Sophie Pacini
Goldene Tropfen
5. Juni 2018
Pianistin Sophie Pacini über ihr musikalisches Schlüsselerlebnis, die Liebe von Clara und Robert Schumann und Pasta mit Martha Argerich.
Pianistin Sophie Pacini über ihr musikalisches Schlüsselerlebnis, die Liebe von Clara und Robert Schumann und Pasta mit Martha Argerich.
crescendo: Auf der Rückseite des Covers zu Ihrem neuen Album flattern Sie in gelbem Kleid auf dem Wasser. Was ging in Ihnen vor? Schließlich stürzte sich ja Robert Schumann in den Rhein …
Sophie Pacini: Nein, an seinen Selbstmordversuch habe ich nie gedacht. Seine Abgründe, Hoffnungslosigkeit, Zerrissenheit wie sein Streben nach vollkommener Harmonie kommen besonders in den Werken, die ich für das Album wählte, so deutlich zum Ausdruck, dass es keiner optischen Unterstreichung bedarf. Das Schweben im Wasser bedeutet für mich Leichtigkeit, Transparenz, Grenzenlosigkeit und Gleichgewicht.
Musik von Verwandten und Wahlverwandten gibt es auf Ihrem Album zu hören. Das Ehepaar Schumann, die Geschwister Mendelssohn …
Inspiriert zu diesem Konzept wurde ich von Chiarina, jenem Stück aus dem Carnaval von Robert Schumann, in dem er schmerzlich expressiv seine Clara porträtiert. Das war der Anlass, mich mit ihr als ganzer Künstlerpersönlichkeit zu beschäftigen. Ich wollte – um mit Rainer Maria Rilkes „Liebeslied“ zu sprechen – herausfinden, wie ihre „zwei Saiten sich zu einer Stimme ziehen“, welche „Tiefen“ bei Robert „schwingen“, wenn es um Clara geht. Fündig wurde ich bei Claras aufwühlendem, quälendem Scherzo. Es erinnert sehr an Chiarina und an die zwei Stücke aus Roberts op. 12 Des Abends und In der Nacht. Und von …
… Franz Liszt …
… spiele ich seine Bearbeitung von Schumanns Widmung. Liszt war befreundet mit dem Ehepaar Schumann. Seine h‑Moll Sonate widmete er Robert Schumann, während Clara seine Paganini-Etüden, deren Widmungsträgerin sie auch war, erstmals aufführte. Clara war eine große Virtuosin, aber nicht von oberflächlicher Natur. Ihre Kunst stand im Dienst des Ausdrucks, das ist an der Beschaffenheit ihres Werkes klar zu erkennen. Sie ließ sich aber auch gerne von den Werken ihrer Zeitgenossen inspirieren, die sie „in den Fingern hatte“, wie zum Beispiel Chopin. Diese gegenseitige Inspiration ist ja bei allen Komponisten zu finden. Es ist immer sehr erquickend, auf die Suche nach Parallelen zu gehen …
„Das Schweben im Wasser bedeutet für mich Leichtigkeit, Transparenz, Grenzenlosigkeit und Gleichgewicht“
… wie zwischen den Geschwistern Mendelssohn.
Bei Fanny und Felix merkt man ganz klar, dass Fanny mit ihrem avantgardistischen Kompositionsstil und ihrem Wesen Felix sehr geprägt und angespornt hat. Der Werkbegriff „Lied ohne Worte“ wurde übrigens von Fanny erfunden. Und Heine beschrieb sie bei einem seiner Besuche im Hause der Mendelssohns als ein strahlendes „ganz und gar liedhaftes Wesen“. Auch wenn Felix sich in der Öffentlichkeit nie dafür einsetzte, dass seine Schwester als bedeutende Musikerin wahrgenommen wurde, war er ihr größter Bewunderer und gab ihr oft seine Werke zur Komplettierung, auch wenn dann manche ihrer Werke gar unter seinem Namen veröffentlicht wurden. Letztlich eine innige Liebe und inspirierende Kraft.
Nietzsche fand übrigens, dass Schumann von „kleinem Geschmack“ war und einen „gefährlichen (sehr deutschen) Hang zur stillen Lyrik und Trunkenboldigkeit des Gefühls“ hatte. Und deshalb „nur noch ein deutsches Ereignis“, aber kein europäisches wie Beethoven mehr wurde.
Da antworte ich mit einem Zitat Gustav Mahlers, das ich in einem Essay von Peter Gülke gefunden habe: „Unter dem ganzen Heere der Nachbeter, die sich bis heute nicht entblöden, Schumann von oben herab zu behandeln und zu belächeln, hat Wagners Irrtum und heftige Parteilichkeit bedauerlichen Schaden angerichtet“.
„Der Flügel war für mich immer mein bester Freund. Er, dieser große schwarze, elegante Panther und ich fanden instinktiv den Weg zueinander“
Zurück zu Ihnen. Sie wuchsen in der Nähe von München auf.
Ja. Meine Mutter ist Internistin, mein Vater Professor für italienische Literatur. Sie lieben Musik sehr. Mit ihrem ersten Verdienst schenkte meine Mutter meinem Vater ein Klavier in der Hoffnung, er beginne wieder zu spielen. Mein Vater am Klavier … Dieses Bild gehört zu meiner Kindheit.
Entschieden Sie sich deshalb, Pianistin zu werden?
Der Flügel war für mich immer mein bester Freund. Er, dieser große schwarze, elegante Panther und ich fanden instinktiv den Weg zueinander. Mit acht Jahren nahm ich an einem Wettbewerb teil. Für das Finale im Herkulessaal durfte ich an einem großen Steinway-D-Flügel spielen. Ich konnte das Instrument kaum überblicken, kam gerade mal so an das Pedal. Ich spielte den zweiten Satz aus der F‑Dur Mozartsonate KV 280. Da gibt es eine Stelle, an der zum verminderten Akkord oben ein Des erklingt. Für mich der goldene Ton. Am kleinen Klavier zu Hause klang er ganz nett, aber dort wurde er zum goldenen Tropfen. Plötzlich umgab mich ein warmes Gefühl, weil ich spürte, ich kann richtig formen! Und einen Ton erklingen lassen, so wie ich ihn mir vorstellte! Das war mein Schlüsselmoment.
Unvergesslich sind auch die Begegnungen mit Martha Argerich.
Klar! Als Kind hatte ich sie im Radio gehört, später kaufte ich ihre Aufnahmen und ging in ihre Konzerte. Eines fand im Gasteig statt. Ich wollte unbedingt hinter die Bühne und schaffte es auch. Sie lächelte mich an, vielleicht weil ich sehr zurückhaltend war und mich nicht aufdrängte. Als ich 18 war, traf ich sie wieder. Wir verbrachten die Sommerferien in Pietrasanta, dem Geburtsort meines Vaters, und erfuhren, dass sie ein Konzert geben würde.
Ich tat alles, um ihr vorzuspielen. Sie erinnerte sich an mich, hörte mich an, und ihre große Begeisterung war der Anbeginn einer innigen Freundschaft und der Ritterschlag, den ich brauchte, um diesen Beruf mit Mut, Selbstvertrauen und einem Glanz in den Augen vollends einzuschlagen. Bei mir daheim in München gibt’s dann mit ihr Pasta und Musik – einfach, direkt und ohne Äußerlichkeiten.