Peter Petersen
Faktenfülle und inhaltliche Tiefe
von Roland H. Dippel
21. Oktober 2022
Peter Petersen erschließt mit seinem Handbuch den Werkkosmos Hans Werner Henzes und gibt eine umfassende Darstellung von dessen Œuvre.
Der Henze-Kenner Peter Petersen fasste seine Beiträge für das Loseblatt-Lexikon Komponisten der Gegenwart zu einem Handbuch und Musikführer zusammen. Schade, dass es nicht mehrere Kompendien gibt, die wie dieses komplexe, vielschichtige und weitgreifende Œuvres von Komponierenden der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit erschließen. Petersen gliederte das kompositorische Vermächtnis des 1926 geborenen und 2012 verstorbenen Hans Werner Henze nach Bühnenwerken, Vokalwerken, Orchesterwerken und Kammermusik. Dadurch ergeben sich Querverweise zwischen Entstehungszeiten, Werkgattungen und Themenfeldern. Die Schöpfungen und Schriften des überaus belesenen Henze waren häufig durch Literatur und Menschen inspiriert – von Euripides bis zu führenden Autoren des 20. Jahrhunderts wie Ingeborg Bachmann, Edward Bond, Hans Magnus Enzensberger und Hans-Ulrich Treichel.
Die für Lexikonartikel gebotene Sachlichkeit kommt der Faktenfülle und inhaltlichen Tiefe zugute. Es unterbleiben alle Apologien. Petersens hohe Wertschätzung für Henzes kompositorisches Vermächtnis ist dennoch immer erkennbar. Es wird deutlich, dass Henze eine weitaus größere Affinität zu Zwölftontechniken hatte, als man von ihm, den man für einen am Wohlklang orientierten Gegner Donaueschingens und Darmstadts hielt, vermutet. Vor allem nach Henzes Flucht aus dem restriktiven moralischen Klima des westdeutschen Wirtschaftswunders in das von ihm als freigeistiger wahrgenommene Italien zeigte sich in seinem Schaffen zunehmend deutlich die Prägung durch persönliche Erfahrungen als Sozialist und Homosexueller. Henze-Neulinge erhalten eine umfassende Darstellung des Gesamtwerks eines der meistgespielten deutschen Komponisten Neuer Musik und Gründers der Münchener Biennale für Neues Musiktheater. Kennern erschließt sich eine Fülle von Wechselbeziehungen zwischen den Werken. Kleine Lässlichkeit: Es fehlt ausgerechnet Henzes letzte Oper Gisela! oder: Die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks (Uraufführung: 2010 Ruhrtriennale, Gladbeck).