Louis Armstrong
Ein Symbol menschlichen Miteinanders
von Ruth Renée Reif
5. Juli 2021
Louis Armstrong überwältigte mit seiner Energie und Virtuosität. Sein Spiel prägte das Goldene Zeitalter des Jazz der späten 1920er-Jahre. Am 6. Juli 2021 jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.
Als Louis Armstrong an einem Sommerabend 1922 in Chicago ankam, ging für ihn ein Traum in Erfüllung. Er trat als Kornettist in King Oliver’s Creole Jazz Band ein. Begonnen hatte die Geschichte im berüchtigten Vergnügungsviertel Storyville von New Orleans im Deltagebiet des Mississippis, wo Jazz ein Slang-Ausdruck für Geschlechtsverkehr war und Louis Armstrong aufwuchs. Als Kornettist in verschiedenen Formationen sammelte er Erfahrungen und Kontakte. Nach dem Inkrafttreten der Prohibition zu Beginn des Jahres 1920 verlor das Viertel seine Bedeutung, und Chicago wurde zum neuen Zentrum der schwarzen Musik.
Die King Oliver’s Creole Jazz Band, die im Lincoln Gardens auftrat, spielte in klassischer Besetzung einer New-Orleans-Band. Ihr gehörten der Klarinettist Johny Dodd, der Posaunist Honoré Dutrey, der Bassist Bill Johnson und der Schlagzeuger Warren „Baby“ Dodds an, mit dem Louis Armstrong auf Mississippi-Dampfern gespielt hatte. Am Klavier saß Lil Hardin, die Louis Armstrongs erste Frau wurde. Für eine Tournee nach Indiana und Ohio kam der Banjo-Spieler Bud Scott dazu. In Richmond erfolgte 1923 die erste Schallplattenaufnahme.
Musikalische Innovation und soziale Antriebskraft
Lil Hardin wollte jedoch, dass Louis Armstrong, die Band mit ihr verließ. Sie hatte ihm geholfen, seine musikalischen Kenntnisse zu vertiefen, und drängte ihn zu einer Karriere unter eigenem Namen. Louis Armstrong aber schätzte das Zusammensein mit den Musikern. Auch in späteren Jahren soll er häufig den Tourbus der Limousine, die ihm zur Verfügung gestellt wurde, vorgezogen haben. Aufnahmen aus den Jahren 1923 und 1924 dokumentieren, wie kongenial er das Spiel von Joe King Oliver ergänzte und erweiterte und wie genau er stets auf die Stimmen der anderen Musiker hörte. In Louis Armstrong komme beides zusammen, schrieb der Lyriker und Essayist Hans Egon Holthusen, die musikalische Innovation und die soziale emanzipatorische Antriebskraft:
»Er war nicht nur ein Musiker von unglaublicher Vitalität und Begabung, sondern auch ein bewusster Missionar der schwarzen Musik und damit der schwarzen ›Sache‹ überhaupt.«
Hans Egon Holthusen
Diese Haltung war es, die über sein musikalisches Können hinaus seine gesamte Karriere hindurch so beeindruckte. Joachim-Ernst Berendt berichtet davon, als er sich an seine Fernsehsendung 1961 mit Louis Armstrong erinnerte.
»Es war eine mühsame Produktion… Wir hatten weit über die vorgesehene Zeit hinaus gearbeitet. Alle waren erschöpft. Als wir endlich fertig waren, war plötzlich das Studio leer… als sich plötzlich die ins Studio führende Fahrstuhltür öffnet, und herein kommt – Satchmo. Ob er etwas vergessen habe, frage ich. ›Ja, sagte er, er habe vergessen, mir ›Auf Wiedersehen‹ zu sagen. Tat dies – Bye bye –, bestellte all seinen Fans in Germany schöne Grüße und verschwand.«
Joachim-Ernst Berendt
Auch Karlheinz Drechsel wusste Ähnliches zu berichten, als er Louis Armstrong 1965 auf seiner legendären DDR-Tournee begleitete. Am 20. März traf dieser auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld ein. Enthusiastisch und herzlich wurde er empfangen. Reporter aus Ost und West waren gekommen:
»Dann auf einmal im brodelnden Stimmengewirr When it’s Sleepy Time Down South, intoniert von den seinerzeitigen Berliner Jazz Optimisten für ihr Idol Satchmo. Dieser strahlt, lässt einen Rundfunkreporter mitten im Gespräch stehen, gesellt sich spontan zur Band und singt ohne Mikrophon ›Sein Lied‹ in die plötzliche, wie von Zauber erfüllte Stille.«
Karlheinz Drechsel
Louis Armstrongs Auftritte erfolgten im Berliner Friedrichstadtpalast sowie in den Städten Leipzig, Magdeburg, Erfurt und Schwerin. Insgesamt sieben Konzerte fanden statt. Dass Karlheinz Drechsel, der selbst Musiker war, als Moderator jeden einzelnen Musiker von Louis Armstrongs All-Star Band mit Namen und Lebenslauf vorstellte, hinterließ einen tiefen Eindruck bei Louis Armstrong. In der 1947 gegründeten Band spielten William „Billy“ Kyle am Klavier, Danny Barcelona am Schlagzeug, Evans Tyree Glenn an der Posaune und Eddie Shu an der Klarinette. Sängerin war Jewel Brown.
Die Tournee war Teil des Kalten Krieges. Sie wurde vom Weißen Haus finanziert, was bei den Auftritten in Berlin über Umwege erfolgen musste. Der Freude vieler Menschen tat dies jedoch keinen Abbruch. Das Publikum feierte den „King of Jazz“ mit überschäumender Begeisterung. Im Schatten der Mauer habe man in Louis Armstrong nicht nur den weltberühmten Jazzmusiker gesehen, sondern auch „einen Botschafter, ein Symbol des Humanismus, des menschlichen Miteinander“. Und Drechsel berichtet über Armstrongs tiefe Erschütterung, als er am Brandenburger Tor die Mauer mit eigenen Augen sah. Welch grausame Härte für Millionen Menschen“, habe er ausgerufen und erklärt:
Louis Armstrong: »Ich werde mein Bestes, mein Allerbestes geben, um sie glücklich zu machen!«
Noch nie zuvor habe er in einem Tourbus so viel Heiterkeit und Lachen erlebt, nicht zuletzt durch Louis Armstrong selbst, berichtete Drechsel und erinnerte sich gleichzeitig an ernsthafte und nachdenkliche Gespräche. Ein Erlebnis während einer langen Busfahrt von Magdeburg nach Erfurt prägte sich ihm besonders ein: Bei einer kurzen Rast in einem armseligen Dorf-Gasthaus … sahen sich die Musiker plötzlich von quirligen Schulkindern umringt. …Louis Armstrong war regelrecht eingeschlossen, aber seine Freude darüber ganz offensichtlich, und mit bedächtigem Schriftzug und typischem Satchmo-Lachen gab er jedem Kind sein Louis ‚Satchmo‘ Armstrong mit auf den Weg.“ Plötzlich habe jedoch ein laut-schroffer Kommandoton des amerikanischen Tourbetreuers die wunderbare, rührend-herzliche Szene beendet und gefordert, sofort mit dem Blödsinn aufzuhören und schnellstens die Ärsche zum Bus zu bewegen.
»Daraufhin Totenstille, dann Louis Armstrong mit einem für ihn, vor allem gegenüber einem Weißen völlig ungewöhnlichen, ausgesprochen aggressiven Zornesausbruch: ›Wir sind hier nicht in den Staaten! Und auch dort wirst du nicht mehr lange herumkommandieren können! Begreif endlich: Die Sklaverei ist ein für alle Mal Vergangenheit! Hör zu, mir sind die Freude und das Glück dieser Kinder tausendmal wichtiger als deine Befehle! Wir fahren erst dann weiter, wenn ich das allerletzte Autogramm gegeben habe!‹ – Und so geschah es.«
Karlheinz Drechsel