KlassikWoche 42/2019
OPUS Langeweile und Dresdens Neuer Direktor
von Axel Brüggemann
14. Oktober 2019
Dieses Mal endlich wieder mit handfesten und exklusiven Personal-Entscheidungen, einer ernsthaften OPUS-Kontroverse und natürlich mit vielen Empfehlungen für die Woche.
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
dieses Mal endlich wieder mit handfesten und exklusiven Personal-Entscheidungen, einer ernsthaften OPUS-Kontroverse und natürlich mit vielen Empfehlungen für die Woche.
WAS WAR
OPUS – NA UND?
Haben sie sich auch so herrlich gelangweilt, gestern Abend? Inzwischen scheinen selbst die Klassik-Stars keine Lust mehr auf den OPUS-Klassik zu haben: Joyce DiDonato, Jonas Kaufmann, Lang Lang, Mariss Janons – sie alle hielten es nicht für nötig, zur Verleihung nach Berlin zu kommen. Tenor Klaus Florian Vogt war zwar da, seine Arie wurde aber nicht vom ZDF übertragen. Überhaupt macht das alles so langsam keinen Spaß mehr. Bereits zum zweiten Mal ist die Veranstaltung nicht mehr in der Hand der Deutschen Phono-Akademie, sondern des Vereins zur Förderung der Klassischen Musik, dem eigentlich die gleichen Mitspieler aus der Plattenindustrie angehören wie zuvor auch schon. Aber die Gleichgewichte haben sich verändert: Die Major-Labels zahlen mehr und sehen nicht ein, warum sie die kleineren Labels ebenfalls ins mediale Rampenlicht stellen sollen. Von einem ernsthaften Klassik-Preis hat der OPUS KLASSIK sich auf jeden Fall weit entfernt. Clemens Trautmann von der Deutschen Grammophon hat von einer „Evolution“ des Preises geredet statt von einer „Revolution“ – aber in welche Richtung? Immerhin garantiere eine Jury die Seriosität des Preises, erklärte mir Michael Becker, Intendant der Düsseldorfer Symphoniker, auf meiner Facebook-Seite. Klar, die Jury ist super seriös: OPUS-KLASSIK-Preise gingen unter anderem an die Düsseldorfer Symphoniker und den Klavierspieler Markus Becker, den Bruder von Michael Becker. Nach der Veranstaltung regten sich einige OPUS-Beteiligte mächtig über den Artikel von Michael Stallknecht in der Süddeutschen Zeitung auf, der über die Krise des Klassik-Marktes berichtete Es ist an der Zeit, dass viel mehr solcher Texte erscheinen, die Missstände des Klassik-Marktes ernsthaft aufnehmen und die Verantwortlichen mit ihrem Gemauschel mit journalistischen Mitteln entlarven. Momentan passiert in der Regel nämlich etwas ganz anderes, der OPUS wird weitgehend ignoriert.
NEUER ORCHESTERDIREKTOR FÜR DRESDEN
In der aktuellen, diese Woche erscheinenden Print-Ausgabe von CRESCENDO setze ich mich mit der Frage auseinander, wie zielführend es ist, wenn Orchester selbstbestimmt über Chefdirigenten, Orchesterdirektoren und ihre Zukunft bestimmen – beispielhaft an den Berliner Philharmonikern und der Staatskapelle Dresden. Die hatte sich, als Jan Nast sich als Orchesterdirektor zu den Wiener Symphonikern verabschiedete, gegen den ersten Personalvorschlag von Christian Thielemann gestellt. Doch nun scheinen sich Dirigent und Orchester auf einen Nachfolger für Nast verständigt zu haben – zwei Quellen bestätigen, dass Adrian Jones, derzeit Orchesterdirektor des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, den Job übernehmen soll. Jones wurde in England geboren, verbrachte seine Jugend in Südafrika, studierte Cello in Freiburg im Breisgau und arbeitete auch als Cellist beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, bevor er als Manager zu Columbia Artist und dann zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und an die Deutsche Oper wechselte. Eine Personalie, die für etwas Ruhe in der arg gebeutelten Staatskapelle sorgen könnte. An der Semperoper wird derzeit außerdem darüber nachgedacht, ob man den Abschied der Kapelle und Thielemanns von den Salzburger Osterfestspielen nicht durch eigene Richard Strauss Festspiele kompensieren könne.
WAS IST
SIEGFRIED MAUSER MUSS INS GEFÄNGNIS
Nun ist eingetreten, was viele erwartet haben: Der ehemalige Präsident der Münchner Musikhochschule, Siegfried Mauser, muss ins Gefängnis. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil des Landesgerichts München. Die Süddeutsche fasst zusammen: „Damit steht fest, dass der inzwischen 64-jährige Mauser eine Musikerin, die sich immer wieder bei der Musikhochschule beworben hatte, in den Jahren 2007, 2009 und 2013 sexuell genötigt hatte. Diese Übergriffe liefen immer nach demselben Schema ab. Es wurde ein Termin für ein Vorstellungsgespräch vereinbart, den Mauser nutzte, um die Frau auf sein Sofa zu stoßen und sie dort sexuell zu bedrängen. Beim zweiten und dritten Treffen ging die Frau zwar vorsichtiger vor, wurde aber dennoch von Mauser überrumpelt.“ Geplante Konzerte Mausers werden wohl abgesagt, mit seinem Haftantritt wird spätestens im November gerechnet. Was mit der Festschrift zu seinem 65. Geburtstag passiert, in der sich unter anderem Peter Sloterdijk und Wolfgang Rihm zu Mauser bekennen, ist offen.
PERSONALIEN DER WOCHE
Die English National Opera hat bekannt gegeben, dass Annilese Miskimmon 2020 Intendant Daniel Kramer beerben wird. Miskimmon wurde in Belfast geboren und leitet derzeit die Oper in Oslo. +++ Letzte Woche haben wir bereits über Anne-Sophie Mutter berichtet, die ein Konzert in Ohio unterbrach, weil jemand im Publikum mit dem Handy filmte. Hier spricht Mutter selber über den Vorfall, außerdem postete sie auf Facebook einen Link zu einem Text der New York Times, in dem es um sie, aber auch um Rihanna und die neue Etikette während der Konzerte geht. +++ Der Pariser Opernintendant Stéphane Lissner, der 2021 sein Amt an Alexander Neef abgeben muss, wird Leiter des Teatro di San Carlo in Neapel. +++ Der französische Geiger Renaud Capuçon hat mit einer Konzert-Tour durch sechs Kathedralen mehr als 100.000 Euro für den Wiederaufbau von Notre-Dame gesammelt – Chapeau! +++ Der Pianist Lars Vogt wurde zum Musikdirektor des Pariser Kammerorchesters ernannt – er tritt den Job im Juli an. +++ Die designierte Intendantin des Konstanzer Stadttheaters Karin Becker hat Johannes Bruggaier erklärt, was in ihrer Amtszeit wichtig wird: Mehr Frauen, weniger Produktionen – ein besseres Betriebsklima. +++ Dieser Gedanke schafft es nicht einmal mehr als eigenes Thema, denn es mutet so langsam peinlich an, wenn Österreichs greiser Chef-Kritiker Wilhelm Sinkovicz von der Presse inzwischen sogar Gastkommentatoren beauftragen muss, die ihn und seine Positionierung gegen Nikolaus Bachler hochjubeln – Mensch, lieber Professor Fritz Peter Knapp, The Times They Are a‑Changin«, und liebe Presse, was ist denn das für ein journalistisches Ethos? +++ Nach seiner Krankheit im Sommer gute Nachrichten von Mariss Jansons. Gerade hat er in München die Proben für den neuen Konzert-Zyklus aufgenommen (hier übrigens eine Hymne zum Gewinn des OPUS KLASSIK 2019 für sein Lebenswerk).
AUF UNSEREN BÜHNEN
Leipzigs Schauspielchef Enrico Lübbe inszeniert Wagners Tristan. Die nmz schreibt: „Die Première … endete mit lautem Jubel. Der Liebestod wird in Lübbes Inszenierung zum Happyend. Schon bei König Markes letztem ‚Warum?‘ steht Tristan von den Toten auf.“ +++ Trotz aller Pädophilie-Vorwürfe: Der Broadway in den USA hält an der Aufführung eines Michael-Jackson-Musicals fest, berichtet der Tagesspiegel. +++ Ein gutes Haar lässt Markus Thiel im Merkur nur an Chefdirigent Anthony Bramall, wenn es um die szenische Aufführung des Händel-Oratoriums am Gärtnerplatztheater geht: „Es hätte … kontrovers werden können …, aufregend als Hinterfragung von Religion, Legenden und Glaubensinhalten. Doch Torsten Fischer, der fürs Haus mit der ‚Aida‘ die aktuell beste Münchner Verdi-Inszenierung besorgte, spielt lieber ‚Ich packe meinen Koffer‘.“ +++ Elias Pietsch berichtet im Tagesspiegel darüber, wie die Stipendiaten der Karajan-Akademie im Youtube-Space von Berlin neue Inspiration finden.
WAS LOHNT
Mein OPUS-Tipp: das Berolina Ensemble mit der Entdeckung des Komponisten Waldemar von Bausznern
Die Memoiren der Sängerin Brigitte Fassbaender sorgten schon vor ihrer Veröffentlichung für Aufsehen – unter anderem, weil sie über pikante Begegnungen mit Plácido Domingo berichtet. Mein Kollege Fabian Stallknecht hat das Buch gelesen und ist zur Überzeugung gelangt: „Dass wir es mit einer der intelligentesten und reflektierenden Sängerinnen der jüngeren Operngeschichte zu tun haben, übersetzt sich auf jeder Seite. Sie hat eine Menge zu sagen und nimmt kein Blatt vor den Mund, ohne sich als Letztinstanz zu gerieren.“ Längst ein Klassiker: unser Gespräch, in dem Fassbaender heutigen Musikern die Leviten liest – aufgenommen, als der OPUS noch ECHO hieß.
Wenn ich nun am Ende des Newsletters noch die CD eines OPUS-KLASSIK-Preisträgers empfehlen müsste, dann wäre es das große Projekt des Ensembles Berolina, das den vergessenen Komponisten Waldemar von Bausznern entdeckt. Wann passiert es schon, dass junge Musiker bei wildfremden Menschen klingeln, darum bitten, den Dachboden des Großvaters durchwühlen zu dürfen – und geniale Musik finden.
In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif.
Ihr
brueggemann@crescendo.de