„Kasimir und Karoline“ am Münchner Residenztheater
Blick in menschliche Abgründe
von Antoinette Schmelter-Kaiser
29. September 2025
Am Münchner Residenztheater inszeniert Barbara Frey Ödön von Horváths Beziehungs-Drama „Kasimir und Karoline“ vor der stilisierten Kulisse des Münchner Oktoberfests.
Jeder Münchner weiß: Glanz und Elend liegen auf dem Oktoberfest dicht beieinander. Nicht selten laviert das im Tagesverlauf von einem zum anderen Extrem: Erst schwärmen Besucher – oft in fescher Tracht – aus zu Zelten, Ständen und Fahrgeschäften. Stunden später verlassen sie die Theresienwiese wieder von leicht derangiert über schwankend bis komplett neben sich.
All diese Aggretatzustände durchlaufen auch die Protagonisten in Ödon von Horváths Drama „Kasimir und Karoline“ und das ins doppelter Zuspitzung. Denn erstens spielt das Stück Anfang der 1930er Jahre vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise, zweitens eskaliert der Beziehungskonflikt von Kasimir und Karoline bei einem Wiesnbesuch: Kasimir ist arbeitslos und nicht nach Feiern zu Mute, seine Verlobte hingegen möchte sich amüsieren, lässt sich von anderen Männern einladen und erhofft sich von ihnen blauäugig einen gesellschaftlichen Aufstieg.
In der Inszenierung von Barbara Frey, die kurz vor der Oktoberfest-Halbzeit am Münchner Residenztheater Première hatte, symbolisieren drei überdimensionale Maßkrüge auf einer ansonsten leeren Drehbühne das größte Volksfest der Welt. Vor, neben, hinter und in ihnen entzweien sich Kasimir (Simon Zagermann – mal kraftvoll, mal gebeutelt) und Karoline (Anna Drexler von naiv bis selbstbewusst) mehr und mehr, suchen Trost bei kleinkriminellen Freunden beziehungsweise Schmeichlern und geldigen Galanen. In der typisch Horváthschen Kunstsprache reden sie sowie alle anderen Figuren eher aneinander vorbei als miteinander, machen sich Hoffnungen, enttäuschen und werden enttäuscht. All das spielen sie so stilisiert, als handelten Marionetten statt Menschen; Letzteres wünschte sich Ödon von Horváths in seiner „Gebrauchsanweisung“ von 1932–35, wo er schrieb „Selbstverständlich müssen die Stücke stilisiert gespielt werden, Naturalismus und Realismus bringen sie um.“ Regisseurin Barbara Frey folgt auch seiner weiteren Regieanweisung „Alle meine Stücke sind Tragödien – sie werden nur komisch, weil sie unheimlich sind.“ Und so tritt Kommerzienrat Rauch (Oliver Stokowski) karrikaturenhaft-grotesk auf und demaskiert sich in seiner selbstgefälligen Gutsherrenart als Kapitalist par excellence. Erna (Juliane Köhler), ganz grazile Femme fatale, schwankt zwischen Hörigkeit und Kalkül. Am Ende des Abends dominiert das Gefühl der Tristesse, in menschliche Abgründe geschaut zu haben. Das Oktoberfest, auf dem es einem exakt so gehen kann, spielt eine untergeordnete Rolle, ist aber stimmige Kulisse für menschliche Irrungen und Wirrungen.