Oliver Triendl
Elysische Morbidität
von Roland H. Dippel
31. März 2021
Oliver Triendl begibt sich mit dem Vogler Quartett und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Roland Kluttig auf die überfällige Wiederentdeckung des Komponisten Georgi Catoire.
Er studierte Klavier und Komposition bei dem zum Bayreuther Kreis gehörenden Karl Klindworth, bei Pjotr Iljitsch Tschaikowski und Nikolai Rimski-Korsakow. Die Familie des Mathematikers und Musikers Georgi Catoire (1861–1926) stammte aus Frankreich. Das Nachleben von Catoires musikalischem Schaffen war auch deshalb gleich Null, weil er sich den politischen Umwälzungen der Oktoberrevolution durch seine Emigration nach Frankreich zu entziehen versuchte. Bitter: Das Moskauer Gedenkkonzert nach seinem Tod musste wegen Publikumsmangel entfallen. Diese CD wird der geringen Präsenz Catoires, für dessen Wiederentdeckung sich die Pianistin und Musikwissenschaftlerin Anna Zassimova im mehreren Schriften einsetzt, hoffentlich entgegenwirken. Sein Klavierkonzert As-Dur und die beiden Kammerwerke sind betörende, faszinierende Kompositionen und ein gewichtiges Glied in der russisch-europäischen Instrumentalmusik zwischen Tschaikowsky und Rachmaninoff.
Der Beginn des Klavierkonzerts klingt tatsächlich wie gelichteter Rachmaninoff mit hohen Eigenqualität. Die satztechnisch und formal hybrid wirkenden Klavierquartette sind unter schwelgerischer, fragender Melodik intensiv verdichtet. Catoire ist als Harmoniker der Repräsentant eines sehr späten 19. Jahrhunderts, der an der Schwelle zu den zerklüfteten Verführungen der Moderne innehält. Diese Neueinspielung hat in der noch viel zu überschaubaren Diskographie Catoires – überwiegend von Kammermusik und einer Siebten Sinfonie mit dem Royal Scottish National Orchestra – eine nicht zu überschätzende Bedeutung. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin bietet eine breite Farbskala und verliert sich mit weich strukturierendem Nachdruck in Catoires zu schwelgerischem Zeitgefühl-Verlust führenden Passagen.
Dem Vogler Quartett und mit ihm Oliver Triendl muss die Erarbeitung der beiden Klavierquartette zwischen sattem Aplomb und chromatischen Beigaben ein herausforderndes Vergnügen bereitet haben. Am Pult legt Roland Kluttig in jeden Takt so viel ätherisches und sattes Raffinement, als ginge es um die Bronzemedaille für Catoires Klavierkonzert knapp hinter Rachmaninoffs Zweitem und Tschaikowskys Erstem Klavierkonzert. Diese Überzeugungsarbeit gelingt mit einem glänzenden Resultat.