Labor Beethoven 2020

Aufbruchs­stim­mung

von Ruth Renée Reif

4. Juni 2020

Labor Beethoven 2020 beginnt am 6. Juni 2020 als virtuelles Festival. Zu sehen sind zehn Uraufführungen, ein Musiktheaterstück und ein Laborraum zum Thema Experimentieren.

Labor Beet­hoven 2020 beginnt am 6. Juni 2020 als virtu­elles Festival. Zu sehen sind zehn Urauf­füh­rungen, ein Musik­thea­ter­stück und ein Labor­raum zum Thema Expe­ri­men­tieren. Zudem gibt es die virtu­elle Ausstel­lung „Labor 1802–2020“.

Das Festival Labor Beet­hoven 2020 war als zeit­ge­nös­si­sche Lesart des Beet­hoven-Jubi­läums geplant. Initi­iert von der Akademie der Künste in Berlin, bot es in Zusam­men­ar­beit mit drei Hoch­schulen in , Thes­sa­lo­niki und Tel Aviv jungen Kompo­nisten ein offenes Forum zur Entwick­lung ihrer Visionen. Unter der Leitung jeweils eines Dozenten wurden drei Teams zusam­men­ge­stellt.

Die Saxofonistin Noa Mick, der Akkordeonist Julius Schepansky, der Gitarrist Chris Moy und der Schlagzeuger Matthias Engler
Die Musiker nehmen an der Arbeit im Labor teil. Während des Entste­hungs­pro­zesses können die Kompo­nisten ihre Werke anhören und weiter­ent­wi­ckeln. Die Saxo­fo­nistin Noa Mick, der Akkor­deo­nist Julius Sche­pansky, der Gitar­rist Chris Moy und der Schlag­zeuger Matthias Engler

Vier Jahre lang setzten sich die Kompo­nisten mit Beet­hoven ausein­ander. Ihre Arbeiten sind fertig produ­ziert und werden in einzelnen Filmen vorge­stellt. Zu den Ausfüh­renden gehören u.a. das Ensemble Adapter, bestehend aus der Flötistin Krist­jana Helga­dóttir, dem Klari­net­tisten Ingólfur Vilh­jálmsson, der Harfe­nistin Gunn­hildur Einars­dóttir und dem Schlag­zeuger Matthias Engler, sowie der Kontra­bas­sist Uli Fusse­n­egger, die Harfe­nistin Alice Belugou und die Geigerin Zoé Pouri.

Von der Vision über das Expe­ri­ment zum Werk

Das Team Basel

Die Komponisten Eleni Ralli, Adrian Nagel und Anda Kryeziu
Die Kompo­nisten Eleni Ralli, Adrian Nagel und Anda Kryeziu
(Fotos: © Eva Gentner)

Caspar Johannes Walter leitete das Team Basel mit den Kompo­nisten Eleni Ralli, Adrian Nagel, Anda Kryeziu und der bildenden Künst­lerin Eva Gentner.

Eleni Ralli kompo­nierte ALSB_2 Always Leave Some­thing Behind 2. „Beet­hoven stieß einen Prozess an, im Zuge dessen das Orchester fort­lau­fend erwei­tert wurde. Die Aufnahme von mehr und neuen Instru­menten gab ihm die Möglich­keit, Klang­qua­lität und Klang­farbe zu verbes­sern“, erläu­tert sie das Werk, das aus sich stets wieder­ho­lenden frag­men­ta­ri­schen Struk­turen besteht. Bei jeder Wieder­ho­lung verän­dern sich einzelne Para­meter.

Experimentiert wird mit dem Raum, dem Klang und neuen Instrumenten:
Expe­ri­men­tiert wird mit dem Raum, dem Klang und neuen Instru­menten

Adrian Nagel schuf Membran, eine Klang­in­stal­la­tion für Glas­scheiben. Die Scheiben werden von je einem soge­nannten Trans­ducer, einem Laut­spre­cher ohne eigene Membran, zum Klingen gebracht. Was entsteht, sind durch­sichtig wie das Glas erschei­nende leise glis­san­die­rende Sinus­töne, die sich zu einem schwe­benden Gesamt­klang verbinden.

Anda Kryeziu erforschte mit der Physi­kerin Andrea Heil­rath, wie die Stimme sich im Raum entwi­ckelt und kompo­nierte C für 5 Laut­spre­cher, Cyma­tics und Licht.

Anda Kryeziu: »Das Expe­ri­men­tieren als Prozess bedeutet für mich die Entste­hung neuer Kontexte, die weder refe­ren­ziell noch ableh­nend sind.«

Das Team Thes­sa­lo­niki

Die Komponisten Faidra Chafta-Douka, Thanos Sakellaridis und Manolis Ekmetsoglou.
Die Kompo­nisten Faidra Chafta-Douka, Thanos Sakel­la­ridis und Manolis Ekmet­so­glou
(Fotos: © Eva Gentner)

Dimitri Papa­ge­or­giou leitete das Team Thes­sa­lo­niki mit den Kompo­nisten Faidra Chafta-Douka, Thanos Sakel­la­ridis und Manolis Ekmet­so­glou.

Faidra Chafta-Douka kompo­nierte keep it quiet here, I will not tole­rate your noise, ein Instru­men­tal­werk für zwei Paet­zold-Flöten, in dem es um die Erkun­dung des Raums über einfache, sich bewe­gende Formen geht.

der Schlagzeuger Matthias Engler vom Ensemble Adapter
Vertieft in die Kompo­si­tion Circus story: Taming the animals von Manolis Ekmet­so­glou: der Schlag­zeuger Matthias Engler

Thanos Sakel­la­ridis ließ sich zu dem Instru­men­tal­werk I HAVE NEVER, Trust a pig von William Burroughs anregen, gespro­chene Sätze zu kombi­nieren, die wegen gram­ma­ti­scher Fehler oder aufgrund ihrer Sinn­lo­sig­keit nicht zusam­men­passen. Mit der Klang­in­stal­la­tion indus­tri­alBox griff er auf den futu­ris­ti­schen Maler und Kompo­nisten Luigi Russolo und dessen geräusch­er­zeu­gende Instru­mente Into­na­ru­mori zurück.

Die Geigerin Zoé Pouri und der Komponist Ari Rabenu im Gespräch
Dem Austausch zwischen den Musi­kern und den Kompo­nisten kommt große Bedeu­tung bei: die Geigerin Zoé Pouri und der Kompo­nist Ari Rabenu im Gespräch

Manolis Ekmet­so­glou kompo­nierte Deac­ti­vated Soul / für Akkor­deon, Posaune und Zuspiel, in dem akus­ti­sche und elek­tro­ni­sche Teile mitein­ander ringen und ein klang­li­ches Abbild der aktu­ellen Welt­si­tua­tion entsteht, in der sich erneut die uralte Mensch­heits­frage nach der Herr­schaft stellt.

Manolis Ekmet­so­glou: »Durch Kunst auszu­drü­cken, was das heutige Leben mit der mensch­li­chen Gefühls­welt macht. Das ist die wahre Heraus­for­de­rung.«

Das Team Tel Aviv

Die Komponisten Akkad Izre'el, Ari Rabenu und Guy Rauscher
Die Kompo­nisten Akkad Izre’el, Ari Rabenu und Guy Rauscher
(Fotos: © Eva Gentner)

Ruben Seroussi leitete das Team Tel Aviv mit den Kompo­nisten Akkad Izre’el, Ari Rabenu, Guy Rauscher, Batya Fren­klakh als Gast­kom­po­nistin.

Akkad Izre’el schuf mit Ari Rabenu die inter­ak­tive Musik­in­stal­la­tion Psych­ob­jec­ti­vity, die im Grenz­be­reich zwischen dem tatsäch­li­chen Hören, also der Wahr­neh­mung von Klängen in der Umge­bung, und dem inneren Hören, also der Erwar­tung des Hörenden, ange­sie­delt ist.

Akkad Izre’el: »Zu expe­ri­men­tieren, bedeutet, all Auto­ma­tismen zurück­zu­halten und die Ablö­sung vom Selbst und vom Mate­rial zu erproben, sodass sich eine externe Idee oder ein Konzept durch Musik neu erfinden kann.«

Ari Rabenu kompo­nierte das Instru­men­tal­werk Völker­wan­de­rung als Work in Progress.

Ari Rabenu: »Ich glaube, dass das Expe­ri­ment der Versuch ist, mich von meinen persön­li­chen musi­ka­li­schen Neigungen und Vorlieben zu entfernen. Es ist der Versuch, irrele­vante, egois­ti­sche Elemente so weit wie möglich vom künst­le­ri­schen Ausdruck fern­zu­halten und ihn unver­fälschter zu machen.«

Spielendie Geigerin Zoé Pouri, die Harfenistin Alice Belugou und der Posaunist Francisco Olmedo
Spielen eine Trio-Kompo­si­tion von Ari Rabenu: die Geigerin Zoé Pouri, die Harfe­nistin Alice Belugou und der Posau­nist Fran­cisco Olmedo

Guy Rauscher schuf, ange­lehnt an Beet­ho­vens Lieder­zy­klus „An die ferne Geliebte“, die Klang­in­stal­la­tion Liebes­klang 0.1 für Klang­würfel und inter­ak­tives Midi-Keyboard. Mit der Gast­kom­po­nistin Batya Fren­klakh kompo­nierte er das Ensem­ble­stück Entan­gle­ment.

Guy Rauscher: »In gewisser Weise beinhaltet jedes Stück, das ich schreibe, verschie­dene Aspekte des Expe­ri­men­tie­rens.«

Die Expe­ri­men­tier­welt zur Zeit Beet­ho­vens

Anton Reicha, ein Zeitgenosse Beethovens
Expe­ri­men­tierte mit takt­loser Musik, nicht­to­naler Musik und Vier­tel­tönen: Beet­ho­vens Zeit­ge­nosse Anton Reicha

In der Ausstel­lung Labor 1802–2020 können sich Besu­cher virtuell die Expe­ri­men­tier­welt von Beet­ho­vens Zeit­ge­nosse Anton Reicha ansehen. Reicha war ein Jugend­freund Beet­ho­vens. Er führte Expe­ri­mente durch, und man kann davon ausgehen, dass Beet­hoven von ihnen Kenntnis hatte.

Zu sehen in der virtuellen Ausstellung: Wooden Boxes der bildenden Künstlerin Eva Gentner und des Komponisten Adrian Nagel
Zu sehen in der virtu­ellen Ausstel­lung: Wooden Boxes der bildenden Künst­lerin Eva Gentner und des Kompo­nisten Adrian Nagel

Zu den Themen, mit denen Reicha sich befasste, betrafen u.a. takt­lose Musik, nicht­to­nale Musik und die Nutzung der Vier­tel­töne. Um zu verdeut­li­chen, wie die Expe­ri­mente auf Beet­ho­vens Werk Einfluss nahmen, verweist Caspar Johannes Walter, der Team­leiter Basel, im Journal der Künste auf den Einsatz der Reprise in der Dritten Sinfonie, in dem zwei Tonarten gleich­zeitig hörbar werden, und die 17. Klavier­so­nate Der Sturm, in der das durch­ge­hend gehal­tene Pedal eine Mischung fremder Harmo­nien bewirkt.

Aus dieser Perspek­tive versteht das Festival Beet­hoven als Kollege. Es lässt sich von ihm und der Aufbruchs­stim­mung seiner Zeit anregen.

Labor Beet­hoven 2020 als virtu­elles Festival ist zu erleben unter: www​.labor​-beet​hoven​-2020​.de
Labor 1802–2020 als virtu­elle Ausstel­lung ist zu sehen unter www.ausstellung.labor-beet­hoven-2020​.de

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