KlassikWoche 03/2024

Klassik von Rechts

von Axel Brüggemann

15. Januar 2024

AfD-Netzwerke in der Kultur, die Frauen am Pult, wie sich gesellschaftliche Spaltungen im Theater äußern sowie eine spannende Statistik über das Klassik-Jahr 2023.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

will­kommen im neuen Klassik-Jahr! Auch 2024 ordnen wir die Klassik wieder jeden Montag für Sie ein. Und ich bin sicher, dass es gerade in dieser Zeit der Umbrüche viel geben wird, worüber wir gemeinsam und leiden­schaft­lich streiten können. Für die vielen Mails, Kommen­tare und Ihr Einmi­schen im letzten Jahr noch einmal: vielen Dank! Und nun, auf ins neue Jahr! 

AfD-Netz­werke auch in der Kultur 

Ich habe mich „zwischen den Jahren“ etwas inten­siver mit der Kultur­po­litik der AfD befasst. Was genau ist das Programm der Partei? Wer sind die Prot­ago­nis­tInnen? Und wie entstehen poli­ti­sche Kultur-Netz­werke vor unseren Augen? All das habe ich in einem ausführ­li­chen Video zusam­men­ge­fasst, das ich Ihnen sehr ans Herz lege. Gerade nach den aktu­ellen Veröf­fent­li­chungen der Recherche-Platt­form Correctiv über das geheime Treffen von AfD-Poli­ti­ke­rInnen und radi­kalen Rechten über „Remi­gra­tion“ von Menschen aus Deutsch­land erscheinen auch die neuen Klassik-Netz­werke beson­ders span­nend. Ich habe für mein Video unter anderem die Treffen bei Justus Frantz noch einmal aufge­drö­selt. Justus Frantz tritt inzwi­schen übri­gens auch im „Kontra­funk“ auf, einem rechten Podcast, in dem auch Matthias Matussek publi­ziert. Und der Potsdam-Gast Alex­ander von Bismarck ist ein enger Frantz-Vertrauter, war unter anderem im Vorstand des Förder­ver­eins der Phil­har­monie der Nationen, wie aus dem Vereins­re­gister des Amts­ge­richts Sten­dahl ersicht­lich wird. Klar ist: die Kultur­po­litik der AfD würde die deut­sche Kultur­land­schaft unwi­der­ruf­lich verän­dern. 

Die Frage mit den Frauen

Nein, Frauen sind weder besser noch sind sie weniger despo­tisch oder menschen­lie­bender als Männer. Und, nein: Eine Frau als Diri­gentin zu verpflichten ist noch lange keine Leis­tung an sich. Fakt ist aber auch, dass Frauen in der Klassik weiterhin unter­re­prä­sen­tiert sind. Das zeigte gerade die neue Statistik von Bach­track. 31.309 Veran­stal­tungen wurden ausge­wertet. Unter den 100 am meisten beschäf­tigten Diri­gen­tinnen und Diri­genten waren 2023 gerade einmal 14 Frauen. Immerhin geht es bergauf: 2015 waren es nur drei. Um so erstaun­li­cher, dass die Wiener Phil­har­mo­niker auch das nächste Jahr wieder mit einläuten wollen – inzwi­schen zum siebten Mal. Er gehört schon fast so fest zum Neujahrs­kon­zert wie der Radetz­ky­marsch! Das sorgt selbst im eher nicht moder­nis­ti­schen Öster­reich für aller­hand Irri­ta­tion (selbst der ORF ist verwun­dert). Ich freue mich schon auf die Diskus­sionen darüber am Donnerstag, beim Phil­har­mo­ni­ker­ball, der übri­gens vor 100 Jahren gegründet wurde. Und die Bayreu­ther Fest­spiele haben gerade , der für diesen Sommer den „Ring“ abge­sagt hat, durch ersetzt. Erst­mals wird nun eine Frau Bayreuth Wagners Tetra­logie diri­gieren, und erst­mals werden mehr Diri­gen­tinnen als Diri­genten am Pult der Fest­spiele stehen: neben Young noch und . und vertreten die Männer. Wie gesagt: Das allein ist noch kein Quali­täts­merkmal. Aber es ist am Ende eben doch ein Zeichen. Und ich finde das nicht unwichtig. Übri­gens über die Äuße­rungen von zu den Bayreu­ther Fest­spielen streiten wir herr­lich emotional in der neuen Ausgabe von „Alles klar, Klassik?“.

Perso­na­lien der Woche I

Franz Welser-Möst

Und was ist eigent­lich an unseren Thea­tern los? Über den Zoff bei der GMD-Ernen­nung in Kassel haben wir bereits berichtet, nun soll es auch in Mainz, am Haus von Markus Müller, krachen: Orchester und Inten­dant werden sich nicht einig über den besten Kandi­daten (die Awär­te­rinnen und Anwärter mussten wohl kostenlos vordi­ri­gieren) – das Verfahren steht auf der Kippe. +++ Span­nung auch an der Semper­oper bei den Proben zu Tristan und Isolde. Diri­gent will noch Mal eine große Wagner-Show hinlegen (mit ) und soll zum Abschluss seiner Amts­zeit beson­ders streng mit seiner „Wunder­harfe“, der Säch­si­schen Staats­ka­pelle, umgehen: Extra-Proben und einen rauher Umgangston dringen durch das Gemäuer der Semper­oper. +++ Der Diri­gent Franz Welser-Möst hat bekannt gegeben, dass er seinen Vertrag beim Cleve­land Orchestra nicht noch einmal verlän­gern wird. Im Juni 2027 wird er mit 25 Jahren Amts­zeit (länger als George Szell) das Orchester nur noch als Gast diri­gieren – kein anderer Orches­ter­chef wird das Orchester so lange geleitet haben wie er. +++ war zuletzt Chef des Konzert­haus­or­ches­ters in Berlin. Jetzt unter­schrieb der 83-Jährige einen Fünf­jah­res­ver­trag bei der Bres­lauer Phil­har­monie in seiner ursprüng­li­chen Heimat­stadt. +++ Die Kronen Zeitung in Öster­reich speku­liert, dass der Vertrag von Salz­burgs Fest­spiel­in­ten­dant even­tuell nicht verlän­gert wird und bringt Oster­fest­spiele-Chef ins Rennen. +++ Der Stadtrat in München hat die Gene­ral­sa­nie­rung des städ­ti­schen Kultur­zen­trums Gasteig beschlossen. Unklar ist, was der neue Gasteig kosten wird. 

Wie Theater auf Spal­tung reagieren

Egal, ob Migra­ti­ons­de­batte, Klima­pro­teste oder gender­ge­rechte Sprache: die unter­schied­li­chen Meinungen prallen in unserer Gesell­schaft immer heftiger aufein­ander. Grund genug für den mdr, bei Thea­tern in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach­zu­fragen: Wie wirkt sich die gesell­schaft­liche Spal­tung auf ihre Arbeit aus und wie kann Theater ihr entge­gen­wirken? Die Antworten gibt es hier. Zusam­men­ge­fasst: Theater empfinden, dass die Lager der unter­schied­li­chen Meinungen kaum noch diskus­si­ons­be­reit sind. Die Häuser reagieren mit Stücken, die den gesell­schaft­li­chen Wandel und die Verhär­tung der Fronten thema­ti­sieren. Viele Häuser setzen dabei auf Mitmach­theater und öffent­liche Debatten über die Kunst. Unbe­dingt lesens­wert!

Und noch eine Statistik

Die oben genannte Bach­track-Statistik lohnt sich auch in anderen Aspekten. Etwa bei den Top-Titeln des Jahres 2023: Ganz oben waren Rach­ma­ni­nows „Sympho­ni­sche Tänze“. Führende Kompo­nisten waren Dvořák, Beet­hoven, Brahms und Tschai­kowsky. Span­nend finde ich, dass Kompo­nis­tinnen auf dem Vormarsch sind. Es befanden sich 35 Frauen unter den 100 meist gespielten Zeit­ge­nos­sen­Innen. Erstaun­lich ist der Anteil zeit­ge­nös­si­scher Musik: Mit 7 Prozent liegt Japan auf dem letzten Platz, auf Platz eins liegen die USA mit 20 Prozent. Deutsch­lands Konzerte liegen mit 12 Prozent Gegen­warts­musik im schlechten Mittel­feld. Eine Erklä­rung könnte sein: in den USA wird mehr Film­musik und eingän­gige Neue Musik gespielt. Viel­leicht auch ein Anstoß, auch in Deutsch­land nach neuer, für ein breites Publikum inter­es­sante Musik zu suchen. 

Frank­reichs Kultur­po­litik wird Spiel­ball

Rachida Dati 
Foto: Steffylou via Wikimedia Commons

Erstaunen über die Kabi­netts-Umbil­dung von . Er hat Rachida Dati zur neuen Kultur­mi­nis­terin ernannt, eine schil­lernde Poli­ti­kerin der rechten Partei Les Répu­bli­cains mit merk­wür­digen Verbin­dungen zum aser­bai­dscha­ni­schen Régime. Der Tages­spiegel speku­liert, ob es sich bei der Ernen­nung der eins­tigen Sarkozy-Vertrauten um einen Deal handelt : Dati soll am Rechten Rand für Macron fischen, der könnte dafür ihre Bewer­bung als Bürger­meis­terin von Paris 2026 unter­stützen. 

Ach, Kai-Uwe!

Er hat es Mal wieder geschafft: Kai-Uwe Laufen­berg, Noch-Inten­dant am Staats­theater Wies­baden sorgt wieder für Schlag­zeilen, bevor er das Haus im Sommer endgültig verlassen und wahr­schein­lich für immer in der Versen­kung der pein­li­chen deut­schen Thea­ter­ge­schichte versinken wird. Wir haben so viel darüber geschrieben, deshalb heute ein Kommentar, der das Schlimmste für Kai-Uwe sein muss: schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen, schweigen. 

Perso­na­lien der Woche II

Heike Matthiesen

Der Diri­gent Jan Latham-Koenig wurde an der Victoria Station in London verhaftet. Ihm wird „Verab­re­dung und Beihilfe zu einem Sexu­al­de­likt an einem Kind“ vorge­worfen. Der Diri­gent wurde gegen eine Kaution wieder frei­ge­lassen, das Verfahren auf Februar fest­ge­legt. Das Teatro Colon in Buenos Aires trennte sich von seinem Chef­di­ri­genten, die Reak­tion der Novaya Oper in Moskau, bei der Latham-Koenig eben­falls tätig ist, steht aus. +++ Ihr Auftritt in Zürichs „Sweeney Todd“ war Ange­lika Kirsch­schla­gers letzter Auftritt auf einer Opern­bühne, erklärte die Sängerin in einem Podcast des Hauses. +++ soll neuer Chef­di­ri­gent der Dresdner Phil­har­monie werden. Bereits ab der kommenden Saison 202425 soll der Brite das Dresdner Orchester als desi­gnierter Chef leiten. +++ Daniel Carter ist seit Februar 2021 Gene­ral­mu­sik­di­rektor am Landes­theater Coburg. Nun hat er seinen laufenden Vertrag verlän­gert, nachdem bekannt wurde, dass er den Posten als GMD in Kiel nicht bekommen hatte. Merk­wür­diger Stil. +++ Die Gitar­ristin Heike Matthiesen ist ihrem langen Krebs­leiden erlegen und starb am 22. Dezember. +++ Die Mutter aus Marry Poppins, die Schau­spie­lerin Glynis Johns, ist mit 100 Jahren gestorben. Wir hoffen, dass sie im Himmel mit einem fröh­li­chen „Super­ca­li­fra­gi­li­sti­c­ex­pi­al­i­do­cious“ empfangen wird.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Machen wir erst einmal weiter mit dem Nega­tiven: Auf einer Podi­ums­dis­kus­sion in Bonn erklärte der dortige Thea­ter­in­ten­dant , dass er der even­tuell letzte Inten­dant der Stadt sein könne, der eine Oper geleitet habe. Helmich wird seinen Vertrag nicht verlän­gern und befürchtet, dass der immense Reno­vie­rungs­be­darf und die aktu­ellen Spar-Diskus­sionen dazu führen könnten, dass die Politik sich vom Musik­theater in Bonn trennt. Aber das muss nicht sein! Denn es spricht auch viel für die deut­schen Stadt­theater. Derzeit stecken sie in einem gigan­ti­schen Umbruch. So wie die ganze Klassik-Szene. Ich habe versucht, die Trans­for­ma­tion auf allen Ebenen für das Goethe-Institut zu beschreiben. Die Debatte beim Beet­hoven-Orchester war auch deshalb span­nend, weil GMD fest an das Fort­be­stehen der Musik in der Mitte der Gesell­schaft glaubt. Nach­zu­hören ist all das in einer Sonder­aus­gabe unseres Podcasts „Alles klar, Klassik“ (hier für alle Player, hier auf Spotify, hier auf apple podcast). Ich bin über­zeugt, dass sich in den kommenden Jahren viel ändern wird – und, ja: einiges wird viel­leicht auch sterben. Aber es entstehen bereits jetzt so viele neue Spiel­räume für die Musik, dass es span­nend sein wird, die Umbrüche mitzu­ge­stalten.

Wie enga­giert das passiert, dass können sie in der aktu­ellen Folge des Podcasts hören, wenn Doro­thea Gregor und ich uns in der Update-Folge von „Alles klar, Klassik?“ (hier für alle Player, hier auf Spotify und hier auf apple Podcast) in Rage reden – beson­ders über die Kultur­po­litik von Claudia Roth. Ein echtes Streit­ge­spräch! 

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif.

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Michael Baar, The Cleveland Orchestra, Kaupo Kikkas