Martina Gedeck

Körper­liche Sprach­musik

von Stefan Sell

8. Juni 2019

Poesie ohne Musik war in der Antike undenkbar. Martina Gedeck besticht in dieser Tradition mit ihrem eigenen Ton. Sie verkörpert Fanny Mendelssohn – womöglich ein erster Schritt in den riesigen Raum des Gesangs

CRESCENDO: Frau Gedeck, Sie lesen im Baye­ri­schen Rund­funk in München gerade die Fanny in der Hörbio­grafie Fanny und Felix Mendels­sohn. Verraten Sie uns ein biss­chen?

: Ja, ich habe aus ihren Briefen und Tage­bü­chern gelesen. Sie beschreibt die Bezie­hung zwischen den beiden Geschwis­tern und ihre Entwick­lung als Künstler von Kind­heit an. Sie, die sehr zu kämpfen hatte mit ihrem Dasein als Frau in der dama­ligen Zeit – das war nicht opportun. Felix wurde viel stärker unter­stützt, ausge­bildet und geför­dert. Ihre Schaf­fens­kraft aber hat sich immer wieder Bahn gebro­chen. Sie war sehr aktiv, als Musi­kerin und auch als Kompo­nistin. Ich habe ihr persön­lich meine Stimme gegeben, ihre eigenen Texte gespro­chen. Ich finde es gut, dass hier wirk­lich die Person zu Wort kommt.

Martina Gedeck

»Ich behandle Texte, als wären sie Dicht­kunst, und lerne sie wie ein Musiker seine Partitur.«

Was ich vorab hören konnte, hat mich sehr berührt.

Ist das wahr?

Ja, Sie haben aus musi­ka­li­scher Sicht in all Ihrer Kunst ein unglaub­li­ches Timing, etwas, was man „laid back“ nennt – wie ein Musiker, der sich nicht beeilt, vorschnell alle Noten zu spielen und dennoch pünkt­lich ankommt.

Sehr gut beob­achtet. Ich beschäf­tige mich intensiv mit den Texten. Bei allem, was ich bisher gemacht habe, hat mich immer die Kunst­form Schau­spiel mehr inter­es­siert als die Wirk­lich­keit eins zu eins abzu­bilden, so wie sie ist. Mein ursprüng­li­ches Inter­esse an diesem Beruf war die Lite­ratur, besser gesagt: die Poesie. Und da sind wir beim Zauber, dem inneren Zauber, der Paral­lele zwischen Musik und Poesie. Mich hat die Verbin­dung inter­es­siert, wie ich der Sprach­musik körper­lich Ausdruck verleihen kann. Im Gegen­satz zum Theater ist die Film­sprache oft profaner, aber ich behandle diese Texte, als wären sie Dicht­kunst, und lerne sie wie ein Musiker seine Partitur. Der Ausdruck beim Spre­chen geht ja über den eigent­li­chen Inhalt hinaus. Mit der Stimme, mit der Art, wie ich den Satz spreche, gebe ich dem Menschen so etwas wie eine seeli­sche Kontur. Ich muss den Text stark verin­ner­li­chen, und im Lern­pro­zess ergibt sich ein Rhythmus. Dadurch, dass ich das gut durch­ge­ar­beitet habe, habe ich eine gewisse Gelas­sen­heit, was das Spre­chen angeht. (lacht)

Martina Gedeck

»Das Lied fordert das Im-Körper-Sein noch viel stärker.«

Können Sie sich vorstellen, die Lieder der Fanny spre­chend oder singend als eigenes Programm vorzu­tragen?

Tatsäch­lich habe ich vor einigen Monaten ange­fangen, mich mit Gesang zu beschäf­tigen. Das ist ein riesiger Raum, der sich da auftut. Das Lied fordert das „Im-Körper-Sein“ noch viel stärker. Eigent­lich bin ich unter­wegs in diese Rich­tung, das könnte passieren. Es braucht noch einen kleinen Moment, aber ich bin sehr inter­es­siert. Bei Fanny Mendels­sohn liegt es nahe, so etwas zu machen.

Könnte das ein Abend werden? Dürfen wir uns schon freuen?

(lacht) Ja, das könnte ein Abend werden. Sie hat ja eine wahn­sinnig inter­es­sante Biografie, und es ist schön, wenn das, was sie kompo­niert hat, auch aufge­führt wird.

Fanny zeigt Witz in ihren Briefen: Da wird sich „wie ein Kanin­chen amüsiert“ oder „der Magen wackelt zum Lachen“. Was sind Ihre Lieb­lings­stellen?

Ja, sie hat einen bestimmten Humor. Was mir sehr gefallen hat, ist ihre Beschrei­bung, wie sie Italien das erste Mal hinter den Hügeln sieht. Das konnte ich mir gut vorstellen, ihre Liebe und ihre Begeis­te­rung für das Land. Ganz poetisch wird sie da. Auch wenn sie sich verab­schiedet von Italien, wenn sie den letzten Tag in Rom beschreibt, wie die Sonne unter­geht … Sie drückt sich einfach sehr schön aus in ihren Briefen. Die ganze Itali­en­pas­sage hat mir gut gefallen.

Martina Gedeck

»Eines der schönsten Dinge für mich ist, dass ich erst­mals das Publikum sehe.«

Sie hatten ein beson­deres Initia­ti­ons­er­lebnis mit der Musik?

Zunächst kannte ich ja nur das Radio, und in Landshut, wo ich herkomme, gab es einen Orff-Kurs. Ganz modern, man hat dort Rhythmus gelernt. Das fand ich damals ziem­lich toll und bin dann mit neun, als wir nach Berlin gezogen sind, gleich wieder in eine moderne Musik­gruppe gegangen … (lacht), die hieß MiniVox. Der Leiter war Heinz Lau, ein moderner Kompo­nist. Da hat man zusammen Musik erfunden. Er hatte ein soge­nanntes Laus­o­phon gebaut, aus so Sachen wie Eier­schneider, Messer … Mit denen konnte man Musik machen, die elek­tro­nisch verstärkt wurde. Das waren abge­sehen vom Block­flö­ten­un­ter­richt meine Begeg­nungen mit der Musik. Schließ­lich gab es da die Platte mit einem Mozart-Klavier­kon­zert, das Monique de la Bruchol­lerie spielte, mein erstes Erlebnis eines Konzerts von A bis Z. Ich hab das immer wieder gehört, und meine Fantasie fing an zu arbeiten. Und plötz­lich hatte ich eine Vorstel­lung davon, was die Musik mir erzählt. Sie erzählt eine Geschichte, die für mich mit jedem Hören konkreter wurde. Mir war klar, das hat Mozart so gemeint, das ist eine ganz deut­liche Sprache, und genau das wird ausge­drückt. Klar, wenn man Kind ist und sich mit einer Platte sehr lange beschäf­tigt, dann fängt sie an lebendig zu werden. Das war meine erste Begeg­nung mit Musik.

Man könnte sagen, Ihr Weg ging über Neue Musik zur Klassik?

(lacht) Ich glaube, das hat alles parallel statt­ge­funden. Was mein eigenes Musi­zieren angeht, war es Neue Musik …

Sie bleiben also expe­ri­men­tier­freudig?

Ja, natür­lich, und da bin ich auch froh drüber – diese Offen­heit brauche ich in meinem Beruf.

Sie haben mehrere Konzert­pro­gramme, treten mit wunder­baren Musi­kern auf wie Sebas­tian Knauer, Xavier de Maistre, Avi Avital, dem Schu­mann Quar­tett … Was ist dabei das Schönste?

Eines der schönsten Dinge für mich ist, dass ich dabei erst­mals die Gele­gen­heit habe, das Publikum zu sehen. Die Musiker spielen, und ich kann dabei die Leute anschauen: Sie hören zu, und ich höre zu – wir hören gemeinsam zu. Und dieser Hördialog ist so wichtig und so schön. Auch, was sich auf den Gesich­tern abspielt, wie die Menschen das empfangen, was sie da aufnehmen, das sieht man ja sonst nie, auch wenn man Theater spielt. Wie ein Spiegel sitz ich dann dem Publikum gegen­über. Das ist wahn­sinnig schön.

Fotos: Karel Khne