KlassikWoche 37/2023

Es wird still für die Klassik

von Axel Brüggemann

11. September 2023

Die erschreckende Reaktion des SWR auf kritisch-journalistische Recherche, die Einsparungswelle beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die souveräne und aufgeschlossene Reaktion von Vladimir Jurowski auf die Klimaaktivisten.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit einem etwas ausführ­li­cheren Schwer­punkt­thema „Klassik in den Medien“. Die Fülle der Nach­richten stimmt bedenk­lich: Klassik-Zeit­schriften wie Fono Forum oder Opera News sterben, der öffent­lich-recht­liche Rund­funk schafft Klassik-Sendungen ab und plant, ganze Anstalten am Abend zu fusio­nieren. Gerade hat auch der Klassik-Streamer Takt1 sein Ende verkündet. Grund genug, um in diesem etwas größer ange­legten News­letter zu fragen, was all das für die Welt der klas­si­schen Musik bedeuten wird. 

Punkt 1: Der Print stirbt

Nun also auch das Fono Forum: Der Verlag des Klassik-Maga­zins hat seine Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beiter unter­richtet, dass das Heft am Ende des Jahres einge­stellt wird. Erst vor kurzem haben wir gemeldet, dass in den USA das Magazin Opera News aufge­löst wird. Und bei einer großen deut­schen Opern­zeit­schrift wird es – so hört man – in Kürze eben­falls perso­nelle Einspa­rungen geben. Die Klassik-Welt ist so klein, dass wir einander nicht wirk­lich Konkur­renz sind, da wir in einem Boot sitzen. Gerade in Zeiten, in denen Klassik-Bericht­erstat­tung auch in den großen Feuil­le­tons (vor allem in den Regio­nal­zei­tungen, aber auch in den Programmen der ARD, s.u.) weit­ge­hend verschwindet, fehlt es der Musik­szene allmäh­lich an regel­mä­ßiger und fach­kun­diger Beglei­tung. CRESCENDO hat auf diesen Trend bereits letztes Jahr reagiert: Wir geben nur noch ein opulentes Print­pro­dukt mit großen Inter­views und tiefen Geschichten pro Jahr heraus – eine Art Coffee-Table-Jahr­buch, in dem alle Tugenden des Drucks gefeiert werden. Der Rest des jour­na­lis­ti­schen Ange­bots erscheint online: aktu­elle Nach­richten, Album-Rezen­sionen, Veran­stal­tungs­tipps und Inter­views auf unserer Website, ein Klassik-Video-Guide auf der Seite Foyer.de, dazu dieser News­letter, der News­letter zum Fest­spiel-Guide und zu Foyer​.de.

Wenn ich hier persön­lich als freier Jour­na­list (und nicht als Kolum­nist des CRESCENDO) schreibe, beob­achte ich diesen Trend nicht allein mit Frust: Wo Altes geht, entsteht Neues. Ich persön­lich merke, wie aktiv, nahe und breit die Kommu­ni­ka­tion mit Lese­rinnen und Lesern in Zeiten der Digi­ta­li­sie­rung wird – und wie groß die Möglich­keit, Klassik-Themen auf allen Ebenen (vom Podcast über Videos bis zu News­let­tern und in sozialen Medien) zu disku­tieren. Da gibt es perspek­ti­visch auch Finan­zie­rungs­mo­delle. Und ich erlebe täglich, welche Wirkung echte Recher­chen, Kommen­tare und Debatten auf unseren Betrieb noch immer haben. Mit anderen Worten: Jour­na­lismus wirkt!

Auch Formate wie das VAN Magazin zeigen regel­mäßig, dass inhalt­liche Themen durchaus eine Leser­schaft haben. Und nur mit Viel­falt und Konkur­renz können wich­tige Debatten entstehen, wie etwa über , dessen Russ­land-Nähe an dieser Stelle seit Monaten intensiv recher­chiert wird, während bei VAN eher ihm nahe­ste­hende Musi­ke­rInnen seine Orchester-Arbeit begleiten. Doch allein mit derart unter­schied­li­chen Perspek­tiven bekommt die Klassik, was sie verdient: eine offene und trans­pa­rente Streit­kultur. In Zeiten des Umbruchs wird es wohl darum gehen, dass wir alle gemeinsam diese Kultur der Debatte aufrecht­erhalten: glaub­haft, ernst­haft und profes­sio­nell. Im Print, in den Feuil­le­tons, im Radio, im Fern­sehen und im Netz. (Der Link oben führt zu einer Video-Debatte zum Thema „Zukunft der Musik­jour­na­lismus“ vom Lucerne Festival mit u.a. und

Punkt 2: Teo, der SWR und ich 

Umso erschre­ckender ist, was ich persön­lich in den letzten Wochen erlebt habe. Der SWR hat meine monat­liche Kolumne, die ich beim Sender hatte, „pausiert“. Der Grund: Ich hätte die Gesamt­lei­terin des SWR Sympho­nie­or­ches­ters, Sabrina Haane (Foto), an dieser Stelle „herab­ge­wür­digt“ – worin genau die „Herab­wür­di­gung“ bestanden haben soll, wurde mir nicht mitge­teilt. Ich hatte regel­mäßig über die befremd­liche Öffent­lich­keits­ar­beit des Orches­ters berichtet und, ja, in Frage gestellt, ob es nicht gerade im öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk wichtig sei, offen und trans­pa­rent mit Recher­che­er­geb­nissen (in diesem Fall zur Causa Teodor Curr­entzis) umzu­gehen. Bereits nach Ausbruch des Krieges hatte ich beim Inten­danten des SWR, bei Kai Gniffke, nach­ge­fragt, wie sich kritisch-jour­na­lis­ti­sche Recher­chen um die Russ­land-Geschäfte des Chef­di­ri­genten des Sympho­nie­or­ches­ters mit dem redak­tio­nellen Selbst­ver­ständnis des SWR vertragen. Es kam damals keine Antwort. Auf meine Frage, warum die kriti­sche Diri­genten-Perso­nalie in den Programmen des SWR nicht (oder kaum) thema­ti­siert würde, erklärte mir Frau Haane persön­lich in einer Mail, dass sie darauf keine Antwort geben könne, da die Redak­tion unab­hängig vom Orchester operiere. Das scheint nun offen­sicht­lich nicht mehr der Fall zu sein. 

Der SWR führt in Sachen Teodor Curr­entzis seit Monaten einen Eier­tanz auf, aber ich bleibe dabei: Der öffent­lich-recht­liche Rund­funk ist eine exis­ten­ziell wich­tige Einrich­tung in Deutsch­land, und gerade in Zeiten, in denen er von unde­mo­kra­ti­schen Kräften ange­griffen wird, muss er mit voll­kom­mener Trans­pa­renz antworten. Beim SWR haben wir derzeit aller­dings die Situa­tion, dass das Sympho­nie­or­chester von einem Diri­genten geleitet wird, der nebenbei Geld bei VTB und Gazprom verdient, der sagt: „Wer Russ­land liebt, braucht Russ­land nicht fürchten“ und dessen Musi­ke­rInnen bei musi­cAe­terna deut­sche Jour­na­listen „Faschisten“ nennen (Curr­entzis hat sich davon nie distan­ziert). Gleich­zeitig wird die Kritik am eigenen Handeln „abge­stellt“. Ich habe diese Entwick­lung lange für ein Kommu­ni­ka­tions-Problem gehalten, verstehe nun aber, dass genau das offen­sicht­lich von der Sende­lei­tung, nament­lich von Programm­chefin Anke Mai und Inten­dant Kai Gniffke, gewollt ist und dass viele Redak­tionen – ohne aufzu­mu­cken – mitspielen. Aus Angst? Aus Verun­si­che­rung? Aus Haltungs­lo­sig­keit? Oder gar aus Über­zeu­gung? Ich weiß es nicht! Liebe fest ange­stellte Redak­teure: Seid mutig, kämpft um Räume, Haltung und vor allen Dingen um eine Diver­sität der Perspek­tiven und Meinungen in Euren Programmen. Macht die Augen und die Ohren auf – und vor allen Dingen: den Mund. Es geht hier um die Musik, für die Ihr Euren Job einst ange­treten habt.

Punkt 3: Radio Einspa­rungs­welle

Span­nend war in diesem Zusam­men­hang auch das 22. Akademie-Gespräch in der Akademie der Künste in Berlin. Kai Gniffke erklärte hier, es gebe in der Kultur keine Strei­chungen, ledig­lich einen struk­tu­rellen Wandel – kein Wunder, dass die anwe­senden Kultur­schaf­fenden gegen den Inten­danten auf die Barri­kaden gingen.

Zu Erin­ne­rung: Die ARD plant, die regio­nalen Kultur­sender am Abend in einem Einheits­pro­gramm zusam­men­zu­schließen, WDR-Inten­dant hatte bereits die Radio-Orchester in Frage gestellt, und auch beim BR wird über radi­kale Einschnitte in der Kultur berichtet. Mit „Wandel“ erklärte der BR diese Woche auch, dass er den Twitter-Auftritt von BR-KLASSIK einstellt (er geht in BR24 auf). Nachdem der Sender bereits die Sendung KlickK­lack abge­schafft hat, sind wir gespannt, wann, wo und ob die neuen Formate denn wirk­lich entstehen. Noch ist davon nichts zu sehen. Immerhin wird demons­triert, gegen den geplanten Abbau im Programm von Bayern 2, unter anderem sollen Sendungen wie Kultur­Welt, das Bücher­ma­gazin Diwan, der Welt­Emp­fänger, das Kultur­journal, das Nacht­studio, der Nachtmix und radio­Texte auf der Kippe stehen. Ob es was hilft?

Punkt 4: Das Strea­ming-Miss­ver­ständnis

Und noch ein Aus: Der Klassik Strea­ming-Dienst Takt1 hört auf. Die Platt­form, die Medien-Pionier einst gegründet hat, wird einge­stellt. Noltze selber argu­men­tiert, die Konzert­ver­an­stalter seien noch nicht so weit, und es bestünde keine Bereit­schaft, für seine Dienste zu zahlen. Echt? Oder lag es doch eher an der biederen und weit­ge­hend unin­spi­rierten Aufar­bei­tung des Ange­botes? Dazu passt, dass Regis­seur gerade in der Sunday Times erklärte, dass Strea­ming keinen Sinn mache. Aber viel­leicht besteht das Problem auch darin, dass viele Streamer, viele Häuser und Verant­wort­liche noch immer nicht wirk­lich erkannt haben, dass das audio­vi­su­elle Medium eigene Vor- und Nach­teile hat. Natür­lich ist es unwahr­schein­lich, dass jemand zu Hause auf dem Sofa fünf Stunden lang eine Oper wie Parsifal im Fern­sehen schaut (das dient eher der Doku­men­ta­tion). Aber es gibt durchaus Formate, die funk­tio­nieren. Wo sind heute die Sendungen, die Auffüh­rungen mitein­ander verglei­chen? Wo die span­nenden und ehrli­chen Talks über Musik? Wo die kontro­versen Debatten? Wo der Zusam­men­schluss, in denen Ange­bote unter­schied­li­cher Häuser redak­tio­nell aufge­ar­beitet werden? Das Fern­sehen hat diese Formate längst aufge­geben – sie wären perfekt für Häuser und Strea­ming-Dienste. Wir haben doch längst gelernt: Der Fern­seher oder das Tablet ist kein Spiegel (oder Ersatz) für die Bühne, sondern ein eigenes Medium, in dem die Kunst der Bühne aus anderer Perspek­tive und mit anderen Möglich­keiten abge­bildet werden kann. Letzt­lich haben audio­vi­su­elle Klassik-Ange­bote eine ähnliche Aufgabe wie der Print, sie sind Platt­formen und Markt­plätze, auf denen die Inspi­ra­tionen, Provo­ka­tionen und Deutungen der Bühne ausge­stellt und debat­tiert werden können. 

Perso­na­lien der Woche

Letzten Freitag kam es im Konzert­haus in Luzern zu einem Zwischen­fall (Video oben): Klima­ak­ti­visten haben ein Konzert von unter­bro­chen – der reagierte souverän und ließ die Akti­visten ausreden. Im Publikum kam es zu tumulthaften Unmuts­be­kun­dungen. +++ Es ist eine Stil­frage: Seit nur einem Jahr ist Chef an der Volks­oper in Wien, ange­treten war er mit großen Zielen und massiven Perso­nal­ent­schei­dungen. Nun will er vorzeitig gehen, und zwar „aus persön­li­chen Gründen“ – schon zum Jahres­ende. 2025 wird er GMD an der Hambur­gi­schen Staats­oper. In Wien wird ihm nach­folgen. +++ Mein Freund Wies­baden-Inten­dant Kai Uwe Laufen­berg und sein Geschäfts­führer Holger von Berg haben das Haus zum Kinder­garten geschrumpft – nun bekommen sie schon zu Beginn der Saison profes­sio­nelle Hilfe: Die Landes­re­gie­rung hat eine Unter­neh­mens­be­ra­tung beauf­tragt, das Betriebs­klima zu verbes­sern. +++ Berlins Kultur­se­nator Joe Chialo kriti­siert vor ihrem Auftritt an der Staats­oper Berlin: „Es ist bedau­er­lich, dass bei ihrem Auftritt in Berlin eine wich­tige Facette ihrer Persön­lich­keit und ihres Stand­punkts fehlt, nämlich eine klare und unmiss­ver­ständ­liche Distan­zie­rung zum russi­schen Régime im Zusam­men­hang mit dem Angriffs­krieg auf die Ukraine.“ So zitiert die BZ den Poli­tiker.

Krebs ist ein Arsch­loch

Tenor erklärte in einem persön­li­chen State­ment, dass er unheilbar an Gallen­bla­sen­krebs erkrankt sei. Er schrieb über eine Lebens­er­war­tung von wenigen Monaten (maximal zehn) und dass es keine Heilung gäbe. Er wollte mit dieser Nach­richt das Ende der von ihm so geliebten Bayreu­ther Fest­spiele abwarten, feierte seine Kolle­ginnen und Kollegen. Ein guter Grund, in dieser Klassik-Welt daran zu erin­nern, dass es nicht nur um Applaus, Erfolge und Macht­kämpfe geht, sondern auch um Menschen, um gemein­same Wege, Siege und Nieder­lagen. Stephen Gould ist ein Fels hinter der Bühne, einer, der lust­volle Leich­tig­keit in Momente großer Anspan­nung bringt, der keine Konkur­renz, sondern tiefste Kolle­gia­lität lebt, einer bei dem jede Sekunde klar wird: Das Leben ist lebens­wert. Ein Helden­tenor als Mensch. Und, ja: Krebs ist ein Arsch­loch!

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Manche sagen: hier – beim Beet­ho­ven­fest in Bonn! Dort begann im dritten Satz der Neunten Beet­hoven-Sinfonie ein Baby zu schreien. Große Aufre­gung und eine breite Debatte. Auch ich habe auf meinem Insta-News-Profil nach­ge­fragt: Dürfen Babys ins Konzert oder nicht. Das Ergebnis ist erstaun­lich, 57 Prozent haben für „ja“ gestimmt, 43 Prozent für nein. Das Beet­hoven-Fest und Inten­dant Steven Walter haben eine lustige Grafik gepostet (siehe oben). Was erstaunt: Das Theater Bonn schien bisher keine Linie in dieser Sache gehabt zu haben, schaut man in die Geschäfts­be­din­gungen anderer Häuser, etwa des Konzert­hauses in Wien, ist die Kinder­frage klar gere­gelt: Es wird auf die vielen Kinder­kon­zerte und ‑ange­bote hinge­wiesen und erklärt, dass Karten für Abend­kon­zerte nur an Personen über fünf Jahre verkauft werden. Meine Part­nerin Doro­thea Gregor war live in Bonn dabei und berichtet in der neuen Folge von Alles klar, Klassik? über den Vorfall – außerdem disku­tieren wir natür­lich auch wieder den Rest der Klassik-Woche (unten für Spotify, hier für Apple­Pod­cast oder für alle anderen Player). Ach so, und wer einen echten, wahn­sin­nigen Konzert-Mara­thon in Bonn miter­leben will: Kommenden Samstag diri­giert erst­mals sein neues Orchester OneMusic – ein Abend in drei Teilen, mit 50 Prozent Urauf­füh­rungen und 50 Prozent Klas­si­kern – und zwischen­durch gibt es auch noch Diskus­sionen im Foyer, zu denen ich Sie herz­lich einlade!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de