John Andrews

Zwei­deu­tiges Opern­ver­gnügen

von Roland H. Dippel

12. Dezember 2020

John Andrews am Pult des BBC Concert Orchestra bei der Wiederentdeckung der musikalischen Komödie The Dancing Master von Malcolm Arnold

Warum kommen manche Trou­vaillen erst so spät auf die Silber­scheibe? Ihre post­hume Urauf­füh­rung erlebte die Opern­ko­mödie The Dancing Master des Brücke am Kwai-Kompo­nisten Malcolm Arnold 2012 bei einem Festival in seinem Heimatort Nort­hampton. Zu Arnolds Lebzeiten gab es nur eine Laien­auf­füh­rung mit Klavier und eine Studio­auf­nahme. Diese späte Wieder­gut­ma­chung geschah auf Initia­tive des Diri­genten John Andrews. Das BBC Concert Orchestra und die Sänger lassen die melo­diöse Partitur zu einem satten Hörver­gnügen werden. Sie genießen das tonale Ensem­ble­stück von den Zungen­spitzen bis zum Zwerch­fell – und bis zur Tristan-Para­phrase in Zeit­lupe.

Die für Filme des mitt­leren 20. Jahr­hun­derts unver­zicht­bare Bega­bung des gesti­schen Kompo­nie­rens besaß Arnold. So kann man seine Partitur ohne weiteres als annä­hernd eben­bürtig zu Nino Rotas souverän in den Spuren des 19. Jahr­hun­derts wandelnden Floren­tiner Strohhut betrachten. Nur war Arnolds Stoff­wahl den prüden Jahren um 1960 viel zu weit voraus, obwohl das Sujet der Heirats­nöte einer höheren Tochter aus dem tiefsten Hoch­ba­rock stammt. The Gentleman Dancing Master (1671) war eine Anleihe bei Calderóns El maestro de danzar: William Wycherley gestal­tete die Verklei­dungs- und Einschleich­ma­növer, wie man sie aus Der Wider­spens­tigen Zähmung oder Der Barbier von kennt, zum drama­ti­schen Knoten­punkt: Fast jeder Satz enthält eine Zwei­deu­tig­keit, und über­dies war das Tempo von Joe Mendozas Libretto für eine Fern­seh­oper im Jahr 1961 viel zu beschleu­nigt.

Mit der Geschmei­dig­keit seines Timings orien­tierte sich Arnold an Verdis Falstaff, musi­ka­lisch agiert er in etwa glei­chem Abstand zu Bern­stein und Britten. Seine Musik hat weder engli­sches noch spani­sches Kolorit, manchmal spricht aus den Stro­phen- und Kavatinen-Gebilden eine Vorliebe für die italie­ni­sche Opern- und Gesangs­schule. Also nichts Neues für die musi­ka­li­schen Gewohn­heiten der briti­schen Inseln. Mit dieser Oper hätte sich Arnold zu Lebzeiten als der genau rich­tige Mann für die Verto­nung einer Gesell­schafts­ko­mödie von Oscar Wilde empfohlen. Sexu­elle Energie kleidet und verschleiert er mit einer äußerst melo­di­schen, eleganten und dabei burlesken Tonsprache. Das Ensemble dieser Einspie­lung ist dafür gold­richtig: Jugend­liche Stimmen mit jener Gleich­gül­tig­keit gegen­über Zwei­deu­tig­keiten, die diese erst recht komisch macht.