KlassikWoche 41/2019
Kindergarten, Handy-Eklat bei Mutter und zu viele Tote
von Axel Brüggemann
7. Oktober 2019
Heute mit einem Festspiel-Kindergarten, einem störenden Handy und einer obdachlosen Sopranistin – und leider mit viel zu vielen Toten.
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit einem Festspiel-Kindergarten, einem störenden Handy und einer obdachlosen Sopranistin – und leider mit viel zu vielen Toten.
WAS IST
Valery Gergiev dirigiert im Gazprom-Spot zur Champions League – nun sponsert das Unternehmen die Salzburger Festspiele.
WORÜBER WIR NICHT MEHR BERICHTEN
Nein, wir schreiben einfach nicht mehr über Neuigkeiten aus dem Salzburger Osterfestspiel-Kindergarten, nicht darüber, dass der amtierende Intendant Peter Ruzicka sich nun per Pressemitteilung gegen das Interview, das der designierte Intendant Nikolaus Bachler den Salzburger Nachrichten letzte Woche gegeben hat, zur Wehr setzt und dementiert, dass die Osterfestspiele wirtschaftlich unsolide seien. Wir berichten auch nicht darüber, dass die Lokalzeitung es nicht lassen kann, die Geschichte endlos im Kreis zu drehen und auch Christian Thielemann noch einmal befragte, der nun eine Intrige des Salzburger Landeshauptmanns Wilfried Haslauer ausmacht. Puh!, liebe Freunde: Genug ist genug. Im Verlieren zeigt sich wahre Größe. Die Würfel sind längst gefallen. Die Oper ist doch kein Kindertheater!
SALZBURGER FESTSPIELE: DEAL MIT GAZPROM
Die Fußball-Champions-League sponsert der russische Gas-Konzern Gazprom schon lange, und wer die Werbung kennt, ahnt seit Jahren, worum es den Russen außerdem geht: um ein gutes Image. Und das gibt’s in der Kultur. Valery Gergiev und Denis Mazujew sind Teil des Fußball-Spots. Und nun sponsert Gazprom auch die Salzburger Festspiele. Festspiel-Intendantin Helga Rabl-Stadler nennt es „ein willkommenes Geschenk für das 100-Jahr-Jubiläum im kommenden Jahr“.Kritik kommt von Österreichs Grünen: „Das schmutzige Geld eines russischen Staatskonzern sollte nicht mit Kultur-Kooperationen reingewaschen werden“, wird Simon Heilig-Hofbauer zitiert.
MÄDCHEN WILL NICHT BEI THOMANERN VORSINGEN
Wir hatten verschiedentlich über das Mädchen berichtet, das zunächst beim Staats- und Domchor Berlin vorsingen wollte und dann vom Thomanerchor Leipzig eingeladen wurde – weil die Berliner bei der Ablehnung blieben, ein Vorsingen aber juristisch sauberer erschien. Nun hat die kleine Sängerin, beziehungsweise ihre Mutter, beschlossen, dass sie das Angebot des Leipziger Chores nicht annehmen wird: „So lange ungewiss bleibt, ob der Thomanerchor überhaupt gewillt ist, Mädchen aufzunehmen, macht das Vorsingen keinen Sinn“, sagte die Mutter, die ihre Tochter auch als Anwältin vertritt der Berliner Zeitung. Irgendetwas befremdet mich ein wenig bei dem Gedanken, dass die durchaus wichtige Frage der Emanzipation in der Kultur gerade auf dem Rücken eines Kindes ausgefochten wird.
WAS WAR
DOMINGO TRITT IN LOS ANGELES ZURÜCK
Wie hier vor zwei Wochen bereits vermutet, ist Plácido Domingo nun tatsächlich von seiner Position als als Intendant der Los Angeles Opera zurückgetreten. Gleichzeitig hat der Ausrichter des mexikanischen Musikpreises Premio Batuta eine Kehrtwende hingelegt: Zunächst kündigte er an, dass er dem Tenor den Preis erst verleihen wolle, wenn die Nachforschungen in LA abgeschlossen seien – nun wird Domingo den Preis aber trotzdem bekommen und per Video zur Preisverleihung zugeschaltet. Für den Sänger scheint sich die Welt derzeit in die USA (contra) und den Rest der Welt (pro) aufzuteilen.
ANNE-SOPHIE MUTTER UNTERBRICHT KONZERT
In Cincinnati hat Anne-Sophie Mutter ihr Konzert unterbrochen, als eine Zuhörerin nicht aufhörte, sie mit dem Handy zu filmen. „Entweder werde ich gehen, oder sie packen ihr Telefon ein“, sagte die Geigerin.Das Mädchen sei angeblich sofort aufgestanden und habe um Entschuldigung gebeten, was für das restliche Publikum allerdings nicht zu hören war – es buhte das Mädchen aus und applaudierte, als es unter Tränen vom Präsidenten des Cincinnati Symphony Orchestra Jonathan Martin aus dem Saal geführt wurde. Warum man in einem Konzert filmt, erschließt sich mir nicht: Um sich nachher zu Hause die verwackelten Bilder der Veranstaltung anzuschauen, die man vor lauter Filmen verpasst hat?
PERSONALIEN DER WOCHE
Jessye Norman ist tot. Und irgendwie hat jeder, den man dieser Tage trifft, wunderbare Erinnerungen. Ein Manager erzählte mir, dass für Jessye Norman bei Gastspielen in der ganzen Welt stets das gleiche Mineralwasser vorrätig sein musste, dass bestimmte Blumen – auf Grund einer Allergie der Sängerin – nicht in ihrer Garderobe stehen durften und dass ein spezieller Lattenrost in ihren Hotelbetten angebracht werden musste. Den Versuch meiner Würdigung dieser einmaligen Stimme lesen Sie hier. +++ Wenn der Intendant der Wiener Staatsoper und designierte Intendant der Mailänder Scala Dominique Meyer im Oktober nach Italien kommt, werden die Mitarbeiter des Opernhauses voraussichtlich, wie angekündigt, ab 18. Oktober streiken – – Grund ist ein Streit um das Taggeld bei Tourneen +++ Dem georgischen Komponisten Giya Kancheli ruft meine Kollegin Ruth Renée Reif herzlich auf CRESCENDO nach. +++ Mit nur 56 Jahren ist der italienische Tenor Marcello Giordani gestorben. +++
AUF UNSEREN BÜHNEN
Paul Esterhazy hat im kleinen Oldenburg offensichtlich einen großen „Ring“ vollendet – so sieht es jedenfalls die NMZ: „Mit der Welt der ‚Götterdämmerung‘ zeigt der Österreicher Esterhazy einmal mehr seine politik‑, bzw. machtkritische Sicht, indem die Personen keine Götter, sondern in einem schweizerischen Bergdorf böse, sich belauernde und zerstörerische Menschen sind, wie Wagner selbst den Mythos ja auch als ‚ungemein scharfe Erkenntnis vom Wesen des Besitzes, des Eigentums‘ gesehen hat.“ +++ „Die geschmacklosen Weiber von Windsor“ übertitelt der Deutschlandfunk seine Kritik zur Berliner Première von Verdis Oper unter Daniel Barenboim: „Von Regisseur David Bösch und Bühnenbildner Patrick Bannwardt wird die Geschichte vom dicken Ritter Falstaff in eine besonders trostlose Ecke der Achtzigerjahre gesteckt und versandet dort ziemlich schnell. Zwischen RTL-Frauentausch und Al Bundys ‚Schrecklich netter Familie‘ ist nicht viel Platz für subtilen Humor, stattdessen gibt es nur Posse und Klamotte, billige Lacher und Schenkelklopfhumor“, findet Kritiker Uwe Friedrich.
WAS LOHNT
Eine Obdachlose in New York singt die bekannte Arie „o mio babbino caro.“
Der Spiegel postete diese Woche ein wunderschönes Video – die Polizei in New York hatte es ins Netz gestellt. Es zeigt eine offensichtlich obdachlose Frau, die mitten in der U‑Bahn der Millionenstadt, als sie sich unbeobachtet wähnte, begann, die Arie aus Puccinis Gianni Schicchi zu singen. Später stellte sich heraus, dass die Frau eine ausgebildete Opernsängerin aus Osteuropa war, die in den USA gestrandet war. Puccini ist ihr Begleiter in guten wie in schlechten Zeiten.
In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif.
Ihr