Lisa Batiashvili
»Meine Mission: Den Horizont erweitern«
von Rüdiger Sturm
12. Juli 2020
Lisa Batiashvili widmet sich auf ihrem neuen Album „City Lights“ elf Städten, die einen künstlerisch prägenden Einfluss auf ihre Entwicklung nahmen.
Lisa Batiashvili widmet sich auf ihrem neuen Album „City Lights“ 11 Städten, die einen künstlerisch prägenden Einfluss auf ihre Entwicklung nahmen. Von München über Paris, Berlin, Helsinki, Wien, Rom, Buenos Aires, New York, London und Bukarest geht es bis nach Tiflis, ihrer Geburtsstadt. Zu den Musikern, die ihr dabei begegneten, gehören die Sängerin Katie Melua, der Trompeter Till Brönner, die Gitarristen Miloš Karadaglić und Zurab Melua, der Cellist Maximilian Hornung und der Komponist, Pianist und Chefdirigent der Georgischen Philharmoniker Nikoloz Rachveli.
Sibelius, Bach, Beethoven – das sind Komponisten, die sich in der Diskografie der Geigerin Lisa Batiashvili (Foto oben: © André Josselin) finden. Mit „City Lights“ erweiterte die Geigerin die Palette ihres eigenen Schaffens mit verblüffenden neuen Arrangements – von alten deutschen Schlagern bis zu Filmmusiken von Chaplin und Morricone. Für sie ist dieser Schritt nur konsequent. Doch wenngleich die zweifache ECHO-Klassik-Preisträgerin hier die prägenden Städte ihres Lebens feiert – Reisen ist nicht ihre Passion.
CRESCENDO: Als viel gefragte Klassikkünstlerin sind Sie es gewohnt, auf Tour zu sein. Aber dieses Jahr mussten Sie lange Zeit darauf verzichten. War das schlimm?
Lisa Batiashvili: Ich bin kein großer Fan des Reisens. Wenn man ständig unterwegs ist, dann fehlt einem die Zeit für so viele Dinge.
»Es geht auf ›City Lights‹ um Einflüsse auf mich und meine künstlerischen Erfahrungen.«
Andererseits feiern Sie in Ihrem Album „City Lights“ Städte auf der ganzen Welt, die in Ihrem Leben eine wichtige Rolle spielten. Wie passt das zu Ihrer Reiseunlust?
Es geht hier um deren Einflüsse auf mich und meine künstlerischen Erfahrungen. Ja, diese Städte waren und sind alle sehr wichtig. Aber es gibt eben auch den gewöhnlichen Alltag einer Musikerin. Wenn man jede Woche seinen Koffer ein- und auspacken musst, dann verändert sich das Leben permanent. Das gilt für mich genauso wie für meinen Ehemann, der Oboist ist. Dabei reise ich sogar weniger als viele meiner Kollegen. Meine zwei Kinder brauchen eine tägliche Routine, die wiederum ein Gefühl von Zuhause schafft. Das kann man nicht vorspielen. Dafür muss man physisch anwesend sein.
Also bleibt es vorerst bei Ihrer musikalischen Weltreise auf „City Lights“. Sie leben in München. Aber wo ist eigentlich Ihr emotionales Zuhause?
Ich habe mehrere Orte, an denen ich mich daheim fühle. Das fängt natürlich an mit meiner georgischen Heimatstadt Tiflis, die ich mit meiner Kindheit verbinde. Meine musikalische Ausbildung erhielt ich vor allem in Deutschland. Letztlich bin ich dort daheim, wo meine Familie lebt. Und da ich mit einem Franzosen verheiratet bin und meine Kinder folglich halb französisch sind, fühle ich mich sehr zu Hause, wenn ich mit Franzosen zusammen bin. Kurz gesagt: Europa ist mein Zuhause.
Welche der Städte, denen Sie die einzelnen Kompositionen widmen, besitzen einen ganz besonderen Stellenwert für Sie?
Mein früherer Wohnort Berlin, dann auch Tiflis, denn das ist die erste Stadt meines Lebens. Schließlich Rom. Das ist der einzige Ort, an dem ich gerne Zeit als Tourist verbringe. Normalerweise bin ich ein ziemlich schlechter Tourist, denn ich will immer schnell wieder nach Hause. Aber in Rom genieße ich die Zeit. Diese Stadt gibt mir ein einzigartiges Gefühl, sie nährt meine Seele, obwohl ich in ihr nie gelebt habe. Aus meiner Sicht ist sie das Heim aller Europäer. Denn sie verkörpert so etwas wie die Essenz des menschlichen Daseins.
»New York – das war etwas Besonderes. Es hat mich so glücklich gemacht, meine Musik mit dem Publikum dort zu teilen.«
Welche Stadt ist für Sie in musikalischer Hinsicht besonders wichtig?
New York. Ich habe hier mit 23 Jahren zum ersten Mal gespielt, und seither kehre ich regelmäßig dorthin zurück, mitunter mehrmals im Jahr. Es hat mich so glücklich gemacht, meine Musik mit dem Publikum dort zu teilen. Das war und ist etwas Besonderes.
Auf Ihrem Album interpretieren Sie unter anderem Michel Legrand, den großen französischen Filmkomponisten und Songschreiber. Doch sein Werk liegt fern Ihrer musikalischen Heimat, der Klassik.
In der Tat habe ich bislang nie etwas von ihm gespielt. Aber jede große Musik besitzt eine große Kraft, mit der sie die Menschen erreicht, egal ob Klassik oder Pop. Das ist die Gabe wunderbarer Melodien. Ja, ich konzentriere mich mehr auf das klassische Repertoire, aber ich sehe meine Mission darin, meinen Horizont zu erweitern und etwas Neues auszuprobieren. Selbst in der Klassik bin ich auf der Suche, ob ich mir nun Barockmusik oder moderne Musik erschließe.
»Ausgangspunkt von ›City Lights‹ war für mich die Musik zu den Filmen Charlie Chaplins, der den Großteil seiner Soundtracks selbst komponiert hat.«
Sehen Sie nicht eine gewisse Ironie darin, dass Sie auf Ihrem Album zwischen Bach, Legrand oder deutschen Schlagerkomponisten wie Ralph Maria Siegel wechseln?
Welche Ironie? Für mich ist das ein harmonischer Übergang zwischen verschiedenen Stilrichtungen insbesondere innerhalb der europäischen Musik. Ausgangspunkt war für mich die Musik zu den Filmen Charlie Chaplins. Nur wenige wissen, dass er den Großteil seiner Soundtracks selbst komponiert hat. Ich habe seine Filme und seine Musik immer geliebt, aber ich habe nie Arrangements gefunden, die ich hätte spielen wollen. Bis dann mein langjähriger Freund, der Komponist und Pianist, Nikoloz Rachveli, ein erstes Arrangement schuf, von dem ich fasziniert war. Er änderte die Rhythmen, aber das Thema konnte man noch heraushören. Als wir das mit dem Orchester spielten, bereitete mir das so großes Vergnügen, dass wir beschlossen, uns einzelnen Städten musikalisch widmen.
Auf dem Album interpretieren Sie auch noch eine andere, neu arrangierte Filmmusik – eine Komposition Ennio Morricones zu Cinema Paradiso. Wie stark hat Sie das Kino geprägt?
Man darf nicht vergessen, dass ich meine ersten 12 Lebensjahre auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion verbrachte. Das heißt, dort gab es nicht alles zu sehen. Aber als Kind schaute ich mir viele französische Filme an, darunter auch Komödien mit Louis de Funès und Pierre Richard. Im Fernsehen lief immer Chaplin. Das waren Monumente für uns. Jeder schaute sich das an und sprach darüber. Die Emotionen, die ich damals empfand, bewegen mich noch heute – auch als ich zum ersten Mal Cinema Paradiso sah. Nicht zuletzt, weil sie stark mit Musik verbunden waren.
»Arrangeure und Gastinterpreten inspirieren ›City Lights‹ mit ihren Persönlichkeiten.«
Mit den Interpretationen dieser Musik bewegen Sie sich auf Neuland. Glauben Sie, dass Ihr Stammpublikum Ihnen dahin folgen wird?
Das Publikum heutzutage ist viel aufgeschlossener, als vielleicht vor 15 Jahren. Ich bin ja bei weitem nicht die erste und einzige Klassikkünstlerin, die hier Neues versucht und Grenzen überschreitet. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, das auf höchstem Geschmacksniveau und mit einer innovativen Herangehensweise zu tun. Ansonsten wird nur wiederholt, was andere schon gemacht haben. Die Herausforderung bei diesem Projekt bestand darin, dass wir etwas Neues mit eigenem Stil schaffen mussten. Natürlich brauchte es dafür auch gute Arrangeure und Gastinterpreten, die dieses Album mit ihren Persönlichkeiten inspirieren. Wenn ich sie nicht gehabt hätte, wäre das Resultat ganz anders gewesen und ich hätte mich nicht so sehr damit identifizieren können.
War Ihre Plattenfirma sofort von diesem innovativen Konzept angetan? Oder brauchte es da Überzeugungsarbeit?
Zum Glück hat mir die Deutsche Grammophon vertraut, dafür bin ich sehr dankbar. Man gab das ganze Projekt komplett in meine Hände, was für mich einerseits natürlich sehr viel Arbeit bedeutet hat. Andererseits aber konnte ich so genau meine Vision umsetzen. Der Weg zu diesem Album war eben sehr persönlich, ich ging im kreativen Prozess ganz und gar auf. Es ist aber auch nicht das erste Mal ist, dass sich mein Label über das Klassikrepertoire hinauswagt.
»Ich warte mit einem Album bis zu dem Moment, an dem ich etwas Besonderes für mich entdecke.«
Man hofft also auf einen Crossover-Erfolg?
Dieses Album hat die Chance, ein neues Publikum zu erreichen und die Menschen zu überraschen, weil sie das nicht von mir erwarten. Abgesehen davon gibt es ja so viele Einspielungen. Wenn man als Interpret etwas präsentiert, dann sollte es mit einem persönlich zu tun haben. Aus dem Grund nehme ich auch nicht so viele Alben auf. Ich warte lieber bis zu dem Moment, an dem ich etwas Besonderes für mich entdecke. Das ist wie bei den großen Popkünstlern. Die machen nicht einfach nur ein Album, sondern verbringen mehrere Monate im Studio. Als Klassikkünstler denkt man sich: ‚Was macht der nur die ganze Zeit? Ich habe da nur ein paar Tage für meine Aufnahme.‘ Der Grund ist: Es geht hier eben um viel mehr, als nur bekanntes Repertoire neu einzuspielen.
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Und anzuhören in der NML.
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