Nemanja Radulović

Musik ­gegen die Angst

von Ruth Renée Reif

30. November 2018

Der Geiger Nemanja Radulović bringt auf seinem Album »Baïka« den Kaukasus zum Klingen. Im Gespräch erläutert er, wie Musik Liebe statt Angst befördern kann.

CRESCENDO: , wir treffen uns in der Mitte jenes Weges, den Sie im Alter von 14 Jahren zurück­legten …

Nemanja Radu­lović: Unsere Route führte in der Tat durch . Meine Eltern verließen Belgrad nach den jugo­sla­wi­schen Zerfalls­kriegen, damit ich meine Musik­stu­dien fort­setzen konnte. An der Hoch­schule in studierte ich bei Joshua Epstein. Anschlie­ßend zogen wir weiter nach Paris, wo ich in die Klasse von ­Patrice Fontan­a­rosa am Konser­va­to­rium aufge­nommen wurde.

Unter­halten Sie noch Kontakt zur serbi­schen Musik­szene?

Ein Teil meiner Familie lebt in Serbien. Deshalb reise ich noch regel­mäßig dorthin und gebe auch viele Konzerte. Das Musik­leben in Belgrad ist überaus lebendig. Die Theater und Konzert­säle sind voll. Kunst und Musik halfen den Menschen, die beschwer­li­chen Jahre des Krieges und der Teilung des Landes zu über­stehen. Und auch meiner Familie war die Musik ein Lebens­eli­xier.

Nemanja Radulovic

»Kompo­nisten in Serbien bekommen viel zu wenig Unter­stüt­zung«

Serbi­sche Kompo­nisten der klas­si­schen Musik tauchen hier­zu­lande kaum auf. Gibt es da noch etwas zu entde­cken?

Kompo­nisten in Serbien haben es schwer. Sie bekommen viel zu wenig Unter­stüt­zung. Dennoch sind einige von ihnen sehr kraft­voll. Isidora Žebeljan etwa hat trotz widriger Umstände ihren Weg gefunden. Sie schreibt Orchester- und Kammer­musik und kompo­niert für die Bühne. Ihre Oper Zora D wurde in und aufge­führt. Vor dem Krieg hatten wir noch Ana Soko­lović. Ihre Opern wurden in London und Montréal gespielt, wo sie auch lebt. Ich arbeite seit Jahren mit Alek­sandar Sedlar zusammen.

Auf Ihrem Album „Baïka“, was „Märchen“ bedeutet, ist er mit den Werken Savcho 3 und Turkey vertreten …

Sedlar ist ein genialer Musiker mit so vielen Facetten. Er schreibt nicht nur klas­si­sche Kompo­si­tionen, sondern ist auch Diri­gent, Rock­gi­tar­rist und Popsänger und arbeitet in Belgrad an einem Theater. Diese geis­tige Offen­heit spürt man in seiner Musik, die einen emotional sofort ergreift.

Wie kam es, dass er Rimski-Korsa­kows Suite Sche­he­ra­zade für Sie neu arran­gierte?

Ich konzen­triere mich mit diesem Album auf den Raum zwischen dem Schwarzen und dem Kaspi­schen Meer. Eröffnet wird es mit dem Violin­kon­zert von Chat­scha­turjan, der die Volks­weisen seiner arme­ni­schen Heimat in seine Kompo­si­tionen einbrachte. Wenn ich seine Musik spiele, sehe ich vor meinem geis­tigen Auge die arme­ni­schen Land­schaften, die grünen Täler, trockenen Steppen und stei­nigen Hoch­ebenen. Sche­he­ra­zade hörte ich in einem Konzert des Borusan Phil­har­monic Orchestra. Die Musiker spielten auf tradi­tio­nellen türki­schen Instru­menten und mich begeis­terte das unge­mein. Was für eine herr­liche Musik, dachte ich. Sie packt Kinder ebenso wie ­Kenner und das große Publikum. Die ­Fassung von Sedlar ist ein abso­luter Glücks­fall. Weil sie wirk­lich eine Geschichte erzählt.

Nemanja Radulovic

»Musik erin­nert mich an das, was wichtig im Leben ist«

Brau­chen wir immer neue Arran­ge­ments, um die klas­si­sche Musik lebendig zu halten?

Nein. Wir müssen ein klas­si­sches Werk nicht in die Gegen­wart über­tragen, als würde der Kompo­nist über unsere tech­ni­schen Möglich­keiten verfügen. Dennoch liebe ich Arran­ge­ments. Sie bringen Aspekte unserer Gegen­wart in ein Werk ein. Die Art, wie eine Kompo­si­tion gespielt und inter­pre­tiert wird, verän­dert sich ja im Laufe der Zeit. Hört man Aufnahmen von großen Geigern, Pianisten oder Diri­genten der Vergan­gen­heit, entdeckt man andere musi­ka­li­sche Vorstel­lungen als in heutigen Aufnahmen. Solche Entwick­lungen sind wichtig für den künst­le­ri­schen Prozess.

Sie suchen nach neuen Wegen der Musik­ver­mitt­lung …

Musik war für mich immer da. Sie erin­nerte mich an das, was wichtig im Leben ist. Ich empfinde eine Treue zu ihr und die Verpflich­tung, dieje­nigen für sie zu gewinnen, denen sie Hilfe sein kann. Da gilt es, gewisse Tradi­tionen zu erneuern oder neu zu schaffen. Das taten die großen Schöpfer dieser Tradi­tionen wie Bach, Mozart oder Brahms auch. Sie enga­gierten sich für die künst­le­ri­sche Welt ihrer Epoche.

Warum halten Sie dennoch an der CD als Medi­en­form fest?

Das Studio ermög­licht es, mit einer Inter­pre­ta­tion viel mehr ins Detail zu gehen. Auch wenn ich bereits mit einer Vision im Kopf komme, erschließen sich durch die Studio­ar­beit immer noch tiefere Einsichten. Zugleich ist eine solche Aufnahme wie ein Foto. Sie hält einen Augen­blick des Lebens fest.

Nemanja Radulovic

»Nur die Liebe bringt uns weiter. Angst verschließt«

Sie leben in Paris und haben die Stadt als vorur­teils­frei und ­voller Möglich­keiten beschrieben. Mitt­ler­weile aber hört man von Xeno­phobie, Anti­se­mi­tismus und Islam­feind­lich­keit. ­Wie erleben Sie das?

Das sind Ängste, die vor allem von den Medien geschürt wurden. Ich kenne dieses Phänomen nur zu gut aus den jugo­sla­wi­schen Zerfalls­kriegen. Wird im Fern­sehen etwas gezeigt, glaubt man es, auch wenn es den eigenen Erfah­rungen wider­spricht und man um die tech­ni­schen Mittel der Montage genau weiß. Aber wir sollten uns nicht von der Angst leiten lassen, sondern viel­mehr von der Liebe. Nur sie bringt uns weiter. Angst verschließt. Wir müssen uns ­öffnen für Begeg­nungen und an die Tür unserer Nach­barn ­klopfen, um einander kennen­zu­lernen. Der Musik kommt dabei eine wich­tige Rolle ­zu. Sie schafft ein Mitein­ander – und ein gemein­sames Erleben.

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Auftrittstermine und weitere Informationen zu Nemanja Radulović auf: www.nemanjaviolin.com

Fotos: Lukas Rotter