Jan Vogler & Bill Murray
»Es ist unsere Pflicht, positive Emotionen zu vermitteln«
von Rüdiger Sturm
1. April 2022
Schauspieler Bill Murray und Cellist Jan Vogler im Gespräch über ihr musikalisch-literarisches Projekt New Worlds – The Craddle of Civilization. Mit der Verfilmung heben die beiden unterschiedlichen Künstler die Erfahrung eines Konzerts auf eine neue Ebene.
New Worlds – The Craddle of Civilization entführt in einer Sommernacht nach Athen. Der Cellist Jan Vogler und der Schauspieler Bill Murray stehen am Ende ihrer Welttournee 2018 auf der Bühne des Odeons des Herodes Atticus am Fuß des Akropolis-Felsens. Jan Vogler spielt mit der Geigerin Mira Wang und der Pianistin Vanessa Perez Kompositionen von Johann Sebastian Bach bis Van Morrison. Und Bill Murray singt und spricht Texte der amerikanischen Literatur. Gefilmt von Andrew Muscato und produziert von Dorn Music, ist der Auftritt seit 22. März 2022 im Kino zu sehen.
CRESCENDO: Herr Vogler, Sie spielten die Cellokonzerte der großen klassischen Komponisten von Dmitri Schostakowitsch bis Antonín Dvořák ein. Was reizte Sie an dem musikalisch-literarischen Projekt mit Hollywoodstar Bill Murray, bei dem Sie Werke von Autoren wie Mark Twain mit Stücken von Bach bis Henri Mancini kombinieren?
Jan Vogler: Ich wollte schon immer die Grenzen meines eigenen Genres hinter mir lassen, und genau das bietet mir dieses Programm: Wir haben sehr wenig rein klassische Musik, sondern auch Nummern aus Rockmusik, Tango und Musical. Auf diese Weise ist es möglich, alles in einen größeren künstlerischen Zusammenhang zu führen, der mehr ist als nur Musik.
Bill Murray: Und für das Publikum kommt das völlig überraschend. Wir hatten bei unseren Konzerten oft Zuhörer, die das übliche Klassik-Programm erwarteten. Das waren Paare, bei denen der Mann während der Vorführung einzuschlafen pflegte, während seine Frau zuhörte – oder umgekehrt. Wir haben uns vor Beginn der Vorstellung immer köstlich amüsiert, wenn wir hinter dem Vorhang standen und die Leute beobachteten. Die hatten keine Ahnung, was gleich auf sie zukommen würde. Am Ende waren dann alle hin und weg: „Was zum Teufel ist denn jetzt gerade mit uns passiert?“ Es gab stehende Ovationen, alle applaudierten wie verrückt.
Sie wollten Ihr Publikum in Ekstase versetzen?
Bill Murray: So würde ich das nicht ausdrücken. Wir wollten ein Gefühl oder – wenn man so will – eine größere Idee vermitteln, in der sich jedes Individuum wiederfinden konnte.
Jan Vogler: Wir wollten Kunst schaffen, und im Erlebnis von Kunst bekommt man eine Ahnung davon, was es heißt, Mensch zu sein. Das habe ich für mich speziell während der Pandemie entdeckt: Es kann nicht nur darum gehen, dass man in der Früh aufsteht, etwas isst, den Tag irgendwie verbringt und sich am Abend ins Bett legt. Ohne Kunst – ob als Kreativer oder als Konsument – fehlt etwas Wichtiges. Und unsere Tätigkeit besteht nicht einfach darin, Musik zu interpretieren, die vor langer Zeit komponiert wurde. Wir wollen selbst Kunst schaffen, und auch das ist das Ziel dieses Films: die Erfahrung des Konzerts auf eine neue Ebene zu heben.
Aber wie würden Sie diesen Schaffensprozess beschreiben?
Jan Vogler: Unser Konzert ist mehr als die Summe seiner Teile. Wenn man kreative Menschen zusammenbringt, so wie unser Quartett, dann entsteht dabei eine besondere Chemie. Gemeinsam setzen wir etwas in die Welt, das größer ist als wir alle. Und indem dieses Resultat noch einmal auf Film gebannt und im Schnitt gestaltet wurde, multipliziert sich seine Wirkung.
Bill Murray: Unser Regisseur Andrew Muscato hat das Konzert noch einmal auf brillante Weise neu strukturiert. So bieten wir den Menschen ein hohes Maß an Unterhaltung, aber gleichzeitig stoßen wir bei ihnen Denkprozesse an, die auch nach dem Ende der Vorführung weitergehen.
Eine Konzertveranstaltung, die in Kunsttempeln stattfindet, ist das Eine. Aber werden Künstler wie der Dichter Walt Whitman oder Schostakowitsch im modernen Multimedia-Bombardement nicht untergehen?
Jan Vogler: Die Gefahr sehe ich nicht. Große Kunst wird immer ein Publikum finden. Und es wäre auch arrogant, sich um diese Künstler Sorgen zu machen. Die Ideen eines Walt Whitman beispielsweise sind nicht statisch, sie erleben eine Entwicklung. Unsere Aufgabe als Interpreten besteht darin, sie in der Interaktion mit dem Publikum lebendig zu halten.
Bill Murray: Wir sollten uns nicht davor fürchten, dass etwas verloren geht. Ja, es ist richtig, dass die moderne Medienwelt schneller getaktet ist, aber wenn wir uns vor lauter Sorgen selbst Druck machen, dann fällt es uns schwerer, diese Ideen geistig zu verarbeiten und an andere zu weiterzugeben wie wir das eben mit unseren Konzerten getan haben. Wir sollten die Voraussetzungen unserer Realität einfach entspannt akzeptieren. Und wir finden zu dieser Haltung, indem wir uns einfach auf uns selbst konzentrieren. Die Frage ist immer: Was kann ich als Individuum oder – wie in unserem Fall – gemeinsam mit Gleichgesinnten erreichen?
Zum Programm gehört ja der Song I Feel Pretty aus der West Side Story. Wann fühlen Sie sich – im übertragenen Sinne – hübsch?
Jan Vogler: Ich fühle mich am besten, wenn ich auf der Bühne stehe. Nichts verschafft mir größere Glücksgefühle, als mit meinem Cello aufzutreten. Mein Instrument ist das Zentrum meines Universums.
Bill Murray: Dem kann ich nur beipflichten, auch wenn ich selbst mein Instrument bin. Es gibt nichts Besseres, als in meinem Job zu arbeiten, egal in welcher Rolle.
Auch wenn Sie die Schauspielerei offenbar genießen, so scheinen Sie sich nicht um Rollen zu reißen, Herr Murray. Sie haben angeblich keinen Agenten.
Bill Murray: Das ist richtig, denn ich will einfach nicht in meiner Ruhe gestört werden. Irgendwie kommen die Rollen schon auf mich zu. Ich sitze einfach da und warte ab. Das habe ich mir vor längerer Zeit einmal vorgenommen. Ich wollte wählerischer sein, nicht Filme wegen des Geldes drehen, sondern mir künstlerische Projekte aussuchen, die meinem Geschmack entsprechen. Und das hat sich dann bewährt, selbst wenn ich nicht mehr die gleichen Gagen wie früher bekomme, weil solche Produktionen ein geringeres Budget haben. Aber dafür mache ich eben die Filme, auf die ich Lust habe. Und weil diese Filme nicht viel kosten, kann sich auch kein Produzent einmischen und mir sagen, wie ich meinen Job zu machen habe.
Und welche Angebote sortieren Sie automatisch aus?
Bill Murray: Die, in denen ich negative Emotionen ausdrücken muss. Deshalb spiele ich aus Prinzip nicht in brutalen Filmen. Zum Glück.
Doch Düsterkeit ist Teil des Lebens. Auch die Musik beschäftigt sich mit negativen Emotionen.
Jan Vogler: Das heißt aber nicht, dass man diese an das Publikum weitergeben soll. Es ist egal, wie wir als Künstler uns innerlich fühlen. Unsere Pflicht besteht darin, den Menschen so viel positive Energie zu vermitteln, wie wir nur können. Das ist auch grundsätzlich meine Lebenseinstellung. Wenn ich positive Kraft nach außen trage, dann bekomme ich die zurück – und ich fühle mich besser. So kann das ganze Leben besser werden. Dazu leistet wiederum unser Film seinen Beitrag. Denn er weckt in den Zuschauern positive Gefühle und bestärkt sie in ihrer Humanität. Hoffentlich. Ich weiß, das ist ein starkes Statement, aber so denke ich nun mal.
Bill Murray, Jan Vogler and Friends: „New Worlds“ (2017 Decca)
Mehr zu dem Film New Worlds – The Craddle of Civilization von Andrew Muscato unter: www.nedafilm.gr