Bernhard Leismüller

Violetta am seidenen Faden

von Katherina Knees

9. Oktober 2017

Die Marionettenoper des Puppenspielers Bernhard Leismüller im Stadttheater von Lindau am Bodensee bringt bekannte Werke der Operngeschichte auf die Bühne.

Seit dem Jahr 2000 hat der Puppen­spieler Bern­hard Leis­müller in der von ihm gegrün­deten Lindauer Mario­net­ten­oper die Fäden in der Hand. Was hier passiert, hat wenig mit Kind­heits­er­in­ne­rungen an die Augs­burger Puppen­kiste zu tun, sondern trägt viel von der profes­sio­nellen Ernst­haf­tig­keit komplexer Opern­pro­duk­tionen in sich. Verknüpft mit einer höchst beein­dru­ckenden Liebe zum Detail, denn alle 450 Puppen, die heute zum Reper­toire der Mario­net­ten­oper zählen, hat Bern­hard Leis­müller selbst gebaut. Auch sämt­liche Kostüme wurden von ihm entworfen und ange­fer­tigt, darüber hinaus ist der Puppen­spieler für die Choreo­grafie und die Spiel­lei­tung der Stücke verant­wort­lich.

Bernhard Leismüller, Lindauer Marionettenoper
Der Puppen­spieler und Gründer der Lindauer Mario­net­ten­oper Bern­hard Leis­müller

„Wenn ich ein Stück konzi­piere und mir die Musik anhöre, dann habe ich sofort so viele Bilder und Ideen im Kopf“, erzählt Bern­hard Leis­müller bei einem Besuch in den Kata­komben des Thea­ters. „Ohne es skiz­zieren zu müssen oder es jemandem erklären zu müssen, weiß ich dann schon, wie die Puppen aussehen sollen, und kann das genau so umsetzen. Eigent­lich ist mit dem Hören der Musik schon alles fertig und muss nur noch gemacht werden.“ Der Puppen­spieler lacht verschmitzt, aber was er sagt, klingt einfa­cher, als es ist, denn die Entwick­lung einer neuen Produk­tion ist äußerst aufwendig. Ein ganzes Jahr benö­tigt Bern­hard Leis­müller allein dafür, um die Puppen herzu­stellen, die er für eine Insze­nie­rung braucht – das sind zwischen 30 und 50 Mario­netten pro Oper. „Bevor ich die Puppen zusam­men­baue, schnitze ich mona­te­lang nur die Einzel­teile, zum Beispiel Hände“, verrät er. „Die Hände sind ein ganz wich­tiges Ausdrucks­mittel, weil die Puppen keine beweg­liche Mimik haben. Das bedeutet, dass der Kopf so gestaltet wird, dass sowohl das Stumme als auch das Gespro­chene in das Gesicht hinein­interpretiert werden kann und dass wir die Stim­mungen durch die Körper­sprache der Figur ausdrü­cken müssen.“

Lindauer Marionettenoper
Die Guck­kas­ten­bühne der Lindauer Mario­net­ten­oper

Sind die Puppen einmal fertig, muss noch die Kulisse samt der Requi­siten gebaut werden, dann wird die Insze­nie­rung inhalt­lich entwi­ckelt und die perfekte Abstim­mung auf die Musik geprobt. Das alles passiert parallel zum laufenden Spiel­be­trieb. Tags­über ist der Puppen­spieler in der Werk­statt, abends ist Vorstel­lung, zwischen­durch finden Proben statt. Das Spiel mit den Puppen ist ein Full­timejob für Bern­hard Leis­müller.

Bereits als Kind haben ihn die Mario­netten magisch ange­zogen, in seiner Heimat hatte er das Glück, das Hand­werks­zeug direkt vom renom­mierten Puppen­bauer Oskar Paul zu lernen. Alles Weitere brachten dann eine große Portion Neugier und das Talent fürs Spiel mit sich. Mitt­ler­weile hat Bern­hard Leis­mül­lers Mario­net­ten­oper ein zehn­köp­figes Puppen­spie­ler­en­semble, das dem Publikum auf den knapp 100 Plätzen in der klas­si­schen Guck­kas­ten­bühne im kleinen Saal des Thea­ters neun Monate im Jahr mehr­mals in der Woche viele High­lights aus der Opern­welt präsen­tiert.

Der Barbier von Sevilla
Figaro und Rosina in Gioa­chino Rossinis Oper Der Barbier von an der Lindauer Mario­net­ten­oper

Über die rich­tige Auswahl der Stücke macht Bern­hard Leis­müller sich im Vorfeld viele Gedanken. „Der Charakter der Mario­nette ist eher komö­di­an­tisch, das liegt in der Natur der Puppe. Eine Opera buffa ist also immer leichter umzu­setzen als eine Tragödie. Die Zauber­flöte oder Der Barbier von Sevilla eignen sich super, da geht es vorwä, da stirbt keiner zum Schluss.“ Bern­hard Leis­mül­lers Augen blitzen, wenn er spricht. „Wir haben uns aber auch für La Traviata entschieden, weil sie welt­weit eine der popu­lärsten Opern ist, und weil wir uns der Heraus­for­de­rung stellen wollen, auch mal eine hoch­dra­ma­ti­sche Hand­lung mit den Puppen darzu­stellen.“

La Traviata
Alfredo und Violetta mit den Stimmen von und an der Lindauer Mario­net­ten­oper

Auch in diesem Fall war dem Puppen­spieler die Wahl der rich­tigen Aufnahme wichtig. „Unsere Arbeit entsteht in ganz, ganz engem Kontakt mit der Musik. Wenn man die Augen zumacht und auf den Gesang hört, dann sagt einem das schon viel darüber, was richtig ist, weil der Sänger das ganz passend inter­pre­tiert und der Kompo­nist die Stim­mung bereits so auf dem Präsen­tier­teller serviert, dass man fast nichts falsch machen kann. In unserer Traviata singt Luciano Pava­rotti den Alfredo, und Joan Suther­land ist die Violetta. Wissen Sie, dass die Sopra­nistin ihre letzten Lebens­jahre hier am Bodensee verbracht hat? Wir haben immer gehofft, dass wir sie mal einladen können. Aber es ist nie dazu gekommen. Jetzt schaut sie viel­leicht von oben zu.“ Bevor er zur Probe für die abend­liche Auffüh­rung aufbricht, gibt Bern­hard Leis­müller noch einen kurzen Einblick in das Puppen­spieler-Einmal­eins: „Oft sind ganz kleine Bewe­gungen beson­ders entschei­dend. Ob eine Puppe zum Beispiel fragend den Kopf hält oder wie man sich traurig auf einen Stuhl fallen lässt. Das Spiel­kreuz, mit dem wir die Puppen bewegen, lässt die kleinen entschei­denden Nuancen in der Körper­hal­tung sehr gut zu, und das ist in der Oper total wichtig. Unser Ziel ist es, dass der Zuschauer völlig vergisst, dass da gerade Musik vom Band läuft. Er soll denken, dass die Puppe wirk­lich singt. Das setzt voraus, dass der Spieler die Puppe absolut exakt auf die Musik abge­stimmt bewegt. Wenn ein Einatmen zu hören ist oder wenn der Sänger bestimmte Konso­nanten betont, muss die Puppe das körper­lich perfekt darstellen, damit das Opti­sche und das Akus­ti­sche auf der Bühne mitein­ander verschmelzen.“

Fotos: Katharina Knees, Lindauer Marionettenoper