Pianistin Ilyun Bürkev
Klassik-Kick mit Klick
von Barbara Schulz
24. November 2025
Sie gehört zur Gen Z und ist damit Digital Native, immer wieder verpasst man ihr das Etikett Wunderkind. Doch neben ihrer Karriere verfolgt die 17-jährige türkische Pianistin İlyun Bürkev ein weiteres Ziel: mehr Menschlichkeit, mehr Tiefgang, mehr junge Menschen in den Konzertsälen. Dafür zieht sie alle Register der sozialen Medien.
Frau Bürkev, mit gerade mal 17 kann mal bereits viel über Sie erzählen. Sie sind Schülerin von Pavel Gililov in Salzburg, Alfred Brendel überreichte Ihnen seine handgeschriebene Kadenz, Sie standen bereits mit Martha Argerich auf der Bühne, füllen die großen Konzertsäle dieser Welt, von Preisen ganz zu schweigen. Aber lassen Sie uns jenseits der Wunderkindmeldungen Ihren künstlerischen Weg umreißen. Zunächst: Sie sind in keinem Musikerhaushalt aufgewachsen. Was war Ihr Antrieb, Klavier zu spielen?
İlyun Bürkev: Es gab in unserem Haus ein kleines Klavier, weil meine Mutter bis zu meiner Geburt gern gespielt hat, nur als Hobby. Bereits mit zwei oder drei Jahren war aber mein Interesse am Klavier so groß, dass ich wirklich viel Zeit damit verbrachte. Also bekam ich mit vier Jahren Unterricht, und ja, ich habe mich sehr schnell gut entwickelt, sodass auch meine Lehrerin sehr zufrieden war. Sich in meinem Alter bereits 40 Minuten konzentrieren zu können, sei außergewöhnlich, deswegen hat sie mich ans Konservatorium weiterempfohlen. Und so bin ich mit sieben in Istanbul in die Mimar-Sinan-Universität der Schönen Künste gekommen. Erst war es wie Vorschule, dann aber war ich vier Jahre lang voll am Konservatorium in der Türkei. Jetzt bin ich in Salzburg und gehe gleichzeitig ins Mozart Gymnasium, wo ich in diesem Jahr die Matura mache. Daneben besuche ich zwei- bis dreimal pro Woche das Mozarteum und studiere bei Professor Gililov.
Sportliches Programm, oder? Da bleibt nicht viel Freizeit.
Das stimmt. Aber wirklich wichtig finde ich vor allen Dingen die innere Balance. Wenn ich mich seelisch nicht zufrieden fühle oder gestresst bin, dann hört man das auch in meiner Musik. Also versuche ich, mit meiner Familie, meinen Freunden und meinen Hobbys eine Art Freizeit-Bubble zu bilden. Das Leben ist sehr wertvoll, und natürlich gehören Disziplin und Üben dazu – das sind die Hauptsteine auf dem Weg. Disziplin ist ja vor allem in so jungen Jahren wichtig. Gleichzeitig muss man aber eben auch den Ausgleich haben, muss man spüren, dass man nichts verpasst. Das ist vor allem für die Zukunft sehr wichtig.
Von welchen Hobbys sprechen Sie?
Ich mache viel Sport, vor allem fahre ich sehr gern Ski. Ich habe mit etwa fünf Jahren angefangen, und jetzt ist es natürlich fantastisch, Kitzbühel zum Beispiel ist ja nur eine Stunde von Salzburg entfernt. Ich mache außerdem Pilates, gehe sehr gern spazieren, außerdem macht es mir Spaß zu zeichnen und zu malen. Meine Tante ist Malerin, vermutlich kommt es daher. Darüber hinaus liebe ich Bücher und Filme und natürlich: mit Freunden auszugehen.
Das klingt auf alle Fälle nach einem guten Plan hinsichtlich der inneren Balance. Aber zurück zu Ihrer Musik: Ihr Anliegen ist ja, klassische Musik einem jungen Publikum nahezubringen. Auch, weil die Aufmerksamkeitsspanne immer geringer wird, wenn ich das richtig verstanden habe?
Ja, das ist mein Ziel. Bislang ist ja der Altersdurchschnitt in der klassischen Musik relativ hoch. Ich bin mir aber sicher, dass auch junge Menschen Freude daran hätten, darum versuche ich, sie ihnen auf dem Weg, auf dem sie am besten erreichbar sind, zu vermitteln, also über die sozialen Medien.
Und wie gehen Sie dabei vor?
Ich plane kleine Videos, in denen ich über klassische Musik spreche und vielleicht auch ein bisschen spiele. Heute gibt es Reels und TikTok-Videos, also sehr schnelle Medien, die sich kaum einprägen, weil man auch nur schnell draufschaut. Darum finde ich Videos, also Kommunikation sehr hilfreich. Das erfordert mehr Aufmerksamkeit. Mit diesen Geschichten erreiche ich mehr Jugendliche.
Ist das auch der Grund, dass Sie selbst komponieren?
Ja, tatsächlich habe ich vor zwei oder drei Jahren ein Stück komponiert: The Wind. Es geht um unsere Umwelt und Umweltschutz im Allgemeinen. Zu diesem Thema habe ich ein Projekt angestoßen: In der Türkei gibt es ein sehr bedeutendes Museum mit beeindruckenden Kunstwerken, dort habe ich Rainforest Variation III. gespielt Mein Ziel war zu zeigen, wie wichtig die Umwelt und die ganze Regenwaldkrise ist. Dazu wurden diese Kunstwerke gezeigt. Veröffentlicht wurde es am Umwelttag, das hat es natürlich noch einmal bedeutsamer gemacht. So fangen die Leute an zu begreifen, wie wichtig das Thema ist.
Dann war das vermutlich nicht Ihr letztes Stück.
Nein, sicher nicht! Mein Ziel ist, jetzt erst mal meine Ausbildung fortzusetzen, also auch die Komposition. Da möchte ich noch viel tiefer gehen, wirklich bis auf den Grund, um alles zu lernen und zu verstehen und um weiterhin Stücke mit so wichtigen Themen, die so präsent sind in unserem Leben, schreiben zu können. Und vielleicht lassen sich auch in Zukunft interkulturelle Projekte auf die Beine stellen, für die ich Stücke komponieren kann, um Synergien zu schaffen. Das würde ich als sehr wertvoll empfinden, nicht zuletzt, weil das meine Stimme ist. So könnte ich die Herzen der Menschen erreichen, ohne ein Wort zu sagen. Und wenn ich damit helfen kann, so ein wichtiges Thema anzuschieben, es öffentlich zu machen, indem ich den Finger darauflege, dann kann das wirklich etwas Besonderes werden.
Das heißt, Sie können sich vorstellen, mit Ihrer oder durch Ihre Musik politisch zu werden?
Ja, auf alle Fälle stelle ich mir das für meine Zukunft vor. Heute studiere ich noch und bin noch keine große Künstlerin, aber mein Ziel ist, eine Künstlerin zu werden, die mit ihrer Kunst etwas bewegt. Ich will etwas Wichtiges tun! Und damit meine ich, dass es um Themen gehen soll, die die gesamte Menschheit betreffen. Es sind die Menschenrechte, die wichtig und notwendig sind, und das auf internationaler Ebene.
Heißt, Sie wollen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen? Die Leute also zum Nachdenken bringen …
Ja, schließlich spiele ich auf großen Bühnen und repräsentiere mit meiner Musik etwas. Damit will ich ja überzeugen. Letztlich ist es doch so, dass wir alle ein Ziel im Leben haben, einen Wert. Und indem ich meine Musik mit den Menschen teile, will ich ihnen auch einen Spiegel vorhalten, ihr Leben mit in den Konzertsaal holen. Denn interessant ist doch das eine: Die Stücke, die wir spielen, sind hundert oder gar tausend Jahre alt – die Komponisten sind tot, die Stücke vermeintlich auch. Aber für zehn. Minuten oder eine halbe Stunde und mehr erwecken wir die Komponisten und die Stücke wieder zum Leben. Aber was fühle ich dabei? Ich kann den Komponisten spüren, sein Leben, aber auch mein eigenes Leben. Ich durchlebe, ob Rachmaninow oder Chopin ärgerlich waren oder traurig oder auch fröhlich. Damit wecke ich auch eine Erinnerung an meine eigenen Gefühle, die ich mit dem Publikum teile. Und vielleicht passiert es, dass die Menschen das auch spüren und mit ihren eigenen Erfahrungen konfrontiert werden, mit guten, schlechten, auf alle Fälle tiefen Momenten. Diese Verbindung gibt es von jeher. Das passiert aber vor allem während eines Konzerts.
Nicht aber dort, wo die Jugendlichen unterwegs sind, also auf YouTube, Spotify oder TikTok?
Das ist alles sicher ganz wichtig und toll, aber die Live-Atmosphäre ist einfach anders, transportiert Gefühle mit einer unvergleichlichen Intensität.
Dann lassen Sie uns noch einmal zurückgehen zu Ihrer Strategie, wie Sie junge Menschen zur klassischen Musik locken wollen. Von einem kurzen Reel bis zum Konzertsaal liegt ein weiter Weg. Und man muss sie ja in den ersten Minuten, wenn nicht nur sogar Sekunden „kriegen“ …
Es soll wie eine Einladung sein. Jemand scrollt durchs Netz oder geht direkt auf meinen Account und sieht ein Video von mir. Wen Bach oder Beethoven anspricht, der oder die denkt dann vielleicht, man könnte sich das ja mal live anhören. So könnte eine Annäherung stattfinden.
Aber Sie müssen sich ja abheben von den anderen unzähligen Reels und Videos und Filmen. Wie gehen Sie konkret vor?
Nun, ich habe bereits ein paar Videos aufgenommen, die aber noch nicht veröffentlicht sind. Dort erzähle ich etwa 20 Sekunden lang von einer sehr intensiven Situation in meinem Leben, vielleicht packe ich auch noch eine rhetorische Frage mit rein. Und dann erkläre ich, dass ich diese Momente mit Musik zurückholen kann, und beginne zu spielen. Und vielleicht berührt es, erinnert es die Hörerinnen und Hörer an eigene Situationen.
Viele denken ja, klassische Musik sei immer so ruhig und good feeling. Dann sage und zeige ich ihnen, dass auch das Gegenteil der Fall sein kann. Und spiele beispielsweise die Kadenz aus Griegs Klavierkonzert. Man hört ganz deutlich, dass er wütend ist oder Angst hat oder beides. Es ist unglaublich intensiv. Nun, und je mehr Stücke oder KomponistInnen sie hören, um so mehr werden sie verstehen und spüren, wie unterschiedlich und abwechslungsreich diese Welt ist.
Ein bisschen also wie bei einer Konzerteinführung …
Ja, aber bislang sprechen doch die Künstler selbst nur sehr selten. Indem ich das aber tue, schaffe ich Nähe, wird die Situation intimer. Die Art, wie ich die Videos gestalte, ist tatsächlich relativ neu. Generell ist es neu, in sozialen Medien über seine Musik zu sprechen. Als ich das in der Türkei nach einem Konzert gemacht habe, wurde das super angenommen – die Menschen mochten das sehr.
Sie wollen also sagen, dass die sozialen Medien genau das tun, was man ihnen immer abspricht: Sie beeinflussen die Konzertsituation positiv.
Ich würde das bejahen. Natürlich: Social Media können beides sein, gut und schlecht. Wenn man sie aber so positiv nutzt, ermöglichen sie eine sehr schnelle Erreichbarkeit. Viele Menschen, die ansatzweise Interesse haben, werden aufmerksam und wollen mehr entdecken. Insofern können TikTok & Co. wirklich ein gutes Tool sein, sich gegenseitig zu befruchten. Die Balance muss stimmen.
Ihre Vision?
Ich habe beobachtet, dass die Kommunikation und die Beziehung zwischen den Menschen zwar nicht schlechter geworden sind, aber sie haben sich ein bisschen voneinander entfernt. Die menschlichen Grundbedürfnisse wie Vertrauen oder Liebe werden weniger gestillt. Vor allem nach der Pandemie, während der alle so allein waren. Konzerte und Musik aber bringen die Leute zueinander. Musik ist ein wirklich sehr wichtiges Element für die Menschlichkeit. Und deshalb auch für die politischen Themen und Situationen. Diese Menschlichkeit, denke ich, ist das Grundargument für Musik, also der Kern. Man kann damit vielleicht keine Probleme lösen, aber sie kann ein Weg sein nachzudenken, zu philosophieren oder zu lernen. Insofern ist mein Ziel: Ich möchte die Menschen einander wieder näherbringen, die Unterstützung und die Menschlichkeit wieder tiefer machen. Und das kann eben auch über Social Media geschehen. Denn sie sind mehr als laue Oberfläche, wie ihnen das immer vorgeworfen wird. Ich will mit ihrer Hilfe weiter gehen, in die Tiefe kommen. Das wird eine große, aber auch eine sehr schöne Arbeit.