Robert Dölle, Evelyne Gugolz, Anna Drexler, Niklas Mitteregger, Oliver Stokowski, Thomas Lettow

„Kasimir und Karoline“ am Münchner Residenztheater

Blick in mensch­liche Abgründe

von Antoinette Schmelter-Kaiser

29. September 2025

Am Münchner Residenztheater inszeniert Barbara Frey Ödön von Horváths Beziehungs-Drama „Kasimir und Karoline“ vor der stilisierten Kulisse des Münchner Oktoberfests.

Jeder Münchner weiß: Glanz und Elend liegen auf dem Okto­ber­fest dicht beiein­ander. Nicht selten laviert das im Tages­ver­lauf von einem zum anderen Extrem: Erst schwärmen Besu­cher – oft in fescher Tracht – aus zu Zelten, Ständen und Fahr­ge­schäften. Stunden später verlassen sie die There­si­en­wiese wieder von leicht deran­giert über schwan­kend bis komplett neben sich.

All diese Aggre­tat­zu­stände durch­laufen auch die Prot­ago­nisten in Ödon von Horváths Drama „Kasimir und Karo­line“ und das ins doppelter Zuspit­zung. Denn erstens spielt das Stück Anfang der 1930er Jahre vor dem Hinter­grund der Wirt­schafts­krise, zwei­tens eska­liert der Bezie­hungs­kon­flikt von Kasimir und Karo­line bei einem Wiesn­be­such: Kasimir ist arbeitslos und nicht nach Feiern zu Mute, seine Verlobte hingegen möchte sich amüsieren, lässt sich von anderen Männern einladen und erhofft sich von ihnen blau­äugig einen gesell­schaft­li­chen Aufstieg.

In der Insze­nie­rung von Barbara Frey, die kurz vor der Okto­ber­fest-Halb­zeit am Münchner Resi­denz­theater Première hatte, symbo­li­sieren drei über­di­men­sio­nale Maßkrüge auf einer ansonsten leeren Dreh­bühne das größte Volks­fest der Welt. Vor, neben, hinter und in ihnen entzweien sich Kasimir (Simon Zager­mann – mal kraft­voll, mal gebeu­telt) und Karo­line (Anna Drexler von naiv bis selbst­be­wusst) mehr und mehr, suchen Trost bei klein­kri­mi­nellen Freunden bezie­hungs­weise Schmeich­lern und geldigen Galanen. In der typisch Horváth­schen Kunst­sprache reden sie sowie alle anderen Figuren eher anein­ander vorbei als mitein­ander, machen sich Hoff­nungen, enttäu­schen und werden enttäuscht. All das spielen sie so stili­siert, als handelten Mario­netten statt Menschen; Letz­teres wünschte sich Ödon von Horváths in seiner „Gebrauchs­an­wei­sung“ von 1932–35, wo er schrieb „Selbst­ver­ständ­lich müssen die Stücke stili­siert gespielt werden, Natu­ra­lismus und Realismus bringen sie um.“ Regis­seurin Barbara Frey folgt auch seiner weiteren Regie­an­wei­sung „Alle meine Stücke sind Tragö­dien – sie werden nur komisch, weil sie unheim­lich sind.“ Und so tritt Kommer­zi­enrat Rauch (Oliver Stokowski) karri­ka­tu­ren­haft-grotesk auf und demas­kiert sich in seiner selbst­ge­fäl­ligen Guts­her­renart als Kapi­ta­list par excel­lence. Erna (Juliane Köhler), ganz grazile Femme fatale, schwankt zwischen Hörig­keit und Kalkül. Am Ende des Abends domi­niert das Gefühl der Tris­tesse, in mensch­liche Abgründe geschaut zu haben. Das Okto­ber­fest, auf dem es einem exakt so gehen kann, spielt eine unter­ge­ord­nete Rolle, ist aber stim­mige Kulisse für mensch­liche Irrungen und Wirrungen.

Fotos: Matthias Horn