Vladimir Jurowski

Tradi­tion im Lichte der Zukunft

von Ruth Renée Reif

13. September 2023

Im Oktober 2023 feiert das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin seinen 100. Geburtstag – Ein Ausblick auf das Jubiläum mit dem Chefdirigenten Vladimir Jurowski.

Im Oktober 2023 wird das 100 Jahre alt. Sein Jubi­läum feiert es mit einem Diri­genten an der Spitze, der mit elek­tri­sie­renden Auffüh­rungen sowie heraus­for­dernden Programmen mitreißt und künst­le­ri­sche mit gesell­schaft­li­cher Verant­wor­tung verbindet: . Das Publikum jubelt ihm zu, und die Musiker, die Jurowski als „wunder­bares Kollektiv“ begreift, fühlen sich in ihrem Enga­ge­ment bestärkt. Das konge­niale Kunst­wollen wird bereits im ersten Silves­ter­kon­zert 2017 spürbar. Jurowski greift Michael Gielens Montage-Konzert auf. Um „das wirk­lich Entsetz­liche zu hören“, das dem Verstehen den Weg bahnt, wie Brüder­lich­keit hätte sein müssen, montiert er Arnold Schön­bergs Melo­dram A Survivor from Warsaw in Beet­ho­vens Neunte Sinfonie.

Als „fulmi­nant“ wurde auch sein Antritts­kon­zert mit einem Programm von Isang Yun über Schön­berg und bis zu Beet­hoven aufge­nommen. Werken des 20. und 21. Jahr­hun­derts misst Jurowski dieselbe Bedeu­tung bei wie dem Brücken­schlag in die Vergan­gen­heit und belebt damit eine wert­volle Tradi­tion des Orches­ters. Zahl­reiche zeit­ge­nös­si­sche Kompo­nisten standen selbst am Pult des Orches­ters und diri­gierten ihre Werke.

Wie die Konzert­pro­gramme so zeugen auch die CD-Aufnahmen von der tiefen Ausein­an­der­set­zung mit komplexen Werken. Für das Album von Strauss« sinfo­ni­scher Dich­tung Eine Alpen­sin­fonie wurde Jurowski als Diri­gent des Jahres 2022 mit dem Opus Klassik ausge­zeichnet. Über­zeugt von der Kraft der Musik, suchen die Musiker verstärkt den direkten Kontakt zum Publikum. Unter dem Motto „Mensch, Musik!“ regen sie zum Austausch über gesell­schafts­re­le­vante Themen an. Jurowski gibt durch mode­rierte Proben Einblicke in die Arbeit mit dem Orchester.

»Vladimir Jurowski beleuchtet die Tradi­ti­ons­li­nien aus gegen­wär­tiger Perspek­tive und verleiht dem Orchester Inspi­ra­tion für die Zukunft.« 

Einen Bruch bedeutet der 24. Februar 2022, als russi­sche Truppen in die Ukraine einmar­schieren. Jurowski ist erschüt­tert. Für das Konzert am darauf­fol­genden Samstag hat er mit dem Orchester ein Programm vorbe­reitet, das Werke von Tschai­kowsky, Rubin­stein und die Urauf­füh­rung des Concerto piccolo von Dmitri Smirnow enthält. Eine Geschichte Russ­lands in vier Natio­nal­hymnen heißt es im Unter­titel. Wie Smirnows Witwe, die Kompo­nistin Jelena Firsowa, die 2021/2022 Composer in Resi­dence ist, erläu­tert, hat Smirnow das bitter­böse Werk, das die vier Natio­nal­hymnen, die in Russ­land nach­ein­ander Verwen­dung fanden, und schließ­lich Nikolai Rimski-Korsa­kows Hummel­flug zitiert, im briti­schen Exil kompo­niert. Ange­sichts des Krieges ist es das Werk der Stunde. Zum Auftakt des Abends über­wäl­tigt Jurowski mit der ukrai­ni­schen Hymne von das Publikum.

Er bezieht eindeutig Stel­lung gegen den Krieg. Doch entschieden hält er daran fest, die Werke russi­scher Kompo­nisten aufzu­führen. Auf das Jubi­lä­ums­kon­zert am 29. Oktober 2023 darf man gespannt sein. Das Rund­funk-Sinfo­nie­or­chester Berlin ist ein tradi­ti­ons­rei­cher Klang­körper. Seine Geschichte erstreckt sich von der Weimarer Repu­blik über die Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus und die DDR bis zum wieder­ver­ei­nigten Deutsch­land und reicht zurück bis zur ersten musi­ka­li­schen Funk­stunde. Sie wird am 29. Oktober 1923 aus dem Vox-Haus am Pots­damer Platz, wo die Geschichte des Rund­funks in Deutsch­land ihren Anfang nimmt, gesendet. Aber auch an der Einwei­hung des Funk­hauses in der Masu­ren­allee, das später den Sender Freies Berlin und den Rund­funk Berlin-Bran­den­burg beher­bergt, wirkt das Orchester mit. Das Jubi­lä­ums­kon­zert nimmt diese histo­ri­schen Verwick­lungen zum Thema. Jurowski beleuchtet die Tradi­ti­ons­li­nien aus gegen­wär­tiger Perspek­tive und verleiht dem Orchester Inspi­ra­tion für die Zukunft.

Fotos: P. Meisel