Philippe Jaroussky (Valouchka) und Komparserie in "Melancholie des Widerstands", Staatsoper Unter den Linden Berlin 2024

News | 30.06.2024

„Filmi­sche Oper“ von Dalbavie in Berlin urauf­ge­führt

von Redaktion Nachrichten

30. Juni 2024

Während auf der Bühne ein Mann sein Klavier stimmt, läuft im Hinter­grund ein Film ab, der Beklom­men­heit auslöst. Eine Frau flieht vor den aufdring­li­chen Blicken eines Mitrei­senden aus einem über­füllten Zugab­teil. Die irri­tie­rende Begeg­nung weckt in ihr die böse Vorah­nung einer Kata­strophe, die bald sie und ihre ganze Stadt bedrohen wird. So beginnt die neue Oper „Melan­cholie des Wider­stands“ des fran­zö­si­schen Kompo­nisten Marc-André Dalbavie, der das Ausdrucks­spek­trum des Musik­thea­ters durch das Medium Film erwei­tert.

"Melancholie des Widerstands"

„Melan­cholie des Wider­stands“

Das Publikum in der Berliner Staats­oper Unter den Linden begrüßte die Urauf­füh­rung am Sonn­tag­abend mit enthu­si­as­ti­schem Applaus. Die Insze­nie­rung des Auftrags­werks der Staats­oper, das den Unter­titel „Eine filmi­sche Oper“ trägt, stammt von dem unga­ri­schen Regis­seur David Marton, der hier eng mit dem ameri­ka­ni­schen Video­künstler Chris Kondek zusam­men­ge­ar­beitet hat. Das Libretto schrieb der Lite­ra­tur­wis­sen­schaftler, Lyriker und Über­setzer Guil­laume Métayer gemeinsam mit Marton auf der Grund­lage eines Romans des bekannten unga­ri­schen Schrift­stel­lers László Kraszn­ahorkai. Am Pult der Staats­ka­pelle stand die Fran­zösin Marie Jacquot, die mit der Spiel­zeit 202627 Chef­di­ri­gentin des WDR Sinfo­nie­or­ches­ters wird.

Die Sopra­nistin Sand­rine Piau beein­druckt in der Rolle der verwit­weten Haus­frau Rosi Pflaum, die sich nach dem trau­ma­ti­schen Reise­er­lebnis in ihre mit Kitsch über­la­dene Wohnung zurück­zieht, um Schutz vor der feind­li­chen Außen­welt zu finden. Ihr kind­lich-naiver Sohn Valouchka, verkör­pert von dem welt­be­kannten Coun­ter­tenor Phil­ippe Jaroussky, nimmt als Post­bote eine Mitt­ler­rolle ein. Die Rolle des ehema­ligen Musik­schul­di­rek­tors Georges Esther, der sich auf die einsame Suche nach seinem Klang­ideal begibt, singt der Tenor Matthias Klink. Als seine Noch-Ehefrau Angèle, die laut zur Ordnung ruft und sich schließ­lich auf die Seite faschis­to­ider Umstürzler schlägt, bril­liert die Mezzo­so­pra­nistin Tanja Ariane Baum­gartner. Anders als die kalt berech­nende Angèle Esther wird Rosi Pflaum die Welle der Gewalt nicht über­leben.

Dalbavie ließ sich bei dieser Oper von der Musik des fran­zö­si­schen Impres­sio­nismus, insbe­son­dere von Claude Debussys Oper „Pelléas et Méli­sande“, inspi­rieren. Neben Anleihen aus der Barock­musik arbei­tete er auch spezi­elle Klang­ef­fekte ein, die an den Surround-Sound im Kino erin­nern. Das Orchester tritt nur stel­len­weise in den Vorder­grund. Domi­nie­rend bleibt der Sprech­ge­sang der Prot­ago­nisten, der sich mit den sugges­tiven Film­auf­nahmen verbindet. Die auf die Bühne proji­zierten Bilder werden bei jeder Auffüh­rung live hinter den Kulissen gefilmt. Im Laufe der Vorstel­lung wird mehr­mals die Lein­wand hoch­ge­fahren, so dass die Zuschauer auch die Abläufe im Hinter­grund im Blick haben. Das Auge der Kamera wird quasi zum Beob­achter des Gesche­hens, die bewegten Bilder sind hier inte­graler Bestand­teil von Martons Opern­kon­zept.

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Fotos: William Minke