Hila Fahima

»Wenn ich weine, ist es gelungen«

von Jens Laurson

19. Juli 2021

Das Opernpublikum liebt die israelische Sopranistin schon lange – weil sie ihre Rollen lebt. Ganz egal, ob Waldvogel im Siegfried oder Königin der Nacht in der Zauberflöte.

CRESCENDO: Auf Ihrem Insta­gram-Account (hila.fahima) zeigen Sie ein Bild Ihrer Familie, verkleidet als Super Mario Bros. Haben Sie einen beson­deren Bezug zu den Super Mario Brot­hers?

Hila Fahima: Ha! Nicht wirk­lich. Mein Sohn liebt sie. Wir haben ihm ein Super-Mario-Spiel­zeug geschenkt, als er ein Jahr alt war, und seitdem ist Mario sein Spiel­ka­merad. Deshalb haben wir beschlossen, ihn zu Purim zu über­ra­schen und haben diese Kostüme für uns drei bestellt.

Zwei Jahre haben Sie in den Israe­li­schen Vertei­di­gungs­streit­kräften verbracht … Gibt Ihnen das eine gewisse Erdung in Sachen Real­po­litik, die manchen Ihrer Kollegen viel­leicht abgeht?

Defi­nitiv war es eine Heraus­for­de­rung, auf diversen Ebenen in der Armee zu sein. Es ist völlig anders als alles, was man sonst so im Alltag erlebt – eine andere Welt. Ich habe nie schießen oder mit jemandem kämpfen müssen, aber ich war während des Krieges in der Armee und konnte für Fami­lien im Luft­schutz­bunker singen. Das ist etwas, was ich sonst nie erlebt hätte. Man reift und wird erwach­sener dadurch. Das Reper­toire war sehr durch­mischt: viele Volks­lieder zum Beispiel für die Soldaten und eher weniger Opern-Arien. Aber mir hat diese Zeit viele Erfah­rungen gegeben, die ich in meinem Leben sonst nicht gehabt hätte.

Hila Fahima

»Ich bin über­zeugt davon, dass Musik Menschen verbindet.«

Sie haben die „Vögelchen“-Rollen in Wagner gesungen. Vermut­lich zuerst in , wo das Ensemble der Deut­schen Oper Berlin ihre erste Station in Europa war. Ist Wagner ein Thema für Sie oder einfach nur ein Kompo­nist, der Musik geschrieben hat?

Ich bin über­zeugt davon, dass Musik Menschen verbindet. Grund­sätz­lich versuche ich, mich von der Musik leiten zu lassen – und weniger von meiner Meinung oder Gefühlen. Ich bin mit 23 Jahren nach Berlin gekommen und fühlte mich noch wie ein halbes Kind. Eine der aller­ersten Rollen, die ich an der Deut­schen Oper gesungen habe, war der Wald­vogel aus Sieg­fried, und ich habe mich wahn­sinnig über diese Möglich­keit gefreut. Außerdem liebe ich Wagner, mir gefallen seine Opern einfach sehr.

Hila Fahima

»Wenn ich auf der Bühne stehe und weine, weil ich wirk­lich an das glaube, was ich gerade singe, dann ist es gelungen.«

Was ist eine gelun­gene Produk­tion für Sie als Sängerin, und wie unter­scheidet sie sich von einer guten Produk­tion für Sie als Zuschauerin?

Eine gute Opern­pro­duk­tion für mich als Sängerin ist eine, in der ich davon über­zeugt bin, wirk­lich der Charakter zu sein, den ich singe. Egal, ob modern oder tradi­tio­nell. Nur der Proben­pro­zess bringt mich dazu, mich zum Beispiel selber als Lucia oder als Gilda zu sehen und nicht als Hila. Ich gebe zu, dass das, was wir in der Oper auf der Bühne an Drama erleben, nicht gerade das ist, was uns im wirk­li­chen Leben wider­fährt. Also muss ich mich irgendwie in diesen Charakter hinein­finden. Wenn ich auf der Bühne stehe und weine, weil ich wirk­lich an das glaube, was ich gerade singe, dann ist es wohl gelungen. Als Zuschauerin ist es eher eine Frage des Geschmacks. Ich liebe tradi­tio­nelle Produk­tionen. Obwohl, wenn alles Hand und Fuß hat, dann können moderne Produk­tionen genial sein. 

Hila Fahima
(Foto: Manfred Baumann)

Was ist tradi­tio­nell für Sie?

Ich gestehe, dass es mir ein wenig Bauch­schmerzen bereitet, wenn ein Regis­seur eine bestehende Geschichte völlig auf den Kopf stellt. Denn es gibt eine Oper, und die ist nun einmal so geschrieben. Aller­dings kann es auch inter­es­sant sein. Ich habe zum Beispiel einmal in die Rolle der Giunia in Mozarts Lucio Silla gesungen. Es war mein Rollen­debüt, und Giunia ist ein – gelinde gesagt – kompli­zierter Charakter. Es war unglaub­lich heraus­for­dernd: eine drama­ti­schere Rolle, als ich sie viel­leicht gewöhnt war. Die Geschichte ist nicht einfach und Giunia nicht so kind­lich wie zum Beispiel Gilda. Der Regis­seur war , und ich hatte noch nie mit ihm zusam­men­ge­ar­beitet. Als er mir erzählte, was er von mir wollte, habe ich Panik bekommen. Es war ein biss­chen provo­kant, ein biss­chen anzüg­lich…

Klingt wie Neuen­fels …

Ja, es war Mal, dass ich so eine Heran­ge­hens­weise erlebte. Dann haben wir uns zusam­men­ge­setzt und über den Charakter und seine Ideen unter­halten. Neuen­fels hat mir das so gut erklärt, dass ich über­zeugt war, dass alles Sinn macht. Denn Giunia kann nicht singen, was sie singt, wenn sie nicht selbst völlig durch­dreht und auch panisch ist. Es war provo­kant und weitab dessen, was ich bis dahin kannte, aber ich habe an alles geglaubt, was ich gemacht habe. So war es richtig gut. Die Moti­va­tion hat gestimmt. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich Giunia. Wenn man mit einem Regis­seur arbeitet, der eine plau­sible Idee mit einer Verbin­dung zur Geschichte hat, und wenn es für alle Bühnen­ak­tionen einen Grund gibt, funk­tio­niert auch eine moderne Inter­pre­ta­tion.

Hila Fahima

»Ich vermisse dieses Gefühl, mir eine Oper anzu­sehen, die mich anregt, mir über sie Gedanken zu machen.«

Moti­va­tion und Wahr­heit: Was lässt die Figuren auf der Bühne das tun, was sie tun?

Ja, was verbindet diese Figuren mit uns in unserer Lebens­welt? Nehmen wir zum Beispiel Le nozze di Figaro. Man insze­niert die Oper wunder­schön und tradi­tio­nell. Das hat das Publikum schon oft gesehen, und es ist weit entfernt von unserer Welt. Da sehe ich den Anspruch, die Insze­nie­rung unserem Leben näher zu bringen und wich­tige Verbin­dungen zu schlagen. Und es ist auch keine „nette“ Geschichte, im Gegen­teil.

Das ist die Frage: Wie können wir in einem geschicht­lich so weit entfernten Publikum noch mit der glei­chen Musik und der glei­chen Geschichte Gefühle auslösen, sodass es hinterher meint, es hätte die Oper zum ersten Mal gesehen?

Wenn Oper so ist, dann ist das genial. Ich vermisse dieses Gefühl, mir eine Oper anzu­sehen, die mich anregt, mir über sie Gedanken zu machen. Man meint, man wüsste, in welche Rich­tung es geht, und auf einmal sieht man alles in einem anderen Licht. Wenn ein Regis­seur das schafft, davor habe ich unglaub­lich viel Respekt.

Wie oft passiert das, glauben Sie? In jeder zehnten Oper?

Puh. Das kann ich nicht sagen. Aber es passiert mir nicht durchweg.

Deswegen ist Schei­tern ein absolut essen­zi­eller Bestand­teil von guter Oper. Und Sie müssen quasi „mitschei­tern“. Ist das schwer?

Es ist erst einmal viel Druck, viel Verant­wor­tung. Und wenn es passiert, dass man in einer Regie steckt, für die man sich nur bedingt begeis­tern kann, dann muss ich noch mehr an das glauben, was ich mache. Viel­leicht wird das Ganze ein Miss­erfolg. Aber wenn alle Betei­ligten nicht alles geben, dann wird es garan­tiert ein Miss­erfolg. Als Sänger müssen wir das gut servieren, ob es uns schmeckt oder nicht.

Hila Fahima als Nannetta
Hila Fahima als Nannetta in Verdis Falstaff an der
(Foto: Michael Pöhn / Wiener Staats­oper)

Wir leben in einer Zeit, in der es für Künstler fast unmög­lich ist, die Sozialen Medien nicht zu bedienen. Sind Sie sich dem Grenz­gang zwischen zügel­losem Narzissmus und notwen­diger Eigen­wer­bung bewusst?

Ja, ich war nie ein Fan von Social Media – einfach, um meine Privat­sphäre zu schützen. Im letzten Jahr wurde ich doch etwas aktiver, weil ich gemerkt habe, dass es einer der wenigen Wege ist, um den Menschen, die sich für das, was ich mache, viel­leicht inter­es­sieren, zu sagen: ‚Hallo, ich bin noch da!‘ Es ist ein schmaler Grat. Ich möchte nicht, dass jeder sieht, was ich gerade esse oder wann ich schlafen gehe. Diese Kanäle haben großen Einfluss, gerade wenn es darauf ankommt, etwas zu bewerben. Sie sind inzwi­schen ein Teil des Berufs, und man kann ihnen nicht entkommen. Zu oft sieht es einfach so aus, als wäre man furchtbar selbst­ver­liebt. Ich versuche, ich selbst zu bleiben.

Hila Fahima

»Man muss realis­tisch bleiben und auch das weniger posi­tive Feed­back vertragen.«

Wenn Sie Opern­stars hören, die Sie in deren Jugend bewun­derten, und bemerken, dass es mit ihnen stimm­lich dem Ende zugeht, denken Sie dann manchmal daran, ob es in deren Leben jemanden gibt, der ihnen signa­li­siert, dass nicht alles rund läuft? Direkt gefragt: Haben Sie jemanden, der Tacheles reden kann?

Ich habe drei strenge Personen in meinem Leben, und die haben mir von Beginn meiner Karriere an immer die Wahr­heit gesagt. Eine davon ist meine Mama, die keines­wegs immer Bussi­bussi war oder Brava, Brava! gerufen hat. Wenn ich mal nicht auf der Höhe war, hat sie mir das gesagt. Das war nicht immer ange­nehm zu hören. Und natür­lich mein Mann, dem ich gesagt habe: Bitte, wenn du mich mal nicht hören kannst und ich wie eine Katze klinge – sag es mir!

Ist das nicht gefähr­lich?

Nein, es ist essen­ziell, wie in einen Spiegel schauen. Wir sehen uns manchmal selbst anders, sehen, was wir sehen wollen. Für einen Außen­ste­henden ist es einfa­cher zu sehen, was man nicht sieht. Ich möchte immer sicher­gehen, dass ich meine Aufnahmen anhören kann. An dem Tag, an dem ich nicht mehr mag, was ich höre, ist es Zeit aufzu­hören. Man muss realis­tisch bleiben und auch das weniger posi­tive Feed­back vertragen. Und dann ist da meine Lehrerin, die mit mir schon viele Jahre zusam­men­ar­beitet. Sie hat nie nur gelobt, sondern auch die schwie­rigen Themen ange­spro­chen.

Hila Fahima

»Ich habe mich für italie­ni­sche Arien entschieden, weil ich Belcanto liebe.«

Sie haben gerade eine CD heraus­ge­bracht – ist so etwas sehr teuer?

Nun, reich wird man damit nicht. Heut­zu­tage ist eine CD wie eine gute, wich­tige Visi­ten­karte. Es geht auch zu einem gewissen Teil um den Prozess, ein Album zu verwirk­li­chen: ein Programm zu planen, zu erfor­schen, die Charak­tere zu studieren und auch die Entste­hungs­zeit der Werke. Ich habe diese Aufnahmen über zwei­ein­halb Jahre lang geplant. Klar, man muss ein biss­chen ans Gesparte gehen… Das macht man nicht jeden Tag. Aber ich wusste schon lange, dass ich das wollte und dass es mir wichtig war. Für mich hat das blei­benden Wert.

Haben Sie die Doni­zetti- und Verdi-Arien ausge­wählt, weil Sie sich gerne in diesen Stücken hören, oder weil sie beson­dere Bedeu­tung für Sie haben?

Es ist eine Mischung. Gildas Caro nome zum Beispiel ist eine Arie, die mich schon seit den Anfängen meiner Karriere begleitet. Ich habe mich für italie­ni­sche Arien entschieden, weil ich Belcanto liebe. Ich habe genug Erfah­rung darin, und ich sehe mich auch in der Zukunft solche Rollen singen. Aber ich war auch an frühen Doni­zetti-Arien inter­es­siert, die nicht so bekannt sind. Ich habe Joan Suther­land einmal Emilia di Liver­pool singen hören. Die Oper hatte ich davor noch nicht gehört und die Musik sofort ins Herz geschlossen. Die Musik sollte wirk­lich gehört werden. Nicht viele Sänger haben diese Oper seit ihrer Urauf­füh­rung gesungen… Ich wollte den frühen, weniger bekannten mit dem öfter gespielten Doni­zetti verbinden.

Hila Fahima als Königin der Nacht
Hila Fahima als Königin der Nacht an der Deut­schen Oper Berlin
(Foto: Frank Wentzel / Deut­sche Oper)

Wollen Sie mit dem Album auch die Inten­danten ein biss­chen in die Rich­tung dessen stupsen, was Sie in der Zukunft singen wollen?

Ich versuche, mich in einem anderen Licht zu präsen­tieren. Ich kann immer noch Mozart singen, und ich liebe es, Mozart zu singen. Aber ich habe jetzt mal genug Köni­ginnen der Nacht gesungen. Nein, Scherz beiseite. Als Sänger sollte man immer flexibel bleiben, um nicht nur einen Kompo­nisten oder eine Rolle zu singen.

Haben Sie schon Pläne für ein nächstes Album?

Träumen kann man immer. Ich habe viele Ideen. Viel­leicht ein Album mit Mozart-Arien. Oder eines mit fran­zö­si­schen Arien. Aber ich liebe auch Strauss… Und natür­lich sehe ich mich in der Zukunft in Rollen, die jetzt noch nicht meiner Stimme entspre­chen. Wir werden sehen.

Hören Sie auch privat Musik?

Wenn ich gerade an einer Produk­tion arbeite und dauernd und immer dieselbe Musik höre, muss ich mich klas­si­scher Musik auch mal entziehen. Ich höre mir dann zum Beispiel Kinder­lieder mit meinem Sohn an – ein guter Ausgleich.

Hila Fahima

»Jeder Sänger gibt einem etwas mit an Moti­va­tion und Ideen.«

Gibt es Sänger aus der Vergan­gen­heit, die Sie bewun­dern?

Ich bewun­dere Joan Suther­land sehr. Über­haupt nehme ich von vielen Sängern etwas mit, ohne aber wie ein bestimmter Sänger klingen zu wollen. Jeder Sänger gibt einem etwas mit an Moti­va­tion und Ideen. Aber ich will jetzt nicht wie klingen, sondern wie Hila. Ich habe auch unge­heuren Respekt vor den Divas vergan­gener Tage. Doch wir leben inzwi­schen in einer anderen Welt, und die Oper hat sich gewan­delt. Solche Ausnah­me­fi­guren wie zum Beispiel gibt es nicht mehr.

Das Singen scheint natür­li­cher geworden zu sein? Sagt Ihnen das zu?

Ja, das genieße ich schon. Es ist durchaus natür­li­cher, flexi­bler, wie man die Rollen angeht, mehr wie ein Schau­spieler. Das lässt es inter­es­santer werden. Ich bin voller Bewun­de­rung für reine Technik und konzer­tantes Singen. Was ich aber beson­ders mag, ist das Über­schneiden von Musik und Theater in der Oper. Es muss kein Entweder Oder sein. Ich möchte natür­lich eine saubere Technik vorweisen, was gerade auf einer CD wichtig ist. Aber wenn man eine Figur verkör­pert und auf der Bühne verin­ner­licht, kommt das auch in der Stimme durch.

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Mehr Info unter www.hilafahima.com

Fotos: Manfred Baumann