7.6.1960
Köln
Schloss Brühl
Eröffnung der Internationalen Meisterkurse der Staatl. Hochschule für Musik
Hans Werner Henze, Komponist

Peter Petersen

Fakten­fülle und inhalt­liche Tiefe

von Roland H. Dippel

21. Oktober 2022

Peter Petersen erschließt mit seinem Handbuch den Werkkosmos Hans Werner Henzes und gibt eine umfassende Darstellung von dessen Œuvre.

Der Henze-Kenner Peter Petersen fasste seine Beiträge für das Lose­blatt-Lexikon Kompo­nisten der Gegen­wart zu einem Hand­buch und Musik­führer zusammen. Schade, dass es nicht mehrere Kompen­dien gibt, die wie dieses komplexe, viel­schich­tige und weit­grei­fende Œuvres von Kompo­nie­renden der Gegen­wart und der jüngsten Vergan­gen­heit erschließen. Petersen glie­derte das kompo­si­to­ri­sche Vermächtnis des 1926 gebo­renen und 2012 verstor­benen nach Bühnen­werken, Vokal­werken, Orches­ter­werken und Kammer­musik. Dadurch ergeben sich Quer­ver­weise zwischen Entste­hungs­zeiten, Werk­gat­tungen und Themen­fel­dern. Die Schöp­fungen und Schriften des überaus bele­senen Henze waren häufig durch Lite­ratur und Menschen inspi­riert – von Euri­pides bis zu führenden Autoren des 20. Jahr­hun­derts wie Inge­borg Bach­mann, Edward Bond, Hans Magnus Enzens­berger und Hans-Ulrich Trei­chel.

Die für Lexi­kon­ar­tikel gebo­tene Sach­lich­keit kommt der Fakten­fülle und inhalt­li­chen Tiefe zugute. Es unter­bleiben alle Apolo­gien. Peter­sens hohe Wert­schät­zung für Henzes kompo­si­to­ri­sches Vermächtnis ist dennoch immer erkennbar. Es wird deut­lich, dass Henze eine weitaus größere Affi­nität zu Zwölf­ton­tech­niken hatte, als man von ihm, den man für einen am Wohl­klang orien­tierten Gegner Donau­eschin­gens und Darm­stadts hielt, vermutet. Vor allem nach Henzes Flucht aus dem restrik­tiven mora­li­schen Klima des west­deut­schen Wirt­schafts­wun­ders in das von ihm als frei­geis­tiger wahr­ge­nom­mene Italien zeigte sich in seinem Schaffen zuneh­mend deut­lich die Prägung durch persön­liche Erfah­rungen als Sozia­list und Homo­se­xu­eller. Henze-Neulinge erhalten eine umfas­sende Darstel­lung des Gesamt­werks eines der meist­ge­spielten deut­schen Kompo­nisten Neuer Musik und Grün­ders der Münchener Bien­nale für Neues Musik­theater. Kennern erschließt sich eine Fülle von Wech­sel­be­zie­hungen zwischen den Werken. Kleine Läss­lich­keit: Es fehlt ausge­rechnet Henzes letzte Oper Gisela! oder: Die merk- und denk­wür­digen Wege des Glücks (Urauf­füh­rung: 2010 Ruhr­tri­en­nale, Glad­beck).

Fotos: Bundesarchiv