J. M. Coetzee

J. M. Coetzee

Chopin, Dante und die Liebe

von Ilaria Heindrich

11. Juni 2023

J. M. Coetzee erzählt in seinem Roman »Der Pole« mit knappen Worten eine Liebesgeschichte über ein ungleiches Paar und gibt sich auf die Spur nach dem Phänomen Liebe.

„Ist Liebe ein Gemüts­zu­stand, ein Seins­zu­stand, ein Phänomen, eine Mode, die, noch während wir zuschauen, in die Vergan­gen­heit verschwindet?“ Was ist Liebe? Was treibt sie an? Und wie kann man sie fassen? Mit diesen Fragen setzt sich der Nobel­preis­träger J. M. Coetzee in seinem Roman Der Pole ausein­ander, wie schon viele große Lite­raten vor ihm.

Das Paar, dessen Geschichte Coetzee auf gerade einmal 140 Seiten entspinnt, könnte unter­schied­li­cher nicht sein. Beatriz ist die Gattin eines Bankiers und Mitar­bei­terin in einem Kultur­kreis. Sie ist fünfzig Jahre alt, etwas distan­ziert, beschreibt sich selbst als „glück­lich“, aber ohne Träume. Witold, genannt der Pole, ist Pianist. Er ist ins Alter gekommen, steht am Ende seiner Karriere, ist „nicht glück­lich“, aber dennoch voller Träume. Als der roman­ti­sche Pole der reser­vierten Kata­lanin zum ersten Mal begegnet, sieht er in ihr seine große Liebe, seinen Engel, seinen „Frieden“. Sie ist wie die Muse seiner verehrten Idole Chopin und Dante. Beatriz hingegen sieht in ihm eine gebrech­liche Figur, einen „Clown“. Trotzdem lässt sie sich nach vielen vergeb­li­chen Avancen schluss­end­lich auf eine kurze Affäre mit dem Künstler ein.

Coet­zees Stil ist geprägt von subtiler Komik, einer teils irri­tie­rend karg daher­kom­menden Sprache und einer trockenen, auf das Minimum beschränkten Erzähl­weise. Trotzdem oder gerade deshalb vermag er immer das Wich­tigste zu sagen. Einer der inter­es­san­testen, wenn auch viel­leicht prag­ma­tischsten Liebes­ro­mane der letzten Jahre – denn ob und wie geliebt wird, bleibt bis zum Ende – wie für die Figuren selbst – offen.

Fotos: Mariusz Kubik / GNU Free Documentation License Version 1.2