Andreas Englisch
Auf einen Kaffee mit…
7. Juli 2020
Andreas Englisch gehört zu einer kleinen Gruppe internationaler Journalisten, die einen engen Zugang zum Vatikan haben. Anlässlich seines Buches über Papst Franziskus trafen wir ihn zu einem Gespräch.
Andreas Englisch gehört zu einer kleinen Gruppe internationaler Journalisten, die einen sehr engen Zugang zum Vatikan haben. Von 1995 bis 2010 war Englisch Korrespondent des Axel Springer Verlages in Rom und verfasste mehrere Bücher über die katholische Kirche, auch über Papst Benedikt XVI. Anlässlich seines neuen Buches über Papst Franziskus trafen wir ihn zu einem gemütlichen Gespräch in München.
crescendo: „Zwei Dinge“, so ein Zitat von Papst Johannes Paul I., seien im Vatikan schwer zu bekommen: „Ehrlichkeit und eine Tasse Kaffee.“
Andreas Englisch: Dabei hat Papst Johannes Paul I. noch Glück gehabt und wurde bedient! Der jetzige Papst hat alles verändert. Ich kenne viele schlechte Pensionen in Rom. Aber das Essen in der Vatikan-Mensa ist mit Abstand das schlechteste. Nur sonntags gibt es Grillhähnchen. Unter der Woche ein Buffet mit kaltem Essen, das man in der Mikrowelle aufwärmen muss. Auch der Papst tut das, und während sein Essen aufgewärmt wird, schaut er reihum in den Speisesaal. Sein Blick verrät: „Ihr bekommt mich nicht klein.“ Er weiß, dass er 80 Prozent der Kardinäle gegen sich hat. Dann geht er mit dem Tablett durch die Reihen und setzt sich dorthin, wo frei ist. Und fragt fast jeden: „Was machen Sie eigentlich im Vatikan?“
Auch mit der Ehrlichkeit steht es nicht zum Besten, wie Sie in Ihrem Buch darstellen.
Jahrhundertelang hatten Kardinäle wie Fürsten gelebt und meinten, über dem Gesetz zu stehen. Ihre Geschichte ist von Machtkämpfen und kriminellen Machenschaften bestimmt. Akribisch konnte jetzt nachgewiesen werden, dass 2013 Schwarzgeld in Koffern aus der Schweiz in die Vatikanbank geschmuggelt werden sollte. 20 Millionen Euro in bar. Der verantwortliche Finanzprüfer des Vatikans wurde verhaftet.
Auch weil der neue Papst Franziskus sich weigerte, auf die Immunität zu pochen, die bis dahin jedem Mitglied der Kurie gewährt wurde.
Ja. Ich lebe seit 1987 in Rom. Ich hätte niemals geglaubt, dass ein Mann mit so einer Persönlichkeit überhaupt eine Chance gehabt hätte, gewählt zu werden. Es ist noch nicht lange her, da wurde der Papst auf der Sänfte in den Petersdom getragen. Doch als Jorge Mario Bergoglio zum 265. Nachfolger Petrus« inthronisiert wurde, war alles anders. Nach der Zeremonie sollte er von der Sixtinischen Kapelle mit dem Mercedes ins Haus der Heiligen Martha zum Abendessen gefahren werden. Dem Papst war das zu protzig. Er wollte mit den anderen im Bus fahren und unbedingt vorne sitzen. Schließlich sei er ja der Papst. Am nächsten Tag war die Inbesitznahme des Apostolischen Palasts…
…der Einzug in die offizielle Residenz des Papstes…
… der keiner war. Die beiden oberen Stockwerke mit der 700 Quadratmeter großen Dachterrasse sind für den Papst reserviert. Auf insgesamt 2.500 Quadratmetern Fläche befinden sich eine private Kapelle, Schlafräume, Speisesaal, eine moderne Küche und die Wohnungen für zehn Ordensfrauen, die für den Papst kochen und waschen, sowie des Kammerdieners und des Präfekten. Seit der Renaissance wird das Appartement nach dem Tod eines Papstes versiegelt, bis der neue Papst die Räume bezieht, weil die Kardinäle seinerzeit alles stahlen. Papst Franziskus aber weigerte sich, hier einzuziehen und bestand darauf, ein Zimmer im Haus der Heiligen Martha zu beziehen, dem päpstlichen Gästehaus, wo etwa beim Konklave die Kardinäle untergebracht werden. Diese dürfen ja nicht, wenn sie im Vatikan sind, in einem normalen Hotel in Rom schlafen. Dort lebt er nun und empfängt Gäste und verzichtet sogar…
… auf die Ordensfrauen?
Ja. Es gibt etwa 5.000 Bischöfe. Für jeden waschen, bügeln und kochen fünf Ordensfrauen. Das ärgert Papst Franziskus. Schließlich seien sie Ordensfrauen geworden, um Gottes Wort zu verkünden und nicht, um Bischöfe zu bedienen. Auch seine Aktentasche trägt Papst Franziskus selbst.
Wenn man Privilegien abschneidet, schafft man sich nicht Freunde.
Ja, besonders unter den Hardlinern hat er viele Feinde, auch aus theologischen Gründen. Er hat aber auch Freunde. Schließlich wählten sie ihn zum Papst, obwohl er sich mit der Kirche bereits als Kardinal in Buenos Aires angelegt hatte. Aber alles, was ich erzähle, ist noch kein Signal für eine Revolution. Das erkannte ich erst am ersten Osterfest 2013.
Erzählen Sie!
Am Morgen kam der Papst mit einem abgewetzten Umhang in die Sakristei des Petersdoms. Dort war alles vorbereitet. Die roten Schuhe, das weiße Spitzenhemd, das bereits Benedikt trug, der schwere Prachtumhang aus dem 19. Jahrhundert aus rotem Samt mit weißem Hermelin abgesetzt und echten Edelsteinen. Dazu ein zweiter Prachtmantel und der Camauro, der Hut des Papstes aus rotem Samt und weißem Hermelin. Franziskus weigerte sich, dies alles anzuziehen: „Sie verwechseln da was“, sagte er. „Ich bin der Papst, nicht der Weihnachtsmann.“ Jeder verstand, dass sich hier etwas ändert.
Selbst der bescheidenste Papst kann überfordert sein. „Junge Mütter sind für den Papst die Pest“, sagen Sie.
Sie müssen sich vorstellen: Der Papst geht in Richtung Petersdom, und drei Millionen Menschen stehen auf der Villa della Conciliazione hinter Absperrungen. Viele Mütter mit kleinen Kindern. Im Moment, wo der Papst an ihnen vorbeikommt, reißen die ihre Kinder in die Höhe, damit er sie segnet. Hunderte schreiende verzweifelte Kinder! Was machen wir bloß? fragte sich Benedikt XVI. Er war nicht so begabt im Umgang damit wie Johannes Paul II. oder Franziskus.
Können Sie uns auch erzählen, wie Sie selbst eigentlich dazu kamen, so viel Zeit im Vatikan zu verbringen?
Ich wollte Italienisch lernen, ging 1987 nach Rom mit 4.000 Mark in der Tasche. Nach wenigen Wochen war ich pleite und konnte immer noch kein Italienisch. Ich stellte mich einer amerikanischen Agentur vor, die mich fragte: Verstehen Sie was von Theologie, von der katholischen Kirche? Nein, antwortete ich. Ich wusste ja noch nicht einmal, wer der Papst zu diesem Zeitpunkt war. Waren Sie mal Messdiener? Ja, sagte ich, und dann bekam ich den Job als Vatikan-Korrespondent.
Und heute sind Sie gläubig?
Ich versuche halbwegs ein anständiger Katholik zu sein. Es gab Erlebnisse, die mir klarmachten, wie stark Glaube sein kann. 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro mit Papst Johannes Paul II.: Nach dem Gottesdienst fuhren wir im Auto, plötzlich mussten wir anhalten. Ein anderer Wagen sollte mich zum Pressezentrum fahren. Als ich ausstieg, sah ich die Copacabana, das Paradies, junge Mädchen im Bikini. Ich beschloss, die Wartezeit zu verkürzen und kurz ins Meer zu springen. Ich legte meinen schwarzen Anzug am Strand ab, mit Geldbeutel, Papieren und der Kennkarte, die mich als päpstlichen Mitarbeiter auswies und die Alarmanlage im Flugzeug des Papstes ausschaltet. Als ich zurückkam, war alles weg. Alles! Plötzlich kam ein Mann mit meinen Sachen: „Sie sind von der päpstlichen Delegation! Ich habe Ihre Sachen geklaut, dafür komme ich in die Hölle!“ Er warf sich vor mich hin und bat mich sogar, ihn zu segnen. Ich verstand das damals nicht. Heute ja. Das hat auch mit der beeindruckenden Persönlichkeit von Papst Franziskus zu tun.