Kirill Serebrennikow
Der Fall Serebrennikow
11. Februar 2019
Der Fall Serebrennikow: Wie gehen deutsche Opernhäuser damit um, wenn ihr Regisseur zu Produktionsbeginn tausende Kilometer entfernt in Hausarrest sitzt?
Bis Ende April wird der nun schon 15 Monate dauernde Hausarrest des russischen Theater‑, Film- und Opernregisseurs Kirill Serebrennikow auf jeden Fall noch dauern. Denn sein Prozess wegen angeblicher Veruntreuung staatlicher Fördermittel hat ja gerade erst begonnen. Da geht es um 133 Millionen Rubel (etwa 1,7 Millionen Euro), die Serebrennikow und fünf Mitangeklagte in die eigene Tasche gewirtschaftet haben sollen, obwohl mit dem Geld 2011 „Platforma“ gegründet wurde, die ein großes Theater-Zentrum, das Gogol-Center, ermöglichte und finanzierte – ausdrücklich gewünscht vom damaligen Präsidenten Medwedjew.
Doch nun sind andere Zeiten angebrochen und mit dem Kultusminister Wladimir Medinski hat Serebrennikow einen Gegner, dem der nicht zuletzt bei der Jugend als Theater- und Filmschaffender hoch Geschätzter, ja Verehrter als Freigeist, Buddhist und Homosexueller ein Dorn im Auge ist.
Die Probenvideos werden via Regieassistent und Anwalt ausgetauscht
Verdis Frühwerk Nabucco und seine Geschichte von Heimat, Gefangenschaft und Freiheit, das am 10. März in Hamburg herauskommen soll, wird Serebrennikow genauso inszenieren müssen, wie er das mit Mozarts Così fan tutte getan hat, die am 4. November 2018 in Zürich Première feierte. Wer hätte gedacht, dass ein detailliertes Regiebuch und das vermittelte Regieführen durch den wechselseitigen Austausch von (Proben-)Videos und entsprechenden Kommentaren via Regieassistent und Anwalt aus dem Hausarrest heraus – denn Serebrennikow darf nicht ins Internet – eine so brillante, detailgenaue Inszenierung hervorbringen würden.
Serebrennikow treibt den zynischen Partnertausch auf die Spitze: Fiordiligi und Dorabella wird tatsächlich der Tod der Verlobten im Krieg suggeriert und sie bekommen deren Urnen in die Hand gedrückt. Statt verkleideter, sie überkreuz verführender Partner erscheinen nun wildfremde sexy Muskelmänner, die auf zweigeteilter Bühne oft unten die Frauen sexuell bedrängen, während Ferrando und Guglielmo in neutrales Schwarz gekleidetet meist oben singen und das Geschehen stumm kommentieren. Diese Brechung geht erstaunlich gut auf, ja oszilliert wie in einem Kaleidoskop, zumal spielender Alpha-Mann A und singender Poet B manchmal fast verschmelzen, sich dann wieder weit voneinander entfernen.
Eine halbkonzertante Fassung wird Serebrennikows Fantasiewelt nicht gerecht
Bei Hänsel und Gretel in Stuttgart ein Jahr zuvor, im Oktober 2017, hatte man sich noch entschieden, die fertigen Kostüme und das ebenfalls weitgediehene Bühnenbild einzulagern. Gezeigt wurde jedoch ein von Serebrennikow in Ruanda abgedrehter – und nun von Assistenten adaptierter – Film, der parallel zur Opernhandlung echten Hunger und exzessives Essen semidokumentarisch thematisiert. Er spielt sich hinter dem auf der Bühne sitzenden Orchester ab, während die auf Stühlen sitzenden Sänger mal ins Publikum agieren, mal zuschauen. Obwohl Serebrennikow der semikonzertanten Fassung ausdrücklich zugestimmt hatte, war das eine etwas halbherzige Angelegenheit. Sie wurde dem fantasievoll auch für das Kino immer wieder neue Welten erfindenden Regisseur nicht wirklich gerecht.
Sieben abendfüllende Spielfilme hat der 49-Jährige seit 2004 gedreht, zuletzt 2016 Uchenik – Student über einen bigotten jungen Mann, der nur in Bibelzitaten redet und seine Umwelt – vor allem eine liberale Biologielehrerin – gegen sich aufbringt, und Leto (2018), der gerade in den Kinos zu sehen war. Das ist ein grandioser, manchmal fiktiver Musik- und Liebesfilm über den realen Musiker Viktor Tsoi und seine Band „Kino“, gedreht in Cinemaskope und Schwarzweiß. Auch er konnte nur mit Hilfe von Assistenten fertiggestellt werden, wie Serebrennikows aktuelle Arbeit am Theater. Bleibt zu hoffen, dass dieser so innovative, produktive und progessive Regisseur endlich wieder frei arbeiten und in Theater, Oper und Film gleichermaßen Exzeptionelles leisten kann – wie bislang nur ein Patrice Chéreau.