KlassikWoche 19/2020
Parasiten, Pandemie und Paradebeispiele
von Axel Brüggemann
4. Mai 2020
Das Europa-Konzert der Berliner Philharmoniker in Kammermusik-Formation, die Sehnsucht von Markus Hinterhäuser, dass die Salzburger Festspiele stattfinden, die Sorge um die erkrankte Katharina Wagner.
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
Wenn da nicht die Ego-Intendanten wären, hätten wir dieser Tage wenig zu lachen: Unsicherheit, warten auf Hilfsgelder und Katastrophenmeldungen aus Bayreuth. Da ist man ja fast dankbar für ein wenig Wahnsinn!
UNSERE KLEINEN KEVINS
Unter Parasiten: Uwe Eric Laufenbergs Solo-Diskurse im Doppel.
Mein kleiner virtueller Video-Schlagabtausch mit Münchens Staatsopernintendant Nikolaus Bachler hat für erschreckend viel Wirbel gesorgt. In unserem lustigen Mail-Verkehr waren wir am Ende lediglich uneins, ob ich seine YouTube-Steilvorlage blöde gegen die Latte geknallt oder in ein Wembley-Tor verwandelt habe. Inzwischen hat Regie-Enfant-terrible Frank Castorf nachgezogen und dem Spiegel erklärt, dass er sich von Angela Merkel nicht diktieren lassen will, wann er seine Hände wäscht. Ach, Mutti, drück Deine verwöhnten verlorenen Kinder in der Krise doch einfach mal fest an Deinen Busen – das brauchen sie offenbar! Und dann hat mich noch ein anderer Kevin-ist-allein-zu-Haus-Intendant als „Parasit“ beschimpft und mit „Klopapier“ verglichen – seine Mail schickte er in CC an den Kollegen Bachler, quasi um aus dem fernen Hessen nach München zu schreien: „Ich, ich, ich – bin auch noch da!“ Allerdings rief Uwe Eric Laufenberg damit den Wiesbadener Kurier und Hessens Kunststaatsministerin Angela Dorn-Rancke (Grüne) auf den Plan, die ihn zu sich zitierte.
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Anschließend ließ sie wissen, sie habe Laufenberg „bei einem Dienstgespräch im Ministerium erläutert, dass sein Verhalten einen schwerwiegenden Verstoß gegen dienstliche Pflichten darstellt“. Immerhin! Viele Mitarbeiter des Wiesbadener Theaters haben in diesen Tagen bei mir durchgeklingelt und mir mit Sicherheitsabstand vom Alltag am Hause berichtet – heieieiei, da braut sich einiges zusammen. Ich vermute ja, dass der kleine Uwe Eric in Wahrheit auch nur ein Video wie der große Nikolaus wollte. Meinetwegen. Hier, lieber Uwe Eric – aber damit Du nicht noch größenwahnsinniger wirst, habe ich den Film für Dich gut versteckt. Also, wenn Du es wirklich, wirklich willst – dann schau: hier.
VORSICHTIGES ÖFFNEN
Ein Zeichen, immerhin – aber nicht viel mehr: Das Europa-Konzert der Berliner Philharmoniker
Die Berliner Philharmoniker waren nicht die Ersten, sind aber das prominenteste Orchester, das ein öffentliches Zeichen gegeben hat: In Kammermusik-Formation haben sie ihr Europa-Konzert gegeben, das eigentlich in Israel stattfinden sollte: zwei Meter Abstand zwischen den Streichern, fünf zwischen den Bläsern, jeder Musiker wurde auf Corona getestet – und das alles natürlich ohne Publikum. Ausgestrahlt wurde es im Fernsehen. Ein Zeichen der Hoffnung. Aber eben auch nicht viel mehr. So, wie die anhaltende Sehnsucht von Markus Hinterhäuser und anderen Intendanten, dass die Salzburger Festspiele irgendwie stattfinden. Aber seien wir ehrlich: Derartige Konzerte sind gut für die Moral der Musiker und vielleicht auch für das Stammpublikum – aber sie sind keine langfristige Lösung, weil sie viel zu teuer, zu exklusiv und am Ende auch musikalisch zu begrenzt sind.
Luzern jedenfalls hat inzwischen sein Sommerfestival abgeblasen, und auch Simon Rattle sagte in einem Zoom-Gespräch mit Alan Gilbert, dass er nicht vor November an Konzerte denke – wenn überhaupt. Noch realistischer sind da die privaten Veranstalter: Peter Schwenkow macht mit seiner DEAG derzeit monatlich erhebliche Verluste, erklärt aber, dass nicht einmal die politische Entscheidung das Ende seiner Sorgen bedeutet: „Selbst danach ist offen, ob die Fans noch Angst haben und vor den Besuchen zögern und ob die Künstler verfügbar sind. Vor dem Frühjahr 2021 wird sich wohl nichts wesentlich ändern.“
DIE LASCHETISIERUNG DER KULTUR
Will im September wieder spielen: die Mailänder Scala
Die „Laschetisierung“ der Kultur schreitet voran. Vielen Intendanten kann es mit der Öffnung derzeit nicht schnell genug gehen: Die Opern in Nordrhein-Westfalen wollen die Politik zu konkreten Aussagen zwingen. „Ziel muss“ es sein, heißt es, „den Vorstellungsbetrieb baldmöglichst, jedoch spätestens ab dem 1. September 2020, wiederaufzunehmen“. Als ob Viren sich an Forderungen halten. Ähnlich drängend der Brief der Generalmusikdirektoren an Monika Grütters: Sie fordern „jetzt dringend klare und belastbare Rahmenbedingungen und Vorgaben seitens der Politik bzw. der Gesundheitsämter“.
Wie stellen sich die Intendanten den Betrieb denn vor? Welches Publikum ist dabei, wenn jeder zweite oder dritte Platz freibleiben muss? Der Chef des durch seine internationalen Musiker besonders gebeutelten Gustav Mahler Jugendorchesters, Alexander Meraviglia, schrieb mir nicht ganz zu Unrecht: „Also, wenn die Lufthansa (natürlich aus reinen Kostenüberlegungen) argumentiert, dass Mundschutz statt freiem Nebensitz für die Gesundheit ausreicht– dann sollte das auch für Zuschauer in Oper und Konzert gelten.“
Fraglich, ob Dominique Meyer Wort halten kann und seine Mailänder Scala im September mit Verdis Requiem eröffnet – auf jeden Fall stellte er schon Mal außerplanmäßig die „Volksopern“ Aida, Traviata und Bohème auf das Programm.
GUTE IDEEN
Erklärt große Werke mit Kammermusikensembles: Joana Mallwitz.
Pragmatisch dagegen: Die Münchner Philharmoniker helfen der Stadt in Telefonhotlines oder im Lager aus. Der Organist Cameron Carpenter packte seine Giga-Touringorgel in Berlin auf einen Laster, hielt vor Altenheimen und anderen Einrichtungen und spielte. Das Augsburger Staatstheater verschickt persönliche musikalische Grußbotschaften. Sehenswert: Nürnbergs Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz erklärt in Kammermusik-Version die Siebte Sinfonie von Beethoven. Und dann ist da noch das DRIVE&LIVE der Musiklandschaft Westfalen: Ein Klassik-Autokino, in dem vom 15. Mai an neben Justus Frantz auch Felix Klieser oder Christoph Eschenbach live in Borken auftreten werden.
HORROR-JAHR FÜR BAYREUTH
Sorge um Bayreuths Festspielchefin Katharina Wagner, die auf längere Frist erkrankt ist und die Bayreuther Geschäfte derzeit nicht wahrnehmen kann – Heinz-Dieter Sense wird ihre Aufgaben zwischenzeitlich wahrnehmen. Alexander von Schönburg von BILD ist der wohl beknackteste Kommentar in einer derartigen Situation gelungen: „Ganz Bayreuth hofft auf eine schnelle Erholung Katharina Wagners. Nicht unbedingt aber auf ihre Rückkehr auf den Chefsessel.“ Was für ein Jahr: Pressesprecher Peter Emmerich ist verstorben, und die Festspiele mussten wegen Corona verschoben werden – ich wünsche Katharina Wagner viel Kraft für eine baldige und gute Genesung.
HILFE, WO BLEIBT DIE HILFE?
Werden ihre Ankündigungen auch umgesetzt – über Monika Grütters spalten sich die Meinungen.
Voran ging es in der letzten Woche beim Runden Tisch des Deutschen Bühenenvereins. Dort wurde ein Kurzarbeiter-Tarifvertrag für Stadttheater (und für Gäste) abgeschlossen. Angestellte mit weniger als 2.757 € brutto bekommen 100% vom Netto, zwischen 2.757 und 4.990 € brutto mindestens 95%, mehr als 4.990 € brutto mindestens 90%. (Alle Vereinbarungen hier). Während die Berliner Zeitung schon über den neuen Vorstoß von Kulturstaatsministerin Monika Grütters jubelte (ein Fonds für Projekte, die Möglichkeit, Ausfallhonorare zu zahlen und die Abstimmung eines Bundesfonds), macht sich nun Ernüchterung breit. Die Initiative Kulturschaffender erklärt, dass es – anders als von der Ministerin angekündigt – kein bundeseinheitliches Verfahren beim Sozialschutzpaket gebe. Den Worten von Grütters würden keine Taten folgen: „Leider mussten wir … feststellen, dass das Sozialschutzpaket in diversen Fällen nicht greift. Vermögensprüfungen finden grundsätzlich trotzdem statt und sind nicht ausgesetzt. Neben der allgemeinen Vermögensgrenze von 60.000 Euro der Person selbst existieren weitere Einzelgrenzen, z.B. darf ein privates Kraftfahrzeug mit einem Zeitwert von mehr als 7.500 Euro nicht behalten werden. Darüber hinaus irritierte vor allem, dass willige Antragsteller immer wieder bei Einreichung des vereinfachten Antrags auf den normalen Antrag vor dem Sozialschutzpaket verwiesen werden – in unterschiedlichen Konstellationen.“ Vorbildlich transparent geht das Konzerthaus Berlin vor, das die Regelungen der Stiftung Oper in Berlin auf seiner Seite veröffentlicht: Für Vorstellungsgagen unter 1.000 € brutto erfolgt eine Auszahlung von bis zu 70 % pro Vorstellung, maximal jedoch 300 € pro Vorstellung, für Vorstellungsgagen ab 1.000 € brutto erfolgt eine Auszahlung von bis zu 25 %, maximal jedoch 10.000 € je Gastkünstler pro Spielzeit, Nachgewiesene nicht stornierbare Reise- und Übernachtungskosten werden erstattet, die Regelung findet rückwirkend ab dem 13.03.2020 Anwendung.
UND SONST SO?
Lynn Harrell – eine Cellisten-Legende ist tot.
Alexander Buhr von DECCA wird neuer A&R‑Chef bei Sony Classical und damit einer der wichtigsten Mitarbeiter für Sonys Klassik-Chef Per Hauber. +++ Mit der Verlängerung des Beethoven-Jubiläumsjahres BTHVN2020 soll auch – so ist zu hören – der Vertrag von Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner um ein Jahr verlängert werden. Die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger scheint sich zu strecken. +++ Der Münchner Konzertveranstalter Georg Hörtnagel ist gestorben. Die SZ ruft ihm nach: „Aufgewachsen auf einem Bauernhof im Allgäu lernte Hörtnagel früh alle möglichen Instrumente spielen, mit 14 Jahren machte er heimlich die Aufnahmeprüfung am Augsburger Konservatorium. (…) Die Agentur, die seinen Namen trägt, betrieb und leitete Hörtnagel bis vor wenigen Jahren selbst. Er wurde 93 Jahre alt.“ +++ Abschied auch von der Cellisten-Legende Lynn Harrell,: „Sein Erkennungszeichen: dieser weiche, samtige Ton, der das Ohr anweht wie ein Lufthauch und dabei eine klare, festgefügte Botschaft transportiert“, schreibt der BR, „Für Lynn Harrell war das Cello eine weitere Stimme – weniger ein Instrument als mehr ein Organ, mit dem der Mensch all das äußern konnte, was seine Seele bewegt. Ganz nah solle der Musiker seinem Instrument sein.“
Und nun noch ein Lese-Tipp: Die Schauspielerin Maria Schrader, die in der Netflix-Serie Unorthodox Regie geführt hat, spricht mit meinem Kollegen Rüdiger Sturm über ihre musikalische Seite: „Ich wünschte, ich hätte gelernt, wie man improvisiert. Dann wäre ich unter Umständen dem Klavier auch treuer geblieben.“
Und weil wir mit den Intendanten begonnen haben: auch diese Woche geht der Preis für den verantwortungsvollsten, coolsten und lässigsten Chef wieder an die Komische Oper – auch wegen dieses Interviews.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif.
Ihr
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