Jasmin Tabatabai

„Musik musste für mich vor allem laut und kraft­voll sein!“

von Corina Kolbe

5. Dezember 2017

Jasmin Tabatabai (*1967 in Teheran) ist eine deutsch-iranische Schauspielerin und Sängerin. Bekannt wurde sie 1997 durch den Film „Bandits“, für den sie auch Songs geschrieben hat.

CRESCENDO: Ihr Vater war Iraner, Ihre Mutter stammt aus . Als Kind haben Sie mit Ihrer Familie in Teheran gelebt. Was ist Ihnen aus der Zeit beson­ders in Erin­ne­rung geblieben?

: Es war eine völlig andere Welt. Ich habe die ersten zwölf Jahre meines Lebens im Iran verbracht. Meine drei Geschwister und ich hatten eine sehr schöne, unbe­küm­merte Kind­heit. Ich erin­nere mich vor allem an viel Sonne, an lange und heiße Sommer. Jedes Jahr haben wir Urlaub am Kaspi­schen Meer gemacht.

Nach der Macht­er­grei­fung der Mullahs ging Ihre Familie Anfang 1979 nach Deutsch­land.

Wir wollten erst einmal abwarten, doch die Lage beru­higte sich nicht. Nach einem Jahr kehrte mein Vater allein in den Iran zurück, weil er keine Arbeit gefunden hatte. Meine Mutter blieb mit den Kindern in Deutsch­land, damit wir nicht in Unfrei­heit unter dem Chomeini-Régime aufwachsen mussten. Meinen Töch­tern würde ich es auch nicht zumuten wollen, sich verschleiern zu müssen. Sie sollen in einem Land leben, in dem sie selbst entscheiden können, wie sie sich anziehen.

Bedeu­tete der Umzug nach Deutsch­land für Sie einen Kultur­schock?

Ich war vorher jedes Jahr in den Ferien in Deutsch­land gewesen. Doch als wir dann hier­hin­zogen, fand ich es einfach nur fürch­ter­lich. Ich habe eine große soziale Kälte gespürt. Deutsch­land ist ein Land, in dem man sich als Fremder nur schwer einleben kann. Es dauert lange, bis man sich wirk­lich wohl­fühlt. Ich weiß nicht, ob das allen Deut­schen bewusst ist. Wenn das Eis aber erst mal gebro­chen ist, sind viele Bezie­hungen bestän­diger als anderswo.

Überall gibt es unge­schrie­bene Gesetze, auch im Orient.

Richtig, man muss immer zwischen den Zeilen lesen. Wenn man im Iran spontan Freunde besucht, würde einem niemand ins Gesicht sagen, dass man nicht will­kommen ist. Die Höflich­keits­formen dieser Kultur verbieten das. In Deutsch­land sagen die Leuten dagegen ganz offen, wenn es ihnen gerade nicht passt. Ein Iraner wäre deswegen tödlich belei­digt. In Deutsch­land darf man aller­dings nicht zu spät zu einem kommen. Das wäre im Iran kein Problem. Um eine neue Kultur zu verstehen, braucht man große Sensi­bi­lität und Lern­be­reit­schaft.

Was für eine Welt wünschen Sie sich für Ihre Kinder?

Ich finde, es ist aller­höchste Zeit, dass jeder von uns umdenkt. Die Globa­li­sie­rung führt dazu, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter ausein­an­der­klafft. Wenige Menschen werden immer wohl­ha­bender, sehr viele immer ärmer. Das wird auf Dauer nicht gut gehen. Was können wir dagegen tun? Zuerst einmal sollte jeder Einzelne von seinem Egoismus wegkommen.

Was denken Sie über , wo Sie gerade wieder für eine -Krimi­serie vor der Kamera stehen?

Berlin ist die viel­fäl­tigste Groß­stadt, die ich kenne. Ich wohne schon seit 1992 hier. Vor allem in den letzten zehn Jahren hat sich alles wahn­sinnig verän­dert, aller­dings nicht nur zum Guten. Die Billig­flieger bringen massen­weise Touristen mit Roll­kof­fern hierher, die dann in privaten Feri­en­apart­ments über­nachten. Bezahl­barer Wohn­raum für Fami­lien wird immer knapper. Irgend­wann wird es sich wohl kaum noch jemand leisten können, mitten in der Stadt zu wohnen.

In „Letzte Spur Berlin“ spielen Sie eine LKA-Ermitt­lerin, die nach Vermissten sucht. Auch in der Realität verschwinden in der Stadt viele Menschen.

Jedes Jahr werden in Berlin etwa 8.000 Vermiss­ten­an­zeigen aufge­geben. Die Serie ist also nah dran am wirk­li­chen Leben. Immer wenn ein Mensch verschwindet, gibt es ein Geheimnis zu lüften. Viele führen ein heim­li­ches Doppel­leben. Das gibt uns die Chance, span­nende Fami­li­en­dramen aufzu­de­cken. In anderen Krimis gibt es immer eine Leiche, bei uns dagegen manchmal auch ein Happy End.

Sie haben nicht nur als Schau­spie­lerin, sondern auch als Sängerin Erfolg. Wie kamen Sie zur Musik?

Auf der Schau­spiel­schule in bin ich bei einem Weih­nachts­singen durch meine Stimme aufge­fallen. Ich kam dann rasch in Kontakt mit Musi­kern. In den ersten Jahren in Berlin bin ich viel mit meiner Band „Even Cowgirls Get The Blues“ aufge­treten. In der Zeit fing ich an, selbst Lieder zu schreiben. In Katja von Garniers Film „Bandits“, mit dem ich 1997 bekannt wurde, gründe ich mit , Nico­lette Krebitz und Jutta Hofmann im Gefängnis eine Band. Mehrere Songs in dem Film stammen von mir.

Erst waren Sie Rock­sän­gerin, dann entdeckten Sie den Jazz.

Dazu hat mich die Arbeit mit dem Schweizer Kompo­nisten Klein inspi­riert. Er hat auch mein neuestes Album „Was sagt man zu den Menschen, wenn man traurig ist?“ produ­ziert. Jazz ist locker und lässig, eigent­lich frei von jeder Pose. Ich spüre darin eine gewisse Gelas­sen­heit, die ich mit 20 Jahren noch gar nicht verstanden hätte. Früher musste Musik für mich vor allem laut und kraft­voll sein.

Können Sie eigent­lich Noten lesen?

Nein, ich singe immer nach Gehör. Musik kommt bei mir direkt aus dem Herzen. Alles andere wäre mir viel zu verkopft. Als Schau­spie­lerin kann ich ja meine Texte auch auswendig, wenn ich auf die Bühne gehe oder vor der Kamera stehe. Selbst wenn ich jogge oder Liege­stütze mache, muss der Text im Körper sitzen. Nur dann kann ich alles mit Emotionen füllen und andere Menschen errei­chen.

Fotos: Emilio Esbardo