KlassikWoche 30/2023

Der König von Salz­burg

von Axel Brüggemann

24. Juli 2023

Die künstlerische Enttäuschung, die Markus Hinterhäuser als Intendant der Salzburger Festspiele bereitet, sein Versäumnis, eine Debatte anzunehmen, und das Nachdenken über Alternativen wie Barrie Kosky oder Bernd Loebe.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit einer letzten und mono­the­ma­ti­schen Ausgabe vor der Sommer­pause. Es dreht sich alles um den Zustand der Salz­burger Fest­spiele, oder genauer gesagt: Ich werfe einen Blick auf die enttäuschten Hoff­nungen in den Inten­danten Markus Hinter­häuser

Rück­blick: Hoff­nung der Vergan­gen­heit

Markus Hinter­häuser war einst Hoff­nungs­träger: Er hat Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen in Restau­rants und Bars getroffen, ihnen von der exis­ten­zi­ellen Größe der Musik vorge­schwärmt, intel­lek­tuell mit , Gustav Mahler und Salva­tore Sciar­rino jongliert und ganz nebenbei nach­voll­ziehbar klar gemacht, warum zunächst , dann und später die Salz­burger Fest­spiele an die Wand gefahren haben – und: was er besser machen würde. Er, der Mann aus Salz­burg, hatte Salz­burg stets als großes Ziel vor Augen. Und viele von uns (auch ich) haben ihm die schönen Worte abge­nommen. Als er 2016 Inten­dant der Salz­burger Fest­spiele wurde, galt Markus Hinter­häuser als Erneuerer, als einer, der das konser­va­tive Klunker-Banken-Öster­reich mit links­in­tel­lek­tu­ellem Welt­geist vereinen könnte. Ein neuer Gerard Mortier – endlich!

Die Enttäu­schung

Aber Markus Hinter­häuser hat als Inten­dant leider vor allen Dingen künst­le­risch enttäuscht. All seine Vorgänger haben wenigs­tens irgend­etwas „hinter­lassen“, große Stimmen entdeckt (Anna Netrebko), geniale Diri­genten geholt () und den Fest­spielen eine eigene Rich­tung gegeben: vom Mozart-Spek­takel (Ruzicka) über den Regie-Jet-Set (Flimm) bis zum erbar­mungs­losen Glamour-Festival (Pereira). Nichts davon bei Hinter­häuser, im Münchner Merkur schrieb Markus Thiel diese Woche: „Das Festival hat es sich behag­lich im Bewährten einge­richtet“. In der Süddeut­schen heißt es über Salz­burg: „fad“ und „mutlos“.

Und tatsäch­lich, sobald Hinter­häuser Chef wurde, regierte er mit sehr persön­li­cher Agenda: Publi­kums­lieb­linge wie der Pianist Rudolf Buch­binder wurden von den Fest­spielen verbannt (statt­dessen wurden Mode-Pianisten wie verpflichtet). Und mit Salz­burgs erfolg­reichsten Produk­tionen (etwa Franz Welser-Mösts Strauss-Diri­gaten) schien Hinter­häuser sich nie so richtig iden­ti­fi­ziert zu haben. Während er persön­lich auf etablierte Klassik-Marke­ting-Stars setzte (Igor Levit, , Anna Netrebko, ), gingen die wenigen echten Salz­burg-Entde­ckungen (wie Asmik Grigo­rian) eher auf das Konto der Diri­genten als auf das des Inten­danten. Der mutierte derweil vom intel­lek­tu­ellen Bohe­mien zum hand­zahmen Schoß­hund der alten Fest­spiel­prä­si­dentin: Helga Rabl-Stadler zog die Strippen, und er, der eins­tige Revo­lu­tionär, entpuppte sich als zerbrech­liche, unselbst­kri­ti­sche und selbst­mit­lei­dige Mimose. Schnell zeigte sich, dass dem klavier­spie­lenden Schön­geist der Mumm zum Inten­danten fehlte. Und seit Helga Rabl-Stadler die Fest­spiele verließ, wirkt ihr Zögling beson­ders verloren. 

Kritik ist doof

Was viele Wegbe­gleiter von Markus Hinter­häuser wohl erschreckt hat, war, wie unsou­verän er mit offen­sicht­li­chen Fehl­ent­schei­dungen umge­gangen ist. Ausge­rechnet der Mann, der vor seiner Inten­danz die exis­ten­zi­elle Bedeu­tung der Kunst für die Welt beschworen hatte, schien in einer realen Krisen­si­tua­tion den Blick dafür verloren zu haben, dass eine Welt im Wandel klare Kante in der Kunst benö­tigt (und keine persön­li­chen Befind­lich­keiten). Da war zunächst die völlig naïve Hoff­nung auf das große Geld aus Russ­land (Hinter­häuser stand hinter dem verhee­renden Gazprom-Deal der Fest­spiele), sein fast schon mani­sches Fest­halten an Teodor Curr­entzis und das Igno­rieren der Tatsache, dass der Diri­gent sich bis heute willent­lich abhängig vom System Putin, von VTB Bank, Gazprom und der russi­schen Regie­rung macht. Das hat weniger mit Gerad­li­nig­keit als mit Stur­heit zu tun (selbst Inten­danten wie Louw­rens Lange­voort oder – beide einst sehr nahe Curr­entzis-Freunde – haben verstanden, dass dem Diri­genten derzeit eher nicht zu vertrauen ist).

Hinter­häuser erklärte, dass sein Kompass die juris­ti­schen Grenzen seien, nicht das mora­li­sche Gewissen. Und so gab er ausge­rechnet den von ihm so oft als exis­ten­ziell beschrie­benen Kunst-Raum als Ort auf, in dem Moral verhan­delt werden kann (über dieses Phänomen habe ich in diesem Podcast übri­gens ausführ­lich mit Hinter­häuser-Fürspre­cher, dem Philo­so­phen , debat­tiert). Das dies­jäh­rige Motto „Die Welt ist aus den Fugen“ wirkt im Ange­sicht von Hinter­häu­sers realem Handeln wie eine hohle und inhalts­leere Phrase. Statt seinen Kriti­kern direkt zu antworten, zog Hinter­häuser es irgend­wann auch vor, seine Wahr­heiten lieber aus gesi­cherten Räumen heraus zu verkünden. Statt eine wich­tige, welt­män­ni­sche Debatte anzu­nehmen, schrumpfte er den Diskurs oft auf persön­li­ches Klüngel-Niveau. Fast schien es, als witterte Hinter­häuser plötz­lich überall jene Hinter­zimmer-Gespräche, die er früher selbst so gerne führte. 

Alte Freunde wenden sich ab

Voll­kommen ohne Not verlor Markus Hinter­häuser dann auch noch den Rück­halt vieler seiner intel­lek­tu­ellen Freunde, als er den Protest vom Publi­kums­lieb­ling gegen die Betei­li­gung der rechts­na­tio­nalen FPÖ an Salz­burgs Rechts-Regie­rung als „bemer­kens­werte gedank­liche Schlicht­heit“ kriti­sierte. Nun standen selbst alte Wegge­fährten wie Stefan-Zweig-Experte Klemens Renoldner öffent­lich gegen ihn auf (hier der Stan­dard-Kommentar dazu, und auch ich habe das in einer Video-Kolumne thema­ti­siert). Hinter­häuser wirkte in der Öffent­lich­keit plötz­lich fahrig, und hinzu kam seine merk­wür­dige Kreativ- und Mutlo­sig­keit bei den Fest­spielen, die Musik­jour­na­list lako­nisch so zusam­men­fasst: „Der Blick auf die Bilanz gepaart mit einer gewissen Mutlo­sig­keit und Träg­heit gebiert eben Programme wie 2023.“ Thiel vermutet eben­falls, dass Hinter­häuser die eigene Haus­macht verlor und sich nicht mehr gegen die Wiener Phil­har­mo­niker durch­setzen kann. Auf jeden Fall dürften die Phil­har­mo­niker über die musi­cAe­terna-Auftritte in Salz­burg nur wenig amüsiert gewesen sein (auf meine Anfrage wies Hinter­häuser zurück, dass er Curr­entzis auch als Ersatz-Diri­genten für Franz Welser-Mösts Macbeth anfragen wollte – nun diri­giert eben Phil­ippe Jordan).

Es ist eine Stil­frage, wie schamlos Markus Hinter­häuser und die Salz­burger Kultur­po­litik die neue Fest­spiel-Präsi­dentin zunächst feierten, um sie dann öffent­lich zu demon­tieren (wenn da nicht auch noch Rech­nungen offen sind!). Und auch unter Künst­le­rinnen und Künst­lern scheint der Rück­halt allmäh­lich zu bröckeln. Letztes Jahr gab es auf Grund von Hinter­häu­sers Spon­so­ring-Modellen Streit mit der Regis­seurin Yana Ross und dem Autor , das Obonya-Bashing kam hinzu, und ein Rechts­streit, in dem der Tenor Wolf­gang Ablinger-Sper­r­hacke gegen das Beschäf­ti­gungs­mo­dell der Fest­spiele klagt, wurde immer wieder verschoben und steht noch aus. Vieles deutet darauf hin, dass Hinter­häuser seine eigenen Fest­spiele nicht mehr im Griff hat. 

Der Provin­zi­elle

Und auch ein Groß­teil der öster­rei­chi­schen Presse, die Hinter­häuser einst als Erlöser feierte (und über­haupt erst ins Amt schrieb), steht ihm heute eher kritisch gegen­über. Der Stan­dard, der Falter oder der Kurier kriti­sieren seinen Kurs regel­mäßig, und über­re­gional scheinen die Salz­burger Fest­spiele eine immer klei­nere Rolle zu spielen (der deut­sche Jour­na­list Markus Thiel kommen­tiert: „Opern­pre­mieren wie Falstaff und Macbeth von Verdi plus Mozarts Figaro, insze­niert von Chris­toph Marthaler, und Martin Kušej, all dies hat wenig mit Kultur-Speer­spitze zu tun.“). Früher tanzte wenigs­tens Anna Netrebko auf den Tischen im Triangel: Heute wird Hinter­häuser hier viel­leicht wie bei Western von gestern mit seinen alten „Fuzzy-Freunden“ abhängen, mit Kušej, oder – ein Senioren-Stamm­tisch. Und auch Hinter­häu­sers letzte Fürspre­cher sind haupt­säch­lich alte Männer, die den Anschluss an eine neue mediale Wirk­lich­keit längst verloren haben und am liebsten weiter in der Welt von gestern leben würden.

Dass vom Ösi-Magazin News (Sie kennen ihn nicht? Macht nix, wir haben ihn hier bislang immer „Opi“ genannt) Hinter­häuser auf seiner Titel­seite als „Der König von Salz­burg“ kürt, dürfte ein Bären­dienst für den Freund gewesen sein (der Original-Titel und die Origi­nell-Vari­ante hier). Denn der Text zeigt zum einen, dass Hinter­häuser seine fein­geis­tigen, intel­lek­tu­ellen Freunde von damals inzwi­schen gegen den Quer­schützen aus dem billigsten Blätter-Boule­vard einge­tauscht hat. Zum anderen zeigt sich in solchen Arti­keln, wie der Inten­dant und seine Freunde das Salz­burger Amt verstehen: der Inten­dant als „König“, ein Monarch, der voll­kommen ohne Rück­sicht auf Realität und reale Kritik, stur seinen Weg geht – einer, der keine Wider­sprüche erträgt, der macht, was er will und belei­digt ist, wenn man ihm wider­spricht. Die Fest­spiele als Spiel­zeug eines kleinen, trot­zigen Kindes. Das Schlimmste aber ist, dass die einst so stolzen und inter­na­tio­nalen Salz­burger Fest­spiele durch derar­tige PR-Desaster auf das Debatten-Niveau tiefster Provin­zia­lität gesunken sind. Die Fest­spiele unter Markus Hinter­häuser scheinen haupt­säch­lich noch um Salz­burg selber zu kreisen – wie um eine geschmol­zene Mozart­kugel. Oder sie schrumpfen noch kleiner, auf die indi­vi­du­elle Befind­lich­keit des Inten­danten. Wie auch immer: So lang­weilig, unbe­deu­tend, provin­ziell und irrele­vant wie heute waren die Fest­spiele nach dem Krieg jeden­falls noch nie.

Und wie geht es nun weiter?

Markus Hinter­häu­sers Vertrag läuft 2026 aus. Dass er bislang noch nicht verlän­gert wurde, spricht Bände (jede Auffüh­rung wird so zur Gret­chen­frage seiner Zukunft). Die Karten scheinen sich gut zu verkaufen, frag­lich aller­dings, wie nach­haltig das 0/8/15 Problemlos-Programm ist und was Salz­burg in Zukunft noch von Bregenz, Grafenegg oder anderen Sommer-Spek­ta­keln unter­scheidet (Aix-en-Provence ist längst der span­nen­dere Fest­spielort). Der Inten­dant wirkt amts­müde, genervt und unaus­ge­gli­chen (schwant ihm etwa, dass er schon bald mit Holender, Sichrovsky und anderen uncoolen Zeit­ge­nossen ziem­lich einsam seine Wunden lecken muss?). Sein Landes­haupt­mann Wilfried Haslauer aus der Rechts-Regie­rung würden ihm sicher­lich noch mal zwei Vertrags-Jahre schenken. Aber hinter den Kulissen wird wohl bereits über Alter­na­tiven nach­ge­dacht: Dem Regis­seur und Ex-Inten­danten der Komi­schen Oper in Berlin, Barrie Kosky, wird demnach Inter­esse nach­ge­sagt (aber ist er inzwi­schen nicht auch etwas ausge­laugt?).

Span­nender wäre sicher­lich Frank­furts erfolg­rei­cher Inten­dant, der gerade in Erl geschasste Bernd Loebe, ein Mann mit Stra­tegie und Konzept. Oder doch eine öster­rei­chi­sche Lösung mit inter­na­tio­naler Ausstrah­lung? All das könnte diesen Sommer ganz entspannt im Café Bazar an der Salzach debat­tiert werden, wenn die Auffüh­rungen zu wenig Debatten hergeben (das mit dem „Bazar“ ist ein Insider-Joke, den Markus Hinter­häuser sicher­lich versteht, einfach mal bei ihm nach­fragen).

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Ich setze dieses Jahr mal aus in Salz­burg und freue mich dennoch auf einen Sommer mit viel Musik an anderen Orten, auf Ferien, auf das Paddeln und auf ein ausge­ruhtes Wieder­lesen in vier Wochen. Wenn Ihnen zwischen­zeit­lich lang­weilig wird: Verfolgen Sie doch, was die CRESCENDO Redak­tion auf Insta­gram treibt, besu­chen Sie unsere Strea­ming-Platt­form foyer, hören Sie doch mal in den Festival-Podcast mit rein, hören Sie die Themen-Podcasts von Alles klar, Klassik? nach (hier zum Thema Stimmen, hier zum Thema Die Zukunft der Kultur), oder schauen Sie mal auf meiner YouTube-Seite vorbei, auf der ich einige neue Videos hoch­ge­laden habe. Via Insta oder Twitter berichte ich natür­lich auch live von den Bayreu­ther Fest­spielen und anderen Kultur-Veran­stal­tungen. Also: Wir sehen uns. 

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de