märtyrer. Jede künst­le­ri­sche Aktion, die sich gegen die Verhält­nisse in Russ­land ausspreche, sei ein Angriff auf Putins System: „Ich sehe meine Tätig­keit persön­lich inzwi­schen auch als eine Form des poli­ti­schen Kampfes“, so Jurowski weiter. +++ Tenor , dem in Covent Garden sexu­elle Über­griffe vorge­worfen wurden, kündigte nun an, ein Recital in Moskau zu geben. „Der letzte Fluchtort“, kommen­tierte Norman Lebrecht, „fragt Domingo!“ ++++ „Wunden und Wunder“ ist das Motto der Salz­burger Oster­fest­spiele 2025, und man kann sich durchaus auch über das Programm wundern, das Inten­dant Niko­laus Bachler aufge­stellt hat, bevor die Berliner Phil­har­mo­niker 2026 an die Salzach zurück­kehren: Die Oper „Chowanscht­schina“ und einige Konzerte mit und dem finni­schen Radio­or­chester, außerdem kommen das Mahler Chamber Orchestra, das Mozar­te­u­mor­chester und Gianan­drea Noseda und Tabita Berg­lund. +++ Das Label Chandos wurde gerettet. Chandos-Chef Ralph Couzens erklärte, dass er im Amt bleibe und sein Label von Naxos-Chef gekauft wurde. „Die Marke soll mit glei­cher Leiden­schaft und Liebe zum Detail weiter­ge­führt werden“, erklärte Couzens. Chandos hat einen Katalog von über 3000 Aufnahmen, unter anderen mit Mariss Jansons oder . +++ Lucas Reuter wird neuer künst­le­ri­schen Leiter der Ludwigs­burger Schloss­fest­spiele. Der 40-jährige Musik- und Thea­ter­wis­sen­schaftler, der bereits seit 2011 die Spiel­zeit im Forum am Schloss­park Ludwigs­burg leitet, wird die künst­le­ri­sche Verant­wor­tung vom eher erfolg­losen Jochen Sandig über­nehmen. +++ Das Tiroler Landes­theater bekommt ab September 2024 einen neuen Chef­di­ri­genten: Gerrit Prieß­nitz wird der Musik­thea­ter­sparte des Tiroler Landes­thea­ters ab Sommer musi­ka­lisch vorstehen. 

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier. Die Oper im Ukrai­ni­sche Kharkiv spielt wieder! Die Stadt liegt nur 40 Kilo­meter von der russi­sche Grenze entfernt und ist unter Dauer­be­schuss. Lange waren öffent­liche Versamm­lungen nicht möglich, nun ist die Oper in den Unter­grund gezogen und spielt im Bunker. „Wir wollen Kharkivs kultu­relles Leben zurück­bringen“, sagt er Gene­ral­inten­dant Ihor Touluzov, „gerade in diesen schweren Zeiten ist die Nach­frache nach Kultur beson­ders groß.“ 

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

P.S: die großen Themen der Klassik-Woche debat­tiere ich auch dieses Mal wieder im Podcast „Alles klar, Klassik?“ mit Doro­thea Gregor von der Stif­tung (hier für alle Player, unten für Spotify).