Woher kommt eigentlich ...

Der jüdi­sche Humor?

von Stefan Sell

1. Februar 2021

Mokant, selbstironisch, launisch und spielerisch: Der jüdische Witz ist die Königsdisziplin des feinsinnigen, ja, hochphilosophischen Humors.

„Woher kommt eigent­lich der jüdi­sche Humor?” – „Soll das ein Witz sein?” Eine Frage mit einer Gegen­frage zu beant­worten, ist ein wieder­keh­rendes Element jüdi­schen Humors. Ein Beispiel? Ein Nicht­jude fragt einen Rabbi: „Warum müsst ihr Juden auf eine Frage immer mit einer Gegen­frage antworten?” Der Rabbi über­legt, schaut ihn an und sagt schließ­lich: „Ja, nu, warum nicht?“

Schon im Talmud, einem der wich­tigsten Schrift­stücke des Juden­tums, ist zu lesen, Lachen könne das Alter zur Jugend machen. „Gott lacht mit seinen Geschöpfen, nicht über seine Geschöpfe.“ Eine Heimat hatte der jüdi­sche Witz zunächst im Osteu­ro­päi­schen, insbe­son­dere in Gali­zien. Von dort stammt auch Mascha Kaléko, „eine schrei­bende Frau mit Humor”, wie Tucholsky befand.

Mascha Kaléko
Die Dich­terin Mascha Kaléko
Am Kreuzweg fragte er die Sphinx:
Geh ich nach rechts, geh ich nach links?
Sie lächelte: „Du wählst die Bahn,
Die dir bestimmt ward in dem Plan.
Links braust der Sturm, rechts heult der Wind:
Du findest heim ins Labyrinth."

Über ihre Verse geriet Hermann Hesse ins Schwärmen: „Es ist eine aus Senti­men­ta­lität und Schnodd­rig­keit groß­städ­tisch gemischte, mokante, selbst­iro­ni­sie­rende Art der Dich­tung, launisch und spie­le­risch.” Eine herr­lich tref­fende Beschrei­bung, die auch auf die Seele des jüdi­schen Witzes zutrifft.

Doch Gali­zien ist verschwunden, der jüdi­sche Witz weiter­ge­wan­dert, unter­ge­taucht und immer wieder aufge­taucht. Er ist bei Heine zu finden, bei Kafka, bei Freud, bei Kishon und natür­lich auch bei Groß­meis­tern wie Mendele Moicher Sforim, Jizchok Leib Perez und Scholem Alejchem, von dem es hieß, „er hatte die Gabe, alles Schwere leicht zu machen”. Von ihm stammt der berühmte Tewje, der Milchiker, die Vorlage für das Musical Fiddler on the Roof. Alle drei haben dem Jiddi­schen zu Welt­ruhm verholfen.

Jüdi­scher Witz kommt scharf, grob und frech daher – im Herzen trägt er Tole­ranz und verzei­hendes Verstehen.

Heute findet sich der jüdi­sche Witz in neuen Formen vor allem im englisch­spra­chigen Raum wieder. Woody Allen hat ihm eine eigene Form gegeben. Der Londoner Komiker Sacha Baron Cohen verab­reicht ihm als Borat, Ali G oder Bruno eine Frisch­zel­lenkur, und Seri­en­jun­kies verzehren sich nach den zahl­rei­chen Staf­feln ameri­ka­ni­scher Sitcoms wie FriendsSein­feldHow I met your mother oder Bing Bang Theory, in denen mit wunder­barer Leich­tig­keit vorbe­haltlos gewit­zelt wird. Kost­probe?

Aus Friends:
Joey: „Phoebe willst du uns helfen?“
Phoebe: „Oh, ich wünschte, ich könnte, aber ich will nicht.“
Oder aus How I met your mother:
Kellner: „Guten Morgen, Leute. Was darf's sein?“
Ted: „Soße!“
Kellner: „Soll unter der Soße irgendwas sein?“
Ted: „Überraschen Sie mich!“

Die nicht ganz unum­strit­tene Erfolgs­au­torin und Heraus­ge­berin zahl­rei­cher Publi­ka­tionen des jüdi­schen Witzes Salcia Land­mann sieht in ein Urge­stein des jüdi­schen Witzes. Sein Blick auf unsere Welt hatte die „unbe­stech­li­chen Augen des unge­recht Verfolgten. Seine Bitter­keit nahm die Farbe des Witzes an, des spezi­fisch jüdi­schen Witzes.“

Der Autor und Musiker Jan Meye­ro­witz war der Meinung, der „echte jüdi­sche Witz“ könne zwar mit „Schärfe, Grob­heit und Frech­heit“ daher­kommen, aber im Wesen trage er „Tole­ranz, ein resi­gniertes Erzie­hungs­be­dürfnis, verzei­hendes, ja allzu verzei­hendes Verstehen” in sich.

Sigmund Freud
Der Schöpfer der Psycho­ana­lyse

»Der Witz ist die letzte Waffe des Wehr­losen.«

So reich­haltig und facet­ten­reich ist dieser Humor, dass Sigmund Freud eine ganze Abhand­lung über den Witz und seine Bezie­hung zum Unbe­wussten schrieb, darin der Satz: „Der Witz ist die letzte Waffe des Wehr­losen.” Der Witz ist also ein Gegen­mittel, ein Antidot zu den Unge­rech­tig­keiten, die insbe­son­dere Juden wider­fahren.

Der jüdi­sche Witz hat Doppel­sinn, Wort­witz, ist wahrer „Sinn im Unsinn“. Der schwarze Galgen­humor eines Kafka findet sich im Jiddi­schen wieder, das kluge Ausleuchten und Hinter­fragen verschie­dener Lebens­si­tua­tionen Kafkas ist dem jüdi­schen Witz verwandt, Schwä­chen werden zu Stärken, Skur­riles, Unge­wohntes zu Liebens­wertem, alles trägt Ironie, vor allem Selbst­ironie. „Der jüdi­sche Witz ist heiter hinge­nom­mene Trauer über die Gegen­sätze dieser Welt. Er zeigt immer wieder auf, dass – eben in dieser Welt voller Logik – die Glei­chungen, die ohne Rest aufgehen, nicht stimmen können”, schrieb der Dichter und Poli­tiker Carlo Schmid.

Masel Tov Cocktail
Szene aus dem Film Masel Tov Cock­tail von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch
(Foto: © Film­aka­demie-, Niko­laus-Schreiber)

Woher kommt er nun? – Ja, nu, woher wohl? Die Frage ist viel­mehr: Wo ist er jetzt? Zum Beispiel in dem ganz wunder­baren Film Masel Tov Cock­tail von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch, dessen Inhalt so beworben wird:

„Zutaten: 
1 Jude, 
12 Deutsche, 
5 cl Erinnerungskultur, 
3 cl Stereotype, 
2 TL Patriotismus, 
1 TL Israel, 
1 Falafel, 
5 Stolpersteine, 
einen Spritzer Antisemitismus. 
Zubereitung: Alle Zutaten in einen Film geben, 
aufkochen lassen und kräftig schütteln. 
Im Anschluss mit Klezmer-Musik garnieren. 
Verzehr: Vor dem Verzehr anzünden 
und im Kino genießen – 100% koscher.”