Hera Hyesang Park

Ein Licht für die Welt

von Stefan Sell

28. Februar 2021

Hera Hyesang Park hat erkannt, dass sie authentisch sein muss. „I am Hera“ betitelt sie ihr Album. Darauf versammelt sie Arien aus Werken, die wichtige Momente in ihrem Leben reflektieren.

Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Sie ist umwer­fend. Man könnte meinen, die 32-jährige Sopra­nistin aus Südkorea habe schon alles erreicht. Ob an der Met, der Baye­ri­schen Staats­oper, der Komi­schen Oper , beim oder dem , wo sie auftrat – wo immer sie auftrat, wurde sie gefeiert. Hera Hyesang Park steht für ihr Leben gern auf der Bühne. Nicht um ihrer selbst willen, sondern allein der Musik willen. Keine Spur von Eitel­keit oder Selbst­ge­fäl­lig­keit. Darüber hinaus gewann sie zahl­reiche inter­na­tional renom­mierte Wett­be­werbe. Dann, vor knapp einem Jahr: der Exklu­siv­ver­trag mit der Deut­schen Gram­mo­phon. Soeben hat sie dort ein fantas­ti­sches CD-Debüt hinge­legt. Und setzt mit „I am Hera” ein State­ment: „Diese Aufnahme lässt mich zeigen, wer ich bin und die Musik, die ich liebe, auf die direk­teste und einfachste Art und Weise teilen.” 

Hera Hyesang Park singt mit Sarah Tysman am Flügel Franz Schu­berts Ellens Gesang III, Hymne an die Jung­frau, Op. 52, No. 6, D. 839

Das Reper­toire ihres Albums hat sie fein­sinnig ausge­sucht. Zum einen kann sie die ganze Band­breite ihres Könnens zeigen, ihr zauber­haftes Legato, ihre bestechende Agogik, ihre Klar­heit und Bril­lanz, das wunder­voll helle Schweben ihrer Stimme über dem Orchester. Zum anderen ist ihr Sinn­stif­tung und Verkör­pe­rung dessen, was sie in tiefster Seele fühlt, extrem wichtig. „Es geht nicht nur um Technik, sondern um den Ausdruck unserer Gefühle durch die Stimme. Das heißt, ich habe die Pflicht, mich um meine Seele zu kümmern, weil meine Stimme von meiner Seele beein­flusst wird. Das ist die , um glück­lich zu sein, so wie ich bin.”

Sie bewegt sich durch Musik wie eine Zeit­rei­sende. Sie weiß um die Kunst, Essenz in Klang­viel­falt zu trans­for­mieren. So unter­schied­lich all das beim ersten Hören wirkt, so homogen vereint ihre wunder­volle Gesangs­kunst die Unter­schiede, ob zwischen Ost und West oder dem, was war und ist. Die Reise beginnt vor mehr als 300 Jahren, wird zum Brücken­schlag über verschie­dene Epochen der Oper: Händel, gefolgt von Pergo­lesi, Gluck und Mozart, dann Rossini, Bellini, und mit einem Sprung über Puccini landet sie im Hier und Jetzt bei zeit­ge­nös­si­scher Musik: bei den korea­ni­schen Kompo­nisten La Un-Yung und Joowon Kim – 18 Arien und Lieder wie maßge­schnei­dert für Hyesang Park.

Hera Hyesang Park

»Ich habe gesungen und gesungen, um dieses Ideal abso­luter Gesangs­per­fek­tion zu errei­chen.«

In der Vergan­gen­heit hat sie sich immer wieder antreiben lassen. Die extrem hohe Erwar­tungs­hal­tung an den perfekten Klang, den perfekten Ton wurde ihr zu einer unglaub­li­chen Belas­tung. „Ich habe wirk­lich studiert und studiert, richtig hart gear­beitet, eine Menge gelernt. Und ich habe gesungen und gesungen, um dieses Ideal abso­luter Gesangs­per­fek­tion zu errei­chen.” 2015, nach ihrem Abschluss an der Juil­liard School in , bekam sie den Young Artist Award der Met. Doch bevor sie 2018 dort als Barba­rina glänzte, verließ ihre Stimme sie.

„Ich brauchte viel Zeit, um das zu über­winden. Da war ich nun an der Met, aber nicht in der Lage, meinen Mund zu aufzu­ma­chen. Unfassbar. Immer, wenn ich versuchte zu singen, begann ich zu weinen. Schließ­lich bat ich sogar darum, die Met zu verlassen.” Doch so leicht ließ man sie nicht gehen: Einen Monat Pause sollte sie machen, um für die Produk­tion Le Nozze di Figaro zurück­zu­kommen und die Barba­rina zu singen. Ironie des Schick­sals: Mit endlich wieder­ge­fun­dener Stimme war , was sie sang, die Cavatina L’ho perduta – zu Deutsch „Ich habe sie verloren”.

Hera Hyesang Park

»Anstelle über mich nach­zu­denken, denke ich an meine Stimme. Ich wurde achtsam meinem Instru­ment gegen­über. Und je mehr ich es achte, desto mehr spüre ich, wie es wächst.«

Park erin­nert sich an diese Zeit: „Ich war einfach über­for­dert und brauchte Zeit, um meine Grund­feste zu sichern. Ich hatte wirk­lich einen Monat lang nicht gesungen. Danach fing ich mit einigen meiner aller­ersten Lieder an. Ich kehrte also zu dem Moment zurück, in dem ich einfach nur gerne gesungen hatte. Dabei wurde mir vor allem eines klar: Ich genüge so, wie ich bin. Warum sollte ich also mehr machen, als ich kann? Und ich begann, über meine Stimme nach­zu­denken und sie und mich getrennt zu sehen. Mein Traum vom perfekten Klang ist immer noch derselbe, aber anstelle über mich selbst nach­zu­denken, denke ich an meine Stimme. Ich wurde achtsam meinem Instru­ment gegen­über. Und je mehr ich es achte, desto mehr spüre ich, wie es wächst. Der Klang ist nun sicher, viel tiefer und so viel gesünder. Mein Ego entfernt sich, und meine Seele tritt in den Vorder­grund. Singen ist, als würden wir unsere Stimme in unserem Körper umarmen. Schließ­lich leben wir 24 Stunden zusammen, das heißt, wir müssen uns um unsere Stimme kümmern, nicht nur im physi­schen, sondern auch im psychi­schen, im seeli­schen Sinne.”

Da drängt sich das Bild vom Lotus auf. Die wunder­volle Blüte wächst aus dem Schlamm. In der Wert­schät­zung ist die Blüte schön, der Schlamm aber schmutzig. Doch ist das eine ohne das andere nichts. Den Lotus hat sie mit auf ihr Debüt genommen. Wie aber kam es zu Joowon Kims Like the wind that met with lotus? 

Hera Hyesang Park

»Like the wind that met with lotus erzählt, dass so, wie sich Wind und Lotus begegnen, auch wir uns treffen werden. Der Wind verbindet alles mitein­ander. Dieses Bild findet Reso­nanz in der Musik.«

„Ich wollte zeigen, dass wir in Korea eine ebenso schöne Musik haben wie das klas­si­sche Opern­werk Europas. Ich wollte provo­zieren, wollte sagen: Seht her, auch wir haben eine Geschichte, auch wir können singen. Die ganze Welt ist doch de facto eine Welt. Like the wind that met with lotus erzählt davon, dass so, wie sich Wind und Lotus begegnen, auch wir uns eines Tages treffen werden. Der Wind verbindet alles mitein­ander: Er berührt meine Wangen, zieht weiter und verbindet die Berüh­rung mit meiner Groß­mutter, meiner Mutter, meinem Vater. Dieses Bild ist ein Gefühl, das Reso­nanz in der Musik findet. Indem ich singe, kann ich diese Idee mit anderen teilen.”

Joowon Kim und Park haben sich 2010 bei einem Wett­be­werb kennen­ge­lernt. „Wenn ich mich recht erin­nere, haben wir beide einen ersten Preis bekommen, er als Kompo­nist, ich als Sängerin. Als ich seine Musik hörte, habe ich mich sofort in sie verliebt und mit in mein Konzert­re­per­toire aufge­nommen.” Bevor sie Like the wind that met with lotus für das Album aufnahm, führte sie ein langes Tele­fonat mit Kim: „Ich wollte das perfekte Arran­ge­ment für meine Stimme finden. Und Joowon war sehr offen für meine Ideen. Zum Beispiel wollte ich den Klage­laut zu Beginn von einer Geige hören, und so machte er aus dem ursprüng­li­chen Bläser­satz ein Violin­solo.” 

Live konnte man Hyesang Park zuletzt in der Urauf­füh­rung von Marina Abra­mo­vićs Seven Deaths of im September 2020 an der Baye­ri­schen Staats­oper hören. Sie sang aus Verdis Traviata die Violetta, und es schien, als mache Hyesang Park wie die Callas ihren Körper zum Instru­ment. Womit sie das Marcel-Proust-Zitat einlöste: „Die Traviata greift an die Seele”. Offenbar gelingt es Hyesang Park, alle seeli­schen Facetten stimm­lich auszu­loten, die Hochs und die Tiefs, das Licht und das Dunkel. Das Thema Licht hat sie darüber hinaus ohnehin zu ihrem gemacht: „Ich möchte das Talent, das mir geschenkt wurde, vor allem nutzen, um etwas mehr Licht in die Welt zu bringen.”