Klaus Florian Vogt
»Wagners Helden sind sensibel und verletzlich«
von Maria Goeth
17. Juli 2021
Klaus Florian Vogt ist einer der größten Tenöre unserer Zeit. Privat ruht er vollkommen in sich, fährt mit seinem Motorrad, fliegt mit seinem Flugzeug oder packt seine Familie ins eigene Wohnmobil.
CRESCENDO: Wagners Helden sind krass! Da ist Tannhäuser in seiner Zerrissenheit zwischen leidenschaftlichem Sex und keuscher Liebe, Stolzing als nicht regelkonformer „Revoluzzer“ und Siegmund mit seiner Inzest-Geschichte. Selbst Lohengrin ist ein zwiespältiger Held, der die Forderung nach bedingungslosem Urvertrauen über alles stellt. Wie fühlen Sie sich in diese Figuren ein?
Klaus Florian Vogt: Ich versuche immer, mich mit dem ganzen Stück und auch dem ganzen Umfeld der Figur auseinanderzusetzen und dann einen Platz in ihrer Umgebung für sie zu finden. Da fließt eine Menge meiner eigenen Persönlichkeit und meiner Gedanken zu dem Charakter mit ein. Siegmund ist zum Beispiel jemand, der immer Gerechtigkeit sucht und deshalb in Situationen gerät, die er vorher nicht unbedingt wollte. Wenn sein Gerechtigkeitssinn gefordert wird, setzt er diesen mit aller Vehemenz durch. Das ist tragisch, weil er dadurch immer wieder in schwierige Situationen gerät, ein Getriebener ist. Andererseits ist er ein sehr gefühlvoller Mensch, sonst würde er die geschwisterliche Nähe zu Sieglinde vielleicht gar nicht spüren. Auf eine Weise sind alle diese Figuren Wagners sehr sensible, sehr verletzliche Helden
Mit welcher Figur können Sie sich besonders gut identifizieren?
Lohengrin hat mich immer besonders angesprochen – seine Geradlinigkeit, seine Ehrlichkeit und sein ebenfalls sehr tiefes Gerechtigkeitsempfinden. Er hat eine Haltung, und die fordert er ein!
…bis zur letzten Konsequenz! Er beharrt so radikal auf dem Vertrauen, dass er es über die Liebe stellt, die er vielleicht sogar selbst empfindet. Dabei ist Zweifeln doch etwas Urmenschliches.
Das stimmt. Aber die Frage ist, ob Lohengrin überhaupt eine Wahl hat. Wer auch immer das bestimmt: Wenn Vertrauen infrage gestellt wird, kann oder darf er nicht bleiben. Scheitert er, muss er die Welt wieder verlassen. Das weiß er von Anfang an… Und ist deshalb so verzweifelt, wenn er scheitert.
Könnte er nicht entscheiden, trotzdem zu bleiben?
Lohengrin ist kein so großer Revoluzzer wie Stolzing. Vielleicht hat er seinen Auftrag von einer höheren Instanz. Vielleicht passiert es ihm nicht zum ersten Mal, dass er einen Ort auf diese Weise wieder verlassen muss. Das ist genau eine dieser Geschichten, die man sich zu einer Figur überlegen kann: Warum handelt er so? Wo kommt er her? Wo geht er hin? Das ist das Großartige an diesen Wagner-Figuren: Sie sind vielschichtig und unterschiedlich auslegbar, sodass sie sehr viele Interpretationsmöglichkeiten bieten.
Gab es nie eine Partie, bei der Sie Schwierigkeiten hatten, sich einzufinden?
Nein. Es fällt mir höchstens dann schwerer, wenn eine Inszenierung meiner eigenen Figurenauffassung entgegenläuft. Dann muss ich mir Brücken bauen, um meinen Weg zur Figur zu finden. Und es gibt ja auch noch den Fall einer Nicht-Inszenierung – Arbeiten, die als Regiearbeiten bezeichnet werden, aber eigentlich nur eine Installation sind, in denen keine wirkliche Personenführung stattfindet. Dann wird es schwierig, denn Oper bedeutet ja Musiktheater. Und gerade Richard Wagner wollte, dass die Musik- und Textebene mit der szenischen gleichberechtigt behandelt werden!
Eine Frage zur Textebene: Wagners Libretti sind – gelinde gesagt – extravagant. Er wollte zu einer Art Ursprache finden. Wie gehen Sie da ran?
Ich mag diese Texte unheimlich gern, weil sie so verschachtelt gebaut sind. Die für mich selbst zu entflechten und möglichst so zu singen, dass das Publikum sie trotzdem versteht, finde ich reizvoll, und es spornt mich an. Durch ihre Komplexität kann ich mir die Texte sogar besser merken als zum Beispiel ein Strophenlied. Bei Wagner ist alles durchkomponiert und jedes Wort anders musikalisch unterlegt. Das ist höchst einprägsam.
Vor Ihrer Gesangskarriere waren Sie neun Jahre lang als Hornist im Philharmonischen Staatsorchester Hamburg angestellt. Was gab den Impuls, diese sichere Position aufzugeben und eine zweite Karriere als Sänger zu beginnen?
Wagners Musik hat mich schon im Orchester immer sehr berührt. Den Ring und den Tannhäuser habe ich öfter im Graben gespielt und mit einem Ohr immer auch die Sänger auf der Bühne verfolgt. Dann wurde ich ermutigt, es selbst einmal mit dem Singen zu versuchen. Dass es dann wirklich für Wagner gereicht hat, war natürlich doppelt toll!
Wie viel Mut hat Sie der Schritt gekostet?
Es war schon eine schwierige Entscheidung. Glücklicherweise erhielt ich die Möglichkeit, mich für mein erstes Engagement in Flensburg für ein Jahr beim Philharmonischen Staatsorchester Hamburg beurlauben zu lassen. So stand mir der Weg zurück offen. Gleichzeitig konnte ich für mich ausprobieren, wie es ist, wenn man jeden Tag zur Probe geht und singt und ob meine Stimme das auch physisch mitmacht. Diese „Probezeit“ hat mir so viel Spaß gemacht, dass die nächsten Schritte schnell klar waren. Meine Frau und meine vier Kinder haben mich bei meinen Entscheidungen immer unterstützt.
In diesem Dossier denken wir an den 100. Todestag von Enrico Caruso. Was halten Sie von ihm?
Ich bewundere seine Gesangstechnik sehr. Für ihn liegt alles auf einer Linie, seine Technik kennt keine Register und funktioniert ohne merkliche Brüche in der Stimme. Das war damals etwas Neues!
Wie viel ist bei einer Sängerstimme naturgegeben, und wie viel ist hartes Training?
Das ist schwierig. Ich glaube schon, dass man eine Begabung und eine bestimmte stimmliche Voraussetzung haben muss. Trotzdem bin ich überzeugt, dass jeder singen kann! Wenn jemand es nicht kann, heißt das nicht, dass nichts vorhanden ist, sondern viel eher, dass die Stimme untrainiert ist. Mit Übung kann man viel erreichen. Professionell mit seiner Stimme umzugehen, erfordert aber viel Einsatz – und vor allem langfristige und kontinuierliche Arbeit!
Und große Heldenpartien?
Als Sänger merkt man selbst, ob man sich mit diesen Partien wehtut. Zum Beispiel, ob man nach dem Tannhäuser noch sprechen kann oder nicht, ob die Stimmbänder dieser starken Belastung standhalten. Dafür braucht man eine gute Technik. Singen ist sehr viel muskuläre Arbeit. Man muss die Stimme trainieren, sie pflegen und intakt halten. Wenn man dann auch noch die physischen Voraussetzungen mitbringt, kann man das Glück haben, dieses schwere Fach bedienen zu können.
Abseits der Musik haben Sie ein Faible für außergewöhnliche Verkehrsmittel: Sie fahren zum Beispiel eine Harley. Erfüllen Sie das Biker-Gang-Klischee?
Harley fahre ich allein. Das Image ist ein bisschen verdorben durch die Rockerszene, zu der ich ganz und gar nicht gehöre. Das schlechte Image hält mich aber nicht vom Fahren ab! Es macht mir Spaß, alles andere ist mir egal.
Und Sie fliegen gerne mit Ihrem eigenen Flugzeug…
Das Fliegen war ein Jugendtraum von mir, ich wollte es immer schon können. Als ein Freund mit Flugschein mich dann einmal mitgenommen hat, war es endgültig um mich geschehen! Meinen Pilotenschein habe ich dann tatsächlich während der probenfreien Zeiten in Bayreuth gemacht.
Dorthin und bei anderen Gastspielen reisen Sie meist im eigenen Wohnmobil an…
Ja, das ist meine mobile Dienstwohnung.
Vermissen Sie nach der Vorstellung nicht, im Hotel verwöhnt zu werden?
Nach einer Vorstellung finde ich es herrlich, mit Menschen zusammenzusein und mit Kollegen noch etwas essen oder trinken zu gehen. Wenn man dann nach Hause kommt, ist im Hotel sowieso nichts mehr los. Im Wohnmobil habe ich immer ein Stück meiner eigenen Welt, ein Stück Zuhause dabei. Das hat für mich viel mit Freiheit zu tun. Außerdem ich bin sehr gerne in der Natur – und im Wohnmobil ist die Entfernung nach draußen maximal kurz!
Ab 29. Juli 2021 ist Klaus Florian Vogt bei den Bayreuther Festspielen als Siegmund in Die Walküre zu erleben. Weitere Informationen unter: www.bayreuther-festspiele.de
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