Harry Belafonte
»Ich beschäftige mich nicht mit dem Leben nach dem Tod«
von Rüdiger Sturm
26. April 2023
Harry Belafonte starb im Alter von 96 Jahren. An der Seite von Martin Luther King engagierte er sich in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. In einem Gespräch vor einigen Jahren blickte er zurück auf Menschen, die sein Leben prägten.
Am 25. April 2023 starb mit Harry Belafonte einer der legendären Sänger des 20. Jahrhunderts. In einem bislang unveröffentlichten Exklusivinterview vor einigen Jahren sprach er über seine spirituelle Entwicklung, seine Sicht auf die Sterblichkeit und die Menschen, die sein Leben und seine Überzeugungen prägten.
CRESCENDO: Mr. Belafonte, Sie strahlen sehr viel Heiterkeit und Positivität aus. Aber im Lauf Ihres Lebens wurden Sie immer wieder mit verschiedenen Formen der Diskriminierung konfrontiert. Wie haben Sie diese Erfahrungen bewältigt?
Harry Belafonte: Es gibt immer noch Momente, in denen ich Wut in mir verspüre. Aber die Zeiten, in denen ich meine Wut auch körperlich ausgelebt habe, sind lange vorbei. Wobei die Gewalt, die ich selbst erfahren habe, nicht nur mit Rassismus zu tun hatte. Ich war überall umgeben davon. Mein Vater war Alkoholiker und entsprechend gewalttätig. Bedingt durch diese Erfahrungen habe ich mich selbst immer wieder geprügelt. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg begann ich nach Auswegen zu suchen, mit denen ich das alles hinter mir lassen konnte. Diese Suche führte mich in Bereiche, die sofort Lösungen brachten – zum Beispiel das Theater. Als ich reifer wurde, lernte ich Menschen kennen, die zu meinen Mentoren wurden. Ganz besonders Dr. Martin Luther King. Er war die einflussreichste Person in meinem Leben, die mir eine Philosophie der Gewaltlosigkeit vermittelte, durch die ich meine Wut konstruktiv verarbeiten konnte.
»Martin Luther King war ein fast mystisches Erlebnis«
Wie genau hat er sie Ihnen vermittelt?
Interessanterweise habe ich ihn am Anfang nicht so richtig verstanden. Ich habe ihn geliebt, aber er war auch ein Kuriosum für mich. Doch ich wollte ihn eben begreifen, und ich habe extrem viel davon gelernt, wie er seine eigenen Erfahrungen und seine Angst verarbeitet hat – zum Beispiel nach dem Bombenanschlag auf sein Haus. Ich erkannte eine unglaubliche Kraft in dem, was er tat und wie er es tat. Ich habe so etwas bei keinem anderen Menschen erlebt. In unserer Gesellschaft neigen wir dazu, Gewalt zu romantisieren, wir feiern das Machotum – aber all das war ausgelöscht, als ich ihn gesehen habe. Und ich versuchte, mich ähnlich zu verhalten, und habe erkannt, welch enorme Wirkung das auf andere Menschen hat. Es war ein fast mystisches Erlebnis.
Sind Sie religiös?
Nicht im konfessionellen Sinne. Ich wurde katholisch erzogen und habe die ersten Stufen der Sakramente erhalten. Aber mir wurde eingebläut, dass ich für den Tod Christi verantwortlich sei. Und diese Schuld hat mich die ganze Zeit bedrückt – bis ich 16 war und selbst entscheiden konnte. So entschloss ich mich, die Kirche zu verlassen. Eine Rolle spielte dabei auch das Verhalten meiner Mutter. Sie war eine Bauersfrau und tief gläubig. Sie wurde regelrecht von ihrem Glauben aufgezehrt. Sie hat viel in ihrem Leben durchgemacht, aber sie sagte sich immer, sie würde dafür eines Tages an einem schönen Ort auferstehen. Aus meiner Sicht hat das keinen Sinn gemacht. Warum sollte man sich dann noch gegen Ungerechtigkeiten auflehnen?
Doch Sie haben auch viele Spirituals gesungen und vertreten hohe moralische Werte. So gesehen, scheinen Sie eine Affinität zu Glaubensvorstellungen zu haben.
Ich habe nie den Glauben an einen Schöpfer verloren, und ich finde es wichtig, den Menschen moralische Überzeugungen zu vermitteln. Menschen wie Dr. King oder Eleanor Roosevelt, die ich auch sehr bewunderte, haben sich stets moralisch verhalten. Aber dafür braucht man keine organisierte Religion. Dr. King hat immer darauf hingewiesen, dass Jesus auch keine Kirche hatte. In ihm habe ich ein Spiegelbild dessen gesehen, wie Christus gewesen sein muss. Er hat mir gezeigt, dass es eine höhere Kraft gibt. An sie glaube ich gerne. Es ist weniger leidvoll, als von einem Leben auszugehen, in dem so etwas nicht existiert.
Haben Sie sich inmitten der ganzen Fragen und Herausforderungen des Lebens jemals einsam gefühlt?
Es gibt natürlich Phasen, in denen man sich von den Größendimensionen aller Mysterien überwältigt fühlt. Denn die Antwort darauf findet man nicht in der Gruppe. Jeder muss sie individuell selbst finden. Deshalb habe ich auch die ganzen Vorstellungen und Dogmen, die mir die Gesellschaft aufzuzwingen versuchte, so schnell abgelegt, wie ich nur konnte.
Sie haben vier Kinder. Stehen Sie mit denen im Austausch?
Regelmäßig, sehr oft.
Haben Sie ihnen Ihre Überzeugungen und Erkenntnisse vermittelt?
Ich glaube daran, dass sie selbst ihre Entscheidungen treffen und Lösungen für ihre Probleme finden müssen. Im Großen und Ganzen haben sich alle gut entwickelt. Aber sie müssen sich eben bei ihren Entscheidungen nach dem Umfeld richten, in dem sie sich bewegen. Wir sind in vieler Hinsicht der gleichen Meinung, aber eben nicht immer. Ich hatte ihnen gegenüber den Vorteil, dass ich vieles schon sehr früh für mich begriffen hatte.
»Alles wird sich mir eines Tages offenbaren«
Glauben Sie, dass Sie irgendeine Art Leben erwartet, wenn es in dieser irdischen Dimension vorbei ist?
Ich denke, dass es da nichts gibt. Genauer gesagt, ich interessiere mich in keinster Weise dafür. Wenn es endet, dann endet es. Ich habe keine Kontrolle über das, was passiert. Es ist viel zu abstrakt. Ich habe genügend Fragen, mit denen ich in diesem Leben ringe, um mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Wir Menschen sind unfassbar arrogant, denn wir glauben, Gott habe uns nach seinem Abbild geschaffen. Aber diese Ansicht teile ich eben nicht. So habe ich auch nicht das geringste Gefühl, was danach sein mag. Ich gehe nicht davon aus, dass ich, weil ich ein gutes Leben geführt habe, eines Tages an der Seite Gottes sitzen werde und mich eine Schar von Jungfrauen erwartet. Alles wird sich mir eines Tages offenbaren, aber ich kann mich nicht darauf vorbereiten.