Magdalena Hoffmann
»Ich liebe die Nacht – Reales und Surreales werden eins«
1. März 2023
Magdalena Hoffmann ist beides: Solo-Harfenistin beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und eine brillante Solistin. Auf ihrem Album »Nightscapes« verbinden surreale Bewusstseinsströme die Nacht mit dem Tanz zu einem facettenreichen Mosaik.
CRESCENDO: Frau, Hoffmann, Sie gestalten viele Aufführungen speziell für Kinder. Was sind Ihre eigenen ersten musikalischen Erinnerungen?
Magdalena Hoffmann: Ein paar sehr schöne! Meine Eltern sind zwar keine Musiker, aber sehr musikaffin, und Kultur war immer sehr wichtig bei uns zu Hause. Irgendwann haben meine Eltern selbst ein Puppentheater gebaut, meine Patentante hat die Puppen gebastelt. Und dann haben sie eine CD aufgelegt und Mozarts Zauberflöte und Iwan der Schreckliche von Rimski-Korsakow für uns aufgeführt. Da saßen mein Bruder und ich dann nebeneinander und haben unsere Privatvorführungen bekommen – das war toll. Eines der ersten richtigen Musikstücke, an das ich mich erinnere, ist tatsächlich die Harfen-Suite von Benjamin Britten. Ich habe damals als Kind wilde Tänze dazu aufgeführt, meistens war ich eine Prinzessin, die irgendwelche tragischen Tode sterben musste. Dieses Stück hat mich mit seiner intensiven Bewegung schon immer gepackt.
War das der Grund, dass Sie als Kind von gerade mal sechs Jahren ausgerechnet Harfe spielen lernen wollten?
Ach, das hatte zunächst eher oberflächliche und visuelle Gründe. Ich habe mit vier, fünf Jahren eine Harfe gesehen und gesagt: „Mama, ich will das spielen“. Dann musste ich erst einmal länger insistieren, denn Harfe ist ja jetzt nicht das Erste, woran man denkt bei einem kleinen Kind. Wir hatten auch ein Klavier zu Hause, und meine Eltern dachten, ich könnte für den Anfang hier ein paar Akkorde lernen. Aber das war nie mein Instrument – daran hat sich bis heute nichts geändert.
»Die Harfe lässt den Ton direkt mit dem eigenen Körper entstehen«
Obwohl es Parallelen gibt.
Ja, durchaus. Aber bei mir ist das etwas instinktiv Haptisches. Ich hatte schon immer den Wunsch, etwas selber angreifen zu können und mit den Fingern auf den Saiten den Klang rauszuholen. Ich mag es, Dinge zu fühlen. Beim Klavier ist immer dieser Apparat zwischen der Saite und mir, das ist wie eine Maschine, ich drücke eine Taste, dann kommt ein Hammer und macht Peng, und dann kommt erst der Ton. Bei der Harfe ist man dagegen total nah dran. Man lässt den Ton ganz direkt mit dem eigenen Körper entstehen.
Mit der Harfe gehen ja viele Assoziationen einher – das Instrument der Engel, der Dichter und des Himmels. Was ist die Harfe für Sie?
Also vor allem ist die Harfe wirklich ziemlich schwer. Der Erdungsfaktor ist enorm, und wenn man dieses 40-Kilo-Teil immer wieder Treppen hoch- und runter- und rein- und rausschleppen muss, ist man sich der Wirkung dieser Schwere sehr bewusst. Auch wenn man sitzt und das Instrument mit den Knien hält, hat man die ganze Zeit dieses Gewicht am Körper. Die Engel auf der Wolke sind also ein Klischee – wie soll die Harfe da schließlich hochkommen? Natürlich hat die Harfe diese himmlischen Farben. Doch wenn man sich darauf beschränkt, wird das schnell langweilig oder kitschig. Fünf Minuten lang ist das schön, aber dann schläft man ein und träumt von Wolke Sieben.
Was reizt Sie stattdessen?
Ich finde die anderen Qualitäten der Harfe viel spannender, gerade auch im Orchester. Das Glitzrige ist natürlich schön, aber das Tiefe, Erdige interessiert mich noch mehr. Ich mag Harfen, die diese Tiefe haben, einen enormen Bass, der auch richtig spürbar ist. Der Klang geht physisch in Wellen durch einen hindurch. Das ist toll – ein runder, wabernder Sound.
»Mit den Kontrabässen im gleichen Moment zu spielen – das ist ein Wahnsinnsgefühl«
Heute sind Sie Solo-Harfenistin beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. War das Orchester schon immer Ihr Ziel?
Ja, ich wollte von Anfang an gerne ins Orchester. Natürlich will man auch gerne als Solist auftreten, das gibt die Harfe ja auch her. Aber finanziell ist das utopisch. Man kann so viele Wettbewerbe gewinnen, wie man will als Harfenistin, aber eine Solokarriere wie als Pianist zum Beispiel würde man sowieso nie machen. Deshalb habe ich schon früh Probespiele absolviert und versucht, mich an diese stressige Situation zu gewöhnen. Aber diese Stelle, die ich jetzt habe, hätte ich mir nie erträumen können. Das ist fantastisch, ein Riesengeschenk.
Sie spielen sowohl solistisch als auch im Orchester. Wie unterscheidet sich Ihre Rolle hierbei?
Das ist tatsächlich unterschiedlich, aber es bereichert sich gegenseitig enorm. Im Orchester muss jeder Teil eines Ganzen werden, und es ist genial, wie das funktioniert, dass so viele einzelne Musiker mit ihren eigenen Charakteren, Spielweisen und Klangfarben ein gemeinsames Resultat schaffen. Man kann als Spieler unglaublich viel lernen von den Dirigenten, den Komponisten und Kollegen. Dieses musikalische Wissen bereichert und überträgt sich auch auf die solistische Tätigkeit. Umgekehrt kann man durchaus ein sehr guter Solist sein, aber nicht besonders fähig, im Orchester zu spielen. Das ist eine Timing-Frage – dafür muss man in gewisser Weise einen Instinkt haben.
Was meinen Sie damit?
Dieses Gefühl, mit den Kontrabässen auf der einen und mir auf der anderen Seite einen Ton im exakt gleichen Moment zu spielen – das ist fast instinktiv, ein unglaubliches Vertrauen, ein Wahnsinnsgefühl. Die Harfe ist zudem oft das einzige Harmonieinstrument im Orchester und verbindet die anderen Stimmen wie ein dicker Kleber miteinander. Das ist eine tolle Rolle und Herausforderung.
Im solistischen Spiel wird hingegen die Harfe selbst zum Orchester mit ganz unterschiedlichen Klängen.
Ja, absolut. Im Solistischen hört man natürlich noch mehr Klangfarben der Harfe als im Orchester. Wobei man auch im Orchester schon ziemlich viel hören sollte. Ich finde ja, wenn der Dirigent sagt, die Harfe soll leiser sein, dann hat man es geschafft. Aber im solistischen Spiel kann man ewig suchen. Es gibt so viele Klangfarben und Schattierungen und so viele tolle Effekte, die moderne Komponisten immer mehr nutzen. Die sind bei der Harfe auch wahnsinnig vielfältig, einfach, weil sie so ein Möbel ist. Wir haben so viele Saiten von ganz tief bis ganz hoch, da sind ganz viele verrückte Geräusche möglich.
Ihr Album „Nightscapes“ enthält Originalwerke und Arrangements, die mit den Themen der Nacht und des Tanzes spielen. Wie kam es zu dieser Auswahl?
Der Ausgangspunkt war das Nocturne in fis-Moll von Chopin. Da gibt es am Ende eine Stelle mit Glissando, die schon auf dem Klavier klingt, als wäre sie für Harfe geschrieben. Das wollte ich unbedingt spielen, außerdem einige Chopin-Walzer. Von Chopin ausgehend habe ich die Kombination von Nacht und Tanz weitergedacht. Die Harfe kann ja ein sehr intimes und poetisches Instrument sein – das passt zu dieser dunklen Tageszeit. Es sind dann ganz verschiedene Stücke hinzugekommen. Ein wirklich rührendes Notturno von Clara Schumann, wunderschöne Nocturnes von John Field, aber auch andere Facetten. In La Danse du Moujik von Marcel Tournier hört man zum Beispiel einen betrunken russischen Bauern, dann gibt es den Tanz der Elfen von Henriette Renié. Und natürlich Brittens Harfensuite und die Fantasie über Hoffmanns Erzählungen von Jean-Michel Damase mit der Barcarolle in der Mitte. Letztlich ist damit ein Mosaik der Nacht entstanden, das diese besondere Zeit in ganz verschiedenen Impressionen zum Klingen bringen soll.
»In der Nacht öffnen sich für mich Tore, die sonst nur schwer aufgehen«
Sind Sie selbst ein Nachtmensch?
Oh ja, ich liebe die Nacht. Ich ziehe zwar nicht von Club zu Club, das ist mir viel zu stressig. Aber ich mag die Nacht sehr, und wenn man sich da mit Freunden trifft, wird es auf eine andere Weise sozial und lebendig als am Tag, das ist schön. Außerdem öffnen sich für mich in der Nacht Tore, die sonst nur schwer aufgehen. Ich träume sehr viel, manchmal schlimme, manchmal auch wunderschöne Dinge. Nachts muss man sich nicht so viel Mühe geben. Wenn man schläft, geht es, wer weiß wohin, da fliegt die Fantasie und spannt die Seele wirklich ihre Flügel aus. Ein bisschen ist dieser Zustand natürlich auch im wachen Zustand möglich. Da muss ich manchmal an Kafka denken, der sich oft so lange wachgehalten hat, bis er über die Grenzen des Denkens hinauskam und sich die alltäglichen Dinge mit den absurden Momenten verbanden. So stelle ich mir den stream of consciousness vor: Reales und Surreales werden eins und tragen einen immer weiter. Diese fantastischen, oft auch absurden Momente, die ja sowieso immer Teil des Lebens sein sollten, finde ich total faszinierend und manchmal auch sehr lustig.
Eine Vorstellung des Albums „Nightscapes“ von Magdalena Hoffmann unter: CRESCENDO.DE
Auftrittstermine und weitere Informationen zu Magdalena Hoffmann unter: www.magdalenahoffmann.org