KlassikWoche 40/2022

Au revoir und Dosvi­danja, Maestri

von Axel Brüggemann

3. Oktober 2022

...Oper Frankfurt von Bernd Loebe wurde „Opernhaus des Jahres“ (zum sechstem Mal in Folge), Kirill Serebrennikov wurde „Regisseur des Jahres“, Orchester des Jahres wurde das Bayerische Staatsorchester (zum zehnten Mal),...

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

diese Woche dreht sich alles um unsere Diri­genten: und verlassen ihre Orchester, spricht über Visionen für die Zukunft.  

Krach an der Wiener Staats­oper

Philippe Jordan

Das war ein Knall: Der Musik­di­rektor der , Phil­ippe Jordan, hat in der Öster­rei­chi­schen Zeitung Kurier ziem­lich selbst­mit­leidig Luft abge­lassen. Einer seiner Angriffs­punkte waren ausge­rechnet jene Regis­seure, für die er als Teil des Leitungs­teams mit verant­wort­lich ist: „Die Realität in der Arbeit mit den Regis­seuren sieht dann anders aus. (…) Das Resultat ist (…) leider immer seltener befrie­di­gend.“ Volle Breit­seite bekam auch Staats­opern-Inten­dant ab. Man habe sich ausein­an­der­ge­lebt, erklärte Jordan: „Ich hatte mir erhofft, dass ich hier in dieser Konstel­la­tion mein Ziel noch errei­chen würde, aber das war eindeutig eine Illu­sion meiner­seits.“ Viel zu lange hat der Inten­dant seinem Musik­di­rektor alle Frei­heiten gelassen. Obwohl Kritik als auch Orchester Jordans Arbeit wenig schätzen, über­ließ Roščić ihm alle großen Premieren. Heuer will Jordan noch Meis­ter­singer, Salome und Figaro diri­gieren, nach 2025 will er dann nicht mehr zur Verfü­gung stehen. Ob Roščić nach diesem Allein­gang so lange an seinem Diri­genten fest­halten wird (angeb­lich wollte er den Vertrag nicht über 2025 hinaus verlän­gern)?

Der aktu­elle Streit birgt die Gefahr, dass die beiden eine Pseudo-Regie­theater-Debatte lostreten: Jordan als Held der „Konser­va­tiven“, Roščić als inno­va­tiver Geist. Dabei war Roščićs Regie-Wahl bisher weder mutig noch inno­vativ. Die künst­le­ri­sche Kompe­tenz, so schien es über weite Stre­cken, hatte der einfalls­lose Direktor an Jordan-Manager Michael Lewin über­geben, aus dessen „Stall“ viele der Staats­oper-Beset­zungen kamen. Roščić entpuppt sich immer mehr als eine Art mit Tages­ge­schäft: Einer, der gern auf Züge setzt, die längst abge­fahren sind oder Trends bedient, die keine sind. Dennoch wurde Roščićs Vertrag bereits verlän­gert – wird er die Kraft (und die Ideen!) zur Neuerfin­dung der Staats­oper haben? 

Die Zukunft des Diri­gie­rens

Franz Welser-Möst

Wesent­lich mehr Mumm als Jordan hatte Franz Welser-Möst 2014. Von einem Tag auf den anderen hat er den Job als Musik­di­rektor der Wiener Staats­oper hinge­schmissen, weil auf Grund von Inten­danten-Eitel­keiten (damals regierte Domi­nique Meyer) keine Qualität mehr zu Stande kam. Welser-Mösts Karriere hat das nicht geschadet: Seit 2002 ist er Chef­di­ri­gent des Cleve­land Orchestra, hat gerade eine spek­ta­ku­läre Auffüh­rung aus dem Auto­graf der Zweiten Mahler-Sinfonie hinge­legt und sorgt mit seinen Diri­gaten (und Sänge­rInnen-Entde­ckungen) in Salz­burg regel­mäßig für Aufhor­chen. Für meinen Podcast „Alles klar, Klassik?“ habe ich mich mit Welser-Möst über Perspek­tiven des Diri­genten-Berufes unter­halten: Er glaubt daran, dass die Zukunft darin besteht, dass Diri­genten indi­vi­du­elle und lang­fris­tige Visionen für ein Orchester entwi­ckeln müssen: ein Reper­toire, an dem ein Ensemble wachsen kann, einen Ton, der das Orchester mit einer Stadt verbindet – und natür­lich: „Musik, die mir selber Spaß macht“. 

Im Podcast reden wir auch über das „Event“ Neujahrs­kon­zert, das Welser-Möst 2023 zum dritten Mal diri­gieren wird – 14 der 15 Stücke werden zum ersten Mal in diesem Rahmen aufge­führt (zur Offen­le­gung: Letztes Jahr habe ich gemeinsam mit Welser-Möst das Buch Als ich die Stille fand veröf­fent­licht). Im Inter­view erklärt Welser-Möst, dass er jungen Diri­genten empfiehlt, an mittel­großen Opern­häu­sern Erfah­rungen zu sammeln. Dass ein junger Diri­gent durchaus ein großes Orchester leiten kann, sagt dagegen Ulrike Niehoff, Orches­ter­di­rek­torin beim Concert­ge­bou­wor­kest in Amsterdam, die gerade den 26-jährigen Finnen enga­giert hat: „Klaus weiß genau, wie er seine Zeit einteilt und hat einen lang­fris­tigen Plan für das Orchester.“ Ich finde, beide Gespräche passen perfekt zu dieser Klas­sik­Woche, in der sich so viel um unsere Diri­genten dreht. 

Fran­çois-Xavier Roth ersetzt Curr­entzis

Erwartbar war, dass der SWR nicht mehr an seinem Chef­di­ri­genten Teodor Curr­entzis fest­halten würde. Nun erklärte das Orchester, dass das fusio­nierte Ensemble von 2025 an erneut über­nehmen wird. Curr­entzis wolle man auch „zukünftig verbunden“ bleiben. Wir haben in den letzten Ausgaben dieses News­let­ters verfolgt, wie Orches­ter­chefin Sabrina Haane um den heißen Russ­land-Brei herum­ge­eiert ist. Und daran hat sich noch immer nichts geän­dert: Der SWR lässt Curr­entzis (der eh nur noch wenige Diri­gate beim Orchester hat und nicht einmal mit dem Artist in Resi­dence gemeinsam auftritt) einfach wegschlei­chen.

So entgeht man unbe­quemen Raus­schmiss-Verhand­lungen, verzichtet aber auch auf drin­gend nötige Haltung in Sachen Putin-Verbin­dungen von Curr­entzis. Haane macht es ihrem Kollegen Paul Müller gleich, der auch nach der Anne­xion der Krim noch an bei den Münchner Phil­har­mo­ni­kern fest­hielt und den Putin-Propa­gan­disten erst um fünf nach zwölf raus­warf, um heute so zu tun, als hätte er nichts mit diesem Versagen zu tun. Ich persön­lich finde, gerade in Führungs­po­si­tionen der Kultur sollte man mehr Haltung verlangen können. 

The slowly ending story

Im Fest­spiel­haus in Baden-Baden scheint Inten­dant Bene­dikt Stampa gerade zu merken, wie vertrackt es ist, mit einem Orchester zu verhan­deln, das seit Jahren von einem putin­treuen Vorstand geleitet wird (was man gern igno­riert hat). Rund um den Musi­cAe­terna-Tristan gibt es offenbar noch viel Unklar­heit: Ob nun wirk­lich in Baden-Baden geprobt wird, ob man das Orchester über­haupt in den Westen bekommt, auf welches Konto man die Hono­rare bezahlt – all das war bis zu Redak­ti­ons­schluss noch offen. Aus dem Fest­spiel­haus heißt es: „Sie müssen sich es so vorstellen, dass der Austausch nicht konti­nu­ier­lich ist und oft auch einfach logis­ti­sche Dinge bespro­chen werden (…) Wir möchten uns (noch) einen Über­blick verschaffen – Ausgang derzeit unge­wiss.“ Blicke in einschlä­gige Social-Media-Kanäle zeigen, dass einige Musi­ke­rInnen von musi­cAe­terna sich längst wieder zu Putin orien­tieren und Nähe zu Valery Gergiev suchen (siehe Foto unten).

Ziem­lich klar ist auch, dass das Geschäft mit der Curr­entzis-Neugrün­dung, dem Orchester Utopia eher schlep­pend läuft. Dass ausge­rechnet Red-Bull-Mann die Combo finan­ziert, ist so sexy wie die Söldner-Geschichte von RB-Salz­burg. Zumal sein eigener Sender, Servus-TV die Wien-Première aus dem Wiener Konzert­haus über­tragen will – natür­lich mit („die Krim ist russi­scher als russisch“) als Mode­rator. Die Marke Curr­entzis fällt ihren Erfin­dern derzeit ziem­lich auf die Füße. Auch, weil sie in ihrer Gier nach Ticket-Geldern auf dem Auge der Welt­po­litik blind waren. Es ist eine Frage der Zeit, wer wie schnell welche Wand­lung voll­zieht. Wie werden sich Matthias Naske, Markus Hinter­häuser oder posi­tio­nieren? Jemand wie Inten­dant Jochen Sandig macht vor, wie es gehen könnte: Er hat die Face­book-Umar­mungs-Bilder mit Teodor Curr­entzis einfach gegen Face­book-Umar­mungs-Bilder mit ausge­tauscht – und die spielt lächelnd mit. War was? (Ach so, das Foto oben kursiert als Satire auf Twitter, seit der denk­wür­digen Lanz-Sendung letzte Woche, das Foto unten zeigt den musi­cAe­terna-Musiker Vladimir Slova­chevsky mit Valery Gergiev.)

9‑Euro-Ticket: Werbung oder Dumping? 

Eine Aktion des Theater Hagen sorgt für Aufre­gung: Für neun Euro kann man fast alle Vorstel­lungen des Thea­ters bis zum Ende des Jahres anschauen. Einmal zahlen und immer wieder hingehen. Ein Scoop der Marke­ting-Leiterin Mareike Hujo oder Wett­be­werbs-Verzer­rung zu Ungunsten freier Ensem­bles? Ich finde, gerade subven­tio­nierte Theater müssen die Krise derzeit aushalten. Lang­fris­tiges Dumping wäre die falsche Antwort! Lösungen müssen im lang­fris­tigen Alltag gefunden werden, im Programm, in der Veran­ke­rung vor Ort, im Sinn der eigenen Insti­tu­tion. Und trotzdem: Ein einma­liges, zeit­lich befris­tetes 9‑Euro-Ticket schafft Aufmerk­sam­keit und nutzt die Krise mutig als Chance. Wenn es um Marke­ting geht, ist das 9‑Euro-Ticket also durchaus gelungen! 

Perso­na­lien der Woche

Vera-Lotte Böcker

Die Jahres-Preise der Zeit­schrift Opern­welt wurden bekannt gegeben. Über­ra­schungen gab es eher nicht, gefeiert wurde das Alt-Bewährte: Die Oper Frank­furt von wurde „Opern­haus des Jahres“ (zum sechstem Mal in Folge), wurde „Regis­seur des Jahres“, Orchester des Jahres wurde das Baye­ri­sche Staats­or­chester (zum zehnten Mal), Vera Lotte Boecker wurde Sängerin des Jahres. +++ „Viele Musiker hören Wörter im Kopf während sie spielen. So auch bei mir. Und zur Zeit höre ich Sätze gegen Putin“ – diesen Satz sagte der Pianist in einem bewe­genden Inter­view mit der BBC, in dem er auch über Demü­ti­gungen als jüdi­sches Kind in Russ­land sprach. +++ Preis-Verdop­pe­lung: Die Kosten­schät­zung für die Reno­vie­rung der Komi­schen Oper in Berlin liegt nach Angaben der Senats­bau­ver­wal­tung bei 437,4 Millionen Euro. Vor vier Jahren waren noch rund 227 Millionen Euro veran­schlagt worden. +++ Markus Blume, Staats­mi­nister für Wissen­schaft und Kunst in Bayern will, dass der Bund den Thea­tern in der Ener­gie­krise hilft: „Eine Reihe von Kultur­ein­rich­tungen sind ja jetzt schon mit exor­bi­tanten Ener­gie­kosten konfron­tiert. Da ist zunächst erstmal der Bund gefor­dert. Aber wir werden auch gleich­zeitig in Bayern schauen, dass wir hier niemanden im Regen stehen lassen.“ Der BR hat zusam­men­ge­fasst, wie Bayerns Bühnen auf die Ener­gie­krise reagieren.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Ein Diri­gent scheint vom ganzen Wirbel der Woche unbe­ein­druckt zu bleiben. Einer, der überall, wo Posten vergeben werden, im Gespräch scheint. Aber hebt lieber ab – der Air-France-Pilot und sein Orchestre Phil­har­mo­nique de Radio France sind Prot­ago­nisten in einem schrägen Video mit dem Feuer­vogel für AirFrance. 

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: BR/picture alliance/APA/picturedesk.com, Julia Wesely, Wiener Staatsoper