Javanische Gamelan

Zum Urgrund des Seins

von Ruth Renée Reif

30. November 2018

Einst als koloniales Raubgut nach Europa gelangt, begeistert das jahrhundertealte javanische Gamelan heute mit archaischer Pracht.

Das Gamel­an­spiel erfreut sich hier­zu­lande wach­sender Beliebt­heit. Von den über 80 Game­lan­gruppen in Europa wirken rund 20 in . Museen und Ensem­bles veran­stalten Work­shops und Festi­vals. Kompo­nisten lassen sich vom klang­li­chen Reiz der bron­zenen Schalen und Gongs inspi­rieren, und Univer­si­täten suchen das Phänomen wissen­schaft­lich zu fassen.

Das berühmte unga­ri­sche Percus­sion-Ensemble Amad­inda stellt Gamelan-Musik aus Java, Sunda und Bali vor.

Das java­ni­sche Gamelan ist ein Ensemble von Schlag­in­stru­menten, das einen Tonraum von sechs Oktaven umspannt. Seine Faszi­na­tion liegt neben dem vollen und lang­an­hal­tenden Klang, der die Spieler umhüllt und trägt, in seiner magi­schen Kraft. Das Gamelan ist kein toter Gegen­stand. Es besitzt eine Seele und trägt einen Namen. Die Game­l­an­tra­di­tion kennt Stücke, die ein ganzes Menschen­leben symbo­li­sieren von der Kind­heit bis zum Alter, darge­stellt in einer langsam abfal­lenden Bewe­gung, die wie in einem Traum Jugend und Leben spie­gel­bild­lich wieder­holt, um am Ende in die Tiefe zu stürzen. Während des Spiels voll­zieht sich ein geistig-seeli­scher Prozess, der zu Gelas­sen­heit und innerer Harmonie führt. Darin liegt auch der tradi­tio­nelle Sinn des Gamel­an­spiels, sich verbunden zu fühlen mit dem Urgrund des Seins. Das Spiel des Gamelans ist eine Kollek­tiv­kunst. Jeder spielt nach bestem Wissen, Können und Empfinden.

Ein Großer Gamelan besteht aus zwei in sich geschlos­senen Ensemb­le­hälften. Die eine ist im soge­nannten Sléndro gestimmt, einem Tonsystem, das inner­halb einer Oktave fünf Tonstufen in gleich­großen Inter­vallen enthält und einen strah­lenden Klang­cha­rakter aufweist. Die Stim­mung der anderen Hälfte wird Pélog genannt. Sie glie­dert die Oktave in sieben Tonstufen, deren Inter­valle unter­schied­lich groß sind, und erzeugt einen ernsten melan­cho­li­schen Klang. Die Instru­mente sind so aufein­ander abge­stimmt, dass Reibungen und Schwe­bungen entstehen, was ihnen Leben­dig­keit verleiht. Umge­stimmt können sie nicht werden. Daher ist jeder Typ in mindes­tens zwei Exem­plaren vorhanden, die im rechten Winkel zuein­ander vor dem Spieler stehen. Gespielt wird immer nur eine Gamelan-Hälfte. Im Zentrum stehen die Trom­meln. Der Trommler ist der musi­ka­li­sche Leiter des Ensem­bles. Unter­stützt wird er von verschie­denen Einzel­gongs, deren Schläge die Gerüst­me­lodie glie­dern. Am Rande einzelner Melo­die­ab­schnitte ertönt der Große Gong, die hinaus­sendende und heim­ho­lende Kraft. Vor den Gongs sind die Träger der Gerüst­me­lodie plat­ziert, die Metall­stabspiele sowie Gong­spiel, Xylofon und Kasten­zi­ther zur Verdich­tung der Melodie. Vermut­lich verschmolzen im Großen Gamelan zwei Gamelans, die bei Auftritten des Herr­schers außer­halb und inner­halb des Palastes gespielt wurden. Daraus entstanden zwei Stile: der Bonangan-Stil, der sich durch große Laut­stärke und harte Schläge auszeichnet und der Klenèngan-Stil, bei dem die Instru­mente nur sanft ange­schlagen werden.

Gamelan, Elbphilharmonie
Aus dubioser Herkunft: das Gamelan der Elbphil­har­monie

Nach Europa gelangten die Gamelans als kolo­niales Raubgut. Der briti­sche Gouver­neur von Java Thomas Stam­ford Raffles kehrte 1816, als Java wieder an Holland fiel, mit einer 30 Tonnen schweren Samm­lung, in der sich ein komplettes Game­l­enset befand, nach London zurück. Die Samm­lung kam nach seinem Tod ans British-Museum. Auch das Gamelan des Pariser Konser­va­to­riums, das 1888 auf der Welt­aus­stel­lung vorge­führt wurde und sich heute in der Cité de la musique befindet, stammte von „einem hohen Funk­tionär der Verwal­tung“ Nieder­län­disch-Indiens, wozu Indo­ne­sien damals gehörte. west­liche Werk über das Gamelan verfasste der Musik­eth­no­loge Jaap Kunst 1924 nach Feld­for­schungen in Indo­ne­sien. Zu einer brei­teren Bekannt­heit trug 1928 die Schall­plat­ten­serie Musik des Orients der Berliner Firma Carl Lind­ström bei, die eine Gamelan-Aufnahme aus Java enthielt.

Paul Gutama Soegijo nahm beim Jakarta-Berlin Arts Festival im Berliner Admi­rals­pa­last seinen Abschied von der Bühne.

Seit den 1950er-Jahren wird das Gamel­an­spiel im Westen auch prak­ti­ziert. Eine regel­rechte Blüte erfährt es seit etwa zwei Jahr­zehnten. Die alte Tradi­tion zeigt sich lebendig und anre­gend und ebenso bereit für musi­ka­li­sche Einflüsse wie für die Einbin­dung weiterer Instru­mente. Slamet Abdul Sjukur, der in Paris bei und studierte und als Grün­der­vater der zeit­ge­nös­si­schen indo­ne­si­schen Musik gilt, kompo­nierte 2004 GAME-Land in Erin­ne­rung an Ton de Leeuw, der als einer der ersten west­li­chen Kompo­nisten für Gamelan schrieb. Der Klang­künstler Philemon Mukarno konzi­pierte 2001 Demam für Gamelan und Elek­tronik. Auch Paul Gutama Soegijo, der bei in Berlin studierte, und Iwan Gunawan, der wich­tigste zeit­ge­nös­si­sche Kompo­nist West­javas, suchen nach Wegen, dem Gamelan in Verbin­dung mit west­li­cher Musik eine neue aufre­gende Zukunft zu beschere.

Fotos: Maxim Schulz