KlassikWoche 38/2019
Mädchen mit Knaben und Bachler ohne Thielemann
von Axel Brüggemann
16. September 2019
Heute mit einer Publikumskritik, der Fortsetzung der Debatte über Mädchen in Knabenchören und allerhand Klassik-Personalien.
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit einer Publikumskritik, der Fortsetzung der Debatte über Mädchen in Knabenchören und allerhand Klassik-Personalien.
WAS IST
REDEN WIR ÜBER BENEHMEN!
Die Première von Frank Castorfs La forza del destino beschreibt Ulrich Amling im Tagesspiegel als eher langweilige Angelegenheit. Und dennoch kam es zum Skandal, als auf der Bühne plötzlich literarische Texte vorgelesen wurden, u.a. von Heiner Müller. „Was wäre geschehen“, fragt Amling, „wenn statt des schillernden Exoten Ronni Maciel (der seit über zehn Jahren in der Stadt lebt) zum Beispiel der im Publikum sitzende Ulrich Matthes die Müller-Verse gesprochen hätte? Wäre auch er von der Bühne gefegt worden?“
MÄDCHEN IM KNABENCHOR?
Bereits vor einigen Wochen haben wir an dieser Stelle berichtet, dass eine Mutter in Berlin klagte, damit ihre Tochter bei Knabenchören vorsingen darf und eventuell auch aufgenommen werden kann. Nun hat der Leipziger Thomanerchor reagiert, sich dem Recht gebeugt und will das Mädchen vorsingen lassen. Meine Meinung dazu habe ich in einem früheren Newsletter bereits ausgebreitet. Damals bekam ich eine Mail der Mutter, der Anwältin Susann Bräcklein, – und vielleicht ist es gut, ihren Standpunkt hier noch einmal klar zu machen, um die eigene Meinungsbildung zu beflügeln (hier redet sie auch auf Klassik Radio). Und das schrieb sie mir: „Sehr geehrter Herr Brüggemann, ich bin über Ihren Beitrag in crescendo zu Mädchen /Staats- und Domchor gestolpert. (…) Gern kann ich versuchen, Ihrer Ratlosigkeit abzuhelfen, weil ich das Verfahren betrieben habe. Zentral geht es um die gleichberechtigte Förderung von Mädchen, was man von einer Universität vielleicht erwarten kann. Es geht nicht um individuelle Besetzungsentscheidungen, auch wenn das Kuriositätenkabinett hier vorzugsweise den Vergleich zur Klage in die Damenumkleidekabine, das Frauenhaus und den Frauenparkplatz bemüht, wenn man das Thema so anfassen möchte, um Schenkelklopfer zu produzieren oder ein Lächeln, wie Ihr Godunow-Vergleich nahe legt.
Es geht um kostenfreie Ausbildung (Stimmbildung, Ensembleunterricht), was z.B. für eine Karriere als prof. Chorsänger aber auch für andere musikalische Berufe von Bedeutung ist, weil dies in der Regel im Kindesalter und nicht mit dem Abitur beginnt. Hier besteht ein generelles Ungleichgewicht zum Nachteil von Mädchen. Der passende Parallelvergleich wäre wohl: Darf die staatliche Ballettschule ein Geschlecht aus (vermeintlich) künsterlischen Gründen von der Ausbildung ausschließen, nur weil die Geschlechter unterschiedlich sind? Könnte man ab morgen Jungen od. Mädchen ausschließen, weil die unästhetisch sind, jdfs. nach der künsterlischen Vision des Leiters?“
WAS WAR
ROŠČIĆS UMSTRITTENE WIEN-PLÄNE
Der designierte Wiener-Staatsopern-Intendant und derzeitige Schallplatten-Manager Bogdan Roščić erklärte österreichischen Zeitungen, dass er seine erste Saison zum großen Teil mit Übernahmen von anderen Häusern bestreiten wolle, unter anderem mit der Pariser Traviata-Inszenierung von Simon Stone. Außerdem soll Barrie Kosky in Zukunft eine größere Rolle an der Staatsoper spielen. Kosky hatte 2005 Wagners Lohengrin inszeniert. „Die Erfahrung war offenbar so, dass Barrie ein lebenslanges Trauma davongetragen hat“, sagt Roščić, „das werden wir gemeinsam aufarbeiten.“ Außerdem soll Franz Welser-Möst (der hatte sich mit dem aktuellen Direktor Dominique Meyer zerstritten) an den Ring zurückgeholt werden, und das Opern-Orchester soll vermehrt mit Teodor Currentzis auftreten. Pikant, da die Wiener Philharmoniker sich immer wieder gegen die Zusammenarbeit mit dem griechischen Exzentriker wehren. Roščićs Pläne kamen in der Presse gespalten an – zu wenig Eigenes, zu wenig Neues, zu wenig Spannendes. Ein bisschen lustig, genau das aus den Federn jener Journalisten zu lesen, die gleichzeitig mit provinzieller Leidenschaft einer Entscheidung bei den Salzburger Osterfestspielen am 17. September entgegenschreiben und alles dafür tun, dass sich das ewig Gestrige mit Christian Thielemann gegen jenen Intendanten durchsetzt, der in München tatsächlich innovatives Operntheater gemacht hat, Nikolaus Bachler – aber vielleicht muss man das alles auch gar nicht verstehen.
ERÖFFNUNG DES BEETHOVEN-HAUSES
Seit vorgestern ist die Dauerausstellung in Beethovens Geburtshaus wieder geöffnet – andere Bereiche des Museums werden noch renoviert. Die offizielle Wiedereröffnung des Beethoven-Hauses ist im Rahmen eines Festakts am 16. Dezember geplant – danach werden auch weitere Museumsräume für die Besucher zugänglich sein: ein Musikzimmer für Konzerte, eine Schatzkammer mit Original-Manuskripten sowie ein Bereich für Wechselausstellungen.
PERSONALIEN DER WOCHE
Dass Stephan Pauly von der Alten Oper in Frankfurt zum Wiener Musikverein wechselt, war an dieser Stelle exklusiv zu lesen – nun ist auch klar, wer Pauly in Frankfurt nachfolgt. Markus Fein, derzeit Leiter der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, tritt sein neues Amt am 1. September 2020 an. „Zu seinen Aufgaben wird auch gehören, neue Zielgruppen zu erschließen und jüngere und mittlere Generationen stärker als bisher ans Haus zu binden“, sagte Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann. +++ In einem Konzert in Paju, nahe der Grenze von Nordkorea, appellierte der US-Cellist Yo-Yo Ma für Frieden und Verständnis. +++ Es ist schon merkwürdig, dass der Spiegel eine Geschichte über eine Sony-Mitarbeiterin, die berichtet, bei einer „Wetten dass…?“-Produktion von Plácido Domingo angefasst worden zu sein, mit dem Satz beginnt: „Harte Belege für angebliche Avancen des Weltstars gibt es nicht.“ Derweil sorgen Auszüge aus der aktuellen Biografie von Brigitte Fassbaender im Netz für Aufsehen, in der sie schreibt, dass Domingo eine Werther-Aufführung ausgenutzt haben soll, um sie zu küssen. Die Los Angeles Times berichtet, dass der Sänger sich aus den laufenden Geschäften des Opernhauses heraushalten würde, bis die Ermittlungen abgeschlossen seien. +++ Richard Conrad, der von Joan Sutherland als Tenor entdeckt wurde und eine weltweite Karriere feierte, starb im Alter von 84 Jahren.
Viele Debatten in einer kurzen Woche – und das Schönste ist: Allmählich beginnt auch die Konzert- und Opernsaison wieder. Vielleicht sehen wir uns bei dieser oder jener Aufführung – bis dahin: halten Sie die Ohren steif.
Ihr