KlassikWoche 19/2021
Unsere Intendanten: Die echten, starken Männer!
von Axel Brüggemann
9. Mai 2021
Unkreative Opernhäuser, Barrie Koskys Pläne mit der Zauberflöte, die Forderung nach Solidarität mit dem IMPULS-Festival
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute mit allerhand Intendanten-Kerlen, die ziemlich alt aussehen, einer Österreich-Stunde für Böhmermann, mit dem Kampf der AfD gegen das IMPULS-Festival und einer ziemlich genialen doors-Doku.
INTENDANTEN-TESTOSTERON GEGEN AMSTERDAM
Mein Highlight der Woche: Im großen Treffen der IntendantInnen für die FAZ lässt Kollege Jan Brachmann Alpha-Theatermacher wie Bernd Loebe (Oper Frankfurt), Peter Theiler (Semperoper Dresden) oder Dietmar Schwarz (Deutsche Oper Berlin) herrlich gegen eine Wand aus eigenem Testosteron laufen. Lustig, wie die Herren (von denen mindestens einer immer wieder gern zum Telefon greift, um Leute anzuschreien) beteuern, wie liberal es in der Klassik und ganz besonders an ihren Häusern zuginge. Na klar bräuchte man „political correctness“, „Konzepte gegen Rassismus und sexuelle Übergriffe“. Und natürlich könne es nicht sein, dass ein Klima von Macht und Angst an deutschen Häusern herrsche. All das hört sich an, als würde man Arnold Schwarzenegger zwingen, von mehr Blumenwiesen in „Terminator“-Filmen zu reden. Ist es wirklich ein Beleg für Friede-Freude-Opern-Eierkuchen, wenn Bernd Loebe erklärt, dass es in 20 Jahren an seinem Haus nur zwei „Vorfälle“ gegeben habe – oder ist es eher ein Zeichen des konsequenten Wegschauens? Zum Glück war Sophie de Lint (von der Oper in Amsterdam) mit von der Partie. Sie ließ die Kerle ziemlich alt aussehen. Während Theiler erklärt, dass am Ende eben einer (also: er!) Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen müsse, antwortet Lint ihm: Nö! „Ich lerne gerade, dass man doch kollektiv verantwortlich sein kann. Das ist nicht einfach, aber möglich. Man lernt dabei, neu zu denken.“
Und während Dietmar Schwarz davon faselt, dass man – trotz unterschiedlicher Kommunikationsmittel – vielleicht mal bei jungen Leuten nachfragen solle, was sie wollen, antwortet Lint: „Machen wir längst!“ Während der Pandemie hat Amsterdam Studenten und Absolventen der Hochschulen an die Ruder gelassen und danach neue Planungslinien formuliert: global versus regional, langfristig versus kurzfristig. Warum Oper in Deutschland in Zeiten von Corona so unkreativ, verwaltungsorientiert und mit sich selber beschäftigt war? Warum die Oper noch viel zu oft nach altem Mann müffelt, der von Dingen redet, die er gar nicht ernst nimmt? Antworten gibt das unfreiwillig schonungslose FAZ-Gespräch, bei dem am auffälligsten ist, wer NICHT daran teilgenommen hat.
DAS BÖHMERMANN-PRINZIP
Haben Sie am Freitag auch über Jan Böhmermann gelacht? Über seine halbstündige Real-Satire über die Gefährdung der Demokratie in Österreich durch Kanzler Sebastian Kurz und dessen „Türkise Bewegung“? Zum Glück gibt es derartige Machenschaften nur in der Politik. Die Kultur – und erst recht die Klassik – ist bei unseren Nachbarn schließlich eine Heilige Kuh! Quasi der humanistische Stolz der Petite Nation! Vetternwirtschaft, Korruption oder gar der Einfluss von Politik auf Medien sind in der Kultur natürlich unvorstellbar! Abwegig, dass Musiker der Wiener Philharmoniker auf kurzem Weg zu Ex-Präsident Fischer bei Corona-Impfungen vorgereiht würden, dass die junge Geliebte des Fernsehintendanten plötzlich eine Kultursendung im Hauptprogramm moderieren würde, dass sich das gebührenfinanzierte Fernsehen zu 50 Prozent an einer kommerziellen Klassik-Pay-TV-Plattform beteiligen und die von Gebühren produzierten Inhalte noch einmal verscherbeln würde oder dass Landeshauptleute (so etwas wie deutsche MinisterpräsidentInnen) durch finanzielle Beteiligungen ihrer Länder weitgehend persönlich entscheiden, welche Kulturveranstaltungen im Fernsehen übertragen werden – und welche nicht. All das wäre in der österreichischen Kultur undenkbar (Kulturminister war übrigens einst der von Jan Böhmermann in anderen Sachen unter die Lupe genommene Gernot Blümel). Sonst hätte ja längst irgendein österreichischer Journalist darüber geschrieben! Ach, Böhmermann, geben Sie es auf – von Piefkes lassen sich die Österreicher schon mal gar nichts sagen, die setzen sie höchstens in ihre so genannten Comedy-Sendungen, wenn sie bis zur Unkenntlichkeit domestiziert und garantiert untertänige Quoten-Schneemänner sind.
PERSONALIEN DER WOCHE
Sänger Christian Gerhaher, Vordenker von „Aufstehen für die Kunst“, übt im BR-Interview mal wieder Kritik an der Politik und zeigt Verständnis für die Schauspieler-Aktion #allesdichtmachen. Na denn. +++ Intendant Barrie Kosky will Computerspiele und Klassik fusionieren und gibt eine Fortsetzung von Mozarts „Zauberflöte“ beim finnischen Jazzkomponisten Iiro Rantala in Auftrag. +++ Ist diese neue Einspielung von Bruckners Dritter mit Christian Thielemann nun das Ergebnis von „kultureller Grundversorgung“, wie die Wiener Philharmoniker es gern nennen, oder doch nur eine einigermaßen weitere – ziemlich okaye – Bruckner-Einspielung? Immerhin: Wien scheint für den auf Kuschelkurs befindlichen Thielemann derzeit gut zu funktionieren. Über seinen offiziellen Status in Bayreuth gibt es allerdings noch nichts Neues (Musikdirektor ist er dort jedenfalls nicht mehr), und in Dresden soll es derweil ums Ganze gehen: um eine Vertragsverlängerung über 2024 hinaus – die Kapelle scheint nicht begeistert. (Nachtrag: inzwischen wurde der Vertrag mit Thielemann nicht verlängert). +++ Komponist und Pianist Kaan Bulak lieferte einen Debatten-Beitrag für einen New-Deal der Klassik. Seine Thesen: Klassische Musik soll als Bestandteil einer zeitlosen Kunstmusik betrachtet werden, Kunstmusik soll als Teil der Kunstszene im Austausch mit anderen Kunstformen stehen, allein der künstlerische Anspruch gibt eine Berechtigung zur Subventionierung. Sein Essay: hier. +++ Große Betroffenheit löste in der Klassik-Szene der Tod des Sologeigers der Pariser Oper und regelmäßigen Bayreuth-Musikers Laurent Verney aus, der mit 61 Jahren in Paris bei einem Fahrradunfall ums Leben kam.
IMPULS RETTEN!
Mal wieder steht das IMPULS-Festival in Sachsen-Anhalt auf der Kippe. Die Landesregierung hat die Förderung für 2021 abgelehnt. Außerdem ist das Festival zum Feindbild der AfD geworden, wie der Präsident des Komponistenverbandes, Moritz Eggert, berichtet. Er zitiert aus dem Parteiprogramm, in dem es heißt: „Patriotismus fördern – Kein Staatsgeld für antideutsche Kunst und Kultur!“ Und: „Die Kunstfreiheit ist kein Anspruch, jeden Schund gefördert zu bekommen. Deshalb will die AfD mit Staats- und Steuergeld nur noch solche Kunst fördern, die ihrer eigenen deutschen Kultur grundsätzlich bejahend gegenübersteht.“ Das IMPULS-Festival gehört für die AfD ausdrücklich nicht dazu. Die Festival-Macher brauchen Solidarität – jetzt!
UND IMMER WIEDER KULTUR-RADIO
Nachdem der rbb sein Kulturradio grundlegend verändert hat, tobt eine hoch emotionale Debatte. Immer neue Artikel und Meinungen. Journalist Arno Lücker schreibt nun in der nmz: „Alles deutet (für mich – und einige Interne, mit denen ich gesprochen habe) darauf hin, dass innerhalb der nächsten zwei bis vier Jahre rbbKultur mit WDR 3, MDR Figaro, NDR Kultur und Co. (ausgenommen bleiben BR und SWR) zu einer ‚ARD Kultur‘ zusammengelegt werden soll. (Sitz wird in Halle/Leipzig sein.)“ Zu fragen wäre auch: Was ist mit dem Kulturfernsehen? Was mit den Radio-Orchestern? Es ist wichtig, diese Entwicklungen zu verfolgen und öffentlich zu debattieren. Der aktuelle Streik von freien MitarbeiterInnen beim rbb scheint nur der Beginn einer massiven Auseinandersetzung zu sein, wie das DWDL-Magazin berichtet: „So boykottieren viele Freie bereits seit dem 1. Mai den RBB. Sehr sichtbar ist die Aktion, die die Freien mit den Hashtags #wirsindnichtda und #ohneFreiekeinProgramm ausgestattet haben, seit Beginn der Woche. Am Montag und Dienstag konnte die ‚zibb‘-Sendung nicht wie geplant gezeigt werden.“
Klassik Viral – ein Podcast von CRESCENDO
Wie schafft man es, sich von Corona nicht unterkriegen zu lassen?
Arnt Cobbers fragt nach. Bei Wolfgang Emanuel Schmidt und Carolina Eyck.
DER CORONA-KLASSIK-TICKER
Wie sollen Orchester mit MusikerInnen umgehen, die einen Test verweigern? Der BR verfolgt einen speziellen Fall: Ein Mitglied des Bayerischen Staatsorchesters klagt gegen seinen Arbeitgeber, weil es sich nicht testen lassen will und ohne Gehalt vom Dienst freigestellt wurde. Noch ist die Klage bundesweit ein Einzelfall – nicht aber die Weigerung von Musikern, sich testen zu lassen. +++ Während Österreich sich auf die Öffnungen des Kulturbetriebes am 19. Mai vorbereitet, herrscht in Deutschland nur noch wenig Hoffnung. Als erstes großes Theater der Hauptstadt gibt die Komische Oper Berlin die Saison verloren. Aufgrund der bis Ende Juni gültigen Regelungen der so genannten „Notbremse“ im Infektionsschutzgesetz werde man den regulären Spielbetrieb in der laufenden Spielzeit nicht wieder aufnehmen – andere Häuser hoffen derweil weiter. +++ Der Broadway hat eine vollkommene Öffnung für September angekündigt, wird die MET nun doch nachziehen?
UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?
Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt! Vielleicht hier? Selbst wenn Sie Hard-Core-Klassik-Fan sind – schauen Sie sich die Doku über das Debütalbum der doors auf Amazon Prime von Bob Smeaton an! Für mich eine echte Entdeckung: Die alten Musiker nehmen ihre Songs noch einmal – Stimme für Stimme – auseinander und erzählen Anekdoten, etwa wie sie über geniale Akkorde von Kurt Weills „Mahagonny“ gestaunt haben! Wenn Sie lieber etwas Albernes wollen, etwas zum Lachen, dann, bitteschön, habe ich einen Netz-Klassiker wiederentdeckt: Wie klingt ein Orchester, nachdem jeder Musiker einen scharfen Chili essen musste? So! Vielleicht auch ein Sinnbild für die aktuelle Lage.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
brueggemann@crescendo.de