Peter Horton & Slava Kantcheff
Wenn der Seele Flügel wachsen
von Stefan Sell
3. September 2021
Peter Horton und Slava Kantcheff sind ein kongeniales Paar auf der Bühne und im Leben. Märchenhaft ist die Geschichte des Gitarristen und der Pianistin. „Rhapsody of Virtuosity” betiteln die beiden ihr Album.
Peter Horton und Slava Kantcheff begegnen sich in der Sendung Café in Takt und verlieben sich ineinander. Ein Jahr darauf erarbeiten sie sich innerhalb einer Woche eines ihrer Bravourstücke Freaky Fingers und brillieren damit live in Gottschalks TV-Sendung Na sowas!. Seither sind sie ein Künstlerpaar mit weltweiten Erfolgen. Sie heirateten, wurden geschieden, heirateten wieder. Sie sind unzertrennlich. Horton hat nicht nur Kultur ins Fernsehen gebracht, er und Sigi Schwab haben mit Guitarissimo Gitarrengeschichte geschrieben. Kantcheff und Horton haben zusammen nahezu 4000 Konzerte gegeben und ihr neues Album „Rhapsody of Virtuosity” kann kaum ein treffenderen Titel tragen, beschreibt er doch die „Vitalität” ihrer beider „Feuerfinger”, wie zwei der 16 Best-Of-Titel heißen. Nach wie vor finden die beiden so berührende wie liebevolle Worte füreinander.
CRESCENDO: Was haben Sie empfunden, als zum ersten Mal Ihrer beider Stimmen und Spiel zusammenklangen?
Peter Horton: Mir gefiel Slavas Spiel von Anfang an. Sie stand ja mit zehn Jahren das erste Mal mit großem Orchester auf der Bühne, spielte Bach und Mozart. Als ich sie kennenlernte, wusste ich davon nichts. Als ich sie erlebte, war das sehr schön.
Slava Kantcheff: Das erste Mal begegneten wir uns auf der Bühne von „Café in Takt”. Ich war sofort von seiner Stimme fasziniert und habe mir gleich seine Bücher gekauft. Das hat mich sehr berührt.
Sie wurden ein Paar und spielten zusammen. Klavier und Gitarre, war das nicht zu ausgefallen?
Kantcheff: Ja, das war damals wirklich gewagt – die Gitarre als eher leises, filigranes Instrument, der Flügel dagegen fast wie ein Orchester. Unser erstes Stück war Freaky Fingers. Peter fragte, ob wir den Fernsehauftritt bei Gottschalk nicht zusammen machen wollen. Also musste er alles in Noten aufschreiben, da ich ja klassische Pianistin bin.
Horton: Ich war ja früher auch Pianist. Dann dachte ich, wenn ich in den Bergen wohne, kann ich ja den Flügel nicht immer hochschleppen. Die Gitarre kann ich immer mitnehmen.
Kantcheff: Peter hat mir erzählt, er hat sich auf die Gitarre spezialisiert, weil es bereits einen Udo Jürgens am Klavier gab.
Aber er kam nie im Bademantel auf die Bühne wie Udo Jürgens?
Kantcheff: Nein, das hat sich Peter gespart.
Horton: Ich habe mich erst mit 28 auf die höhere Ebene des Gitarrenspiels begeben. Ich war in Brasilien und Córdoba, um mich mit Samba und Flamenco zu beschäftigen. Das ging ganz gut.
Literatur für Klavier und Gitarre ist rar gesät. Sie haben das Repertoire erweitert. War das Ihr Plan?
Kantcheff: Nach unserem Erfolg bei Gottschalk begann Peter für uns zu komponieren. Cosmic Guitarman war ursprünglich für eine Gitarre, dann für zwei. Erst dann hat er den Klavierpart dazu geschrieben. So wuchs unser Programm nach und nach.
Sie sind sowohl auf der Bühne als auch privat ein Paar. Was war zuerst da – die Liebe oder die Musik?
Kantcheff: Die Liebe!
Horton: Die Liebe ist etwas Höheres als die Musik!
Seelenverwandtschaft?
Horton: Ja. Ja!
Kantcheff: Ich glaube schon.
Dennoch wollten Sie immer wieder ohne einander…
Kantcheff: Ja, wir haben uns privat nach neun Jahren getrennt – im Guten, wir haben ja unsere Konzerte auch weitergemacht. Jeder hatte zeitweise andere Partner, aber wir haben uns nie aus den Augen verloren, der Seelenverwandtschaft wegen. Vor zirka sechs Jahren haben wir uns gefragt, was das eigentlich soll und haben wieder geheiratet.
Das neue Album „Rhapsody of Virtuosity” ist eine Zusammenstellung vieler Ihrer Aufnahmen über Jahre hinweg. Kaum ein Genre, das ausgelassen wurde. Aufstand der Regenschirme, Rock on Wood, Les feuilles mortes – das ist schon eine Bandbreite. Wie haben Sie sich diese Stilistiken neben der klassischen Musik zu eigen gemacht?
Horton: Manchmal geht man in einen Wald und denkt, den kenne ich, und dann stellt man fest, ich kenne ihn gar nicht. Ich gehe hinein und entdecke sofort neue Sträucher, neue Bäume und neue Wege. So war das bei uns im geistigen Sinne, wir haben uns darüber noch mehr entdeckt. Nicht, weil wir das vorher schon wussten, sondern wir haben auf diesem Wege die eigentlichen Systeme des Inneren entdeckt.
Kantcheff: Das hat sich in den Kompositionen widergespiegelt. Immer wieder hat man uns eine eigene musikalische Sprache bescheinigt. Um das zu zeigen, haben wir aus fünf Alben die Stücke herausgenommen, die sehr typisch für uns sind. Zum Beispiel das Stück Concerto Korsakoff, das war in unseren Konzerten immer die erste Zugabe. Entstanden ist das Stück, weil wir einen Auftrag für Hans Joachim Kulenkampffs TV-Sendung Einer wird gewinnen bekamen. Es ging darum, zwei Stücke zu kombinieren, und die Leute mussten erraten, was das ist. Das hat uns aber selbst so gefallen, dass Peter das erweitert hat.
Rimski-Korsakows Hummelflug trifft einem Quodlibet gleich Moskauer Nächte von Wassili Pawlowitsch Solowjow-Sedoi. Doch Sie haben aus diesen zwei Stücken ein völlig neues, ein drittes Stück kreiert – eine wunderbare Allegorie auf Ihre Partnerschaft: zwei eigenständige Seelen, die zusammen etwas Neues ergeben. Da zeigt sich das Komplementäre Ihres Zusammenwirkens. Klavier und Gitarre haben beide die Lyra als Urahnin, der wiederum die Lyrik ihren Namen verdankt. Faszinierend, dass Ihr musikalisches Konzept zugleich ein Poetisches ist. Frau Kantcheff, wie war Ihr Werdegang, was waren die wichtigen Stationen?
Kantcheff: Ich bin in Paris entstanden, meine Eltern haben da gelebt. Vier Tage vor meiner Geburt ist meine Mutter nach Wiesbaden gefahren und hat dort entbunden. Meine Eltern haben weiter in Paris gelebt, ich allerdings die meiste Zeit bei meiner Oma in Wiesbaden. Mit fünf Jahren habe ich begonnen Flöte zu spielen und bin damit mit acht Jahren im Fernsehen aufgetreten. Ebenfalls mit acht dann Klavier, mit zehn mit einem Klavierkonzert von Mozart mein erster Auftritt im großen Saal des Kurhauses in Wiesbaden. Mit zwölf schließlich ein Klavierkonzert von Beethoven. Einmal im Monat hatte ich Unterricht bei Pierre Sancan. Der war nicht nur Komponist, sondern auch ein grandioser Pianist. Mit 17 hatte ich mein Abitur in der Tasche, dann erst bin ich aufs Conservatoire de Paris gekommen, habe die Aufnahmeprüfung bestanden und in Paris studiert.
Herr Horton, Sie haben zweimal Ihren Namen geändert, einmal in Horten, dann schlussendlich in Horton. Ist das richtig, dass die zweite Namensänderung im Zusammenhang mit der damaligen Kaufhauskette Horten zusammenhing?
Horton: Wenn ich in England im Fernsehen aufgetreten bin, haben die Zeitungen immer Horton geschrieben. Da dachte ich, kann ich meinen Namen auch gleich in Horton ändern.
Theoretisch hätten Sie, wenn England nicht gewesen wäre, Ihren Namen behalten können. Auf alle Fälle hatten Sie den längeren Atem: Sie gibt es noch, das Kaufhaus Horten schon lange nicht mehr. Ein Sieg der Kunst übers Kapital sozusagen. Herr Horton, Sie feiern am 19. September Ihren 80. Geburtstag. Ihre Wünsche für die Zukunft?
Horton: Sehr wichtig ist mir die Schriftstellerei geworden. Ich konzentriere mich mehr und mehr darauf.
Haben Sie vor, Ihre Biografie zu schreiben?
Horton: Eine Biografie ist kein Problem! Ob ich sie schreiben will, ist eine andere Frage.
Eine Biografie drückt sich ja auch im musikalischen Schaffen aus.
Kantcheff: Ja, absolut, diese Stücke, die wir jetzt für die CD ausgewählt haben, reflektieren allesamt unser beider Persönlichkeit.
Man kann also sagen in ihrem Fall ist, was Platon gesagt hat, wahr geworden: Sie beide sind wieder zu einem Kugelwesen geworden. Machen Sie beide auch Urlaub voneinander?
Kantcheff und Horton: Nicht so viel.
Wie sehen den derzeitigen Stellenwert der Kultur in Zeiten der Pandemie?
Kantcheff: Wenn sich da etwas ändern soll, müssten die Menschen wieder feststellen, dass Kultur Nahrung für die Seele ist. Ich glaube aber, die Menschen brauchen noch ein bisschen Zeit, um sich zu besinnen, wie wesentlich das ist.
Ist es nicht so, dass quantitativ so viel kostenlos angeboten wird, dass den Leuten überhaupt nicht auffällt, dass sie für Qualität eigentlich bezahlen müssten. Und vielleicht müsste man dafür den Hahn abdrehen, damit die Leute merken, was Ihnen fehlt?
Horton: Was CDs und Platten betrifft, ist ja allen aufgefallen, dass das zurückgeht und nur noch Streamingdienste den Markt beherrschen.
Kantcheff: Es ist etwas anderes, etwas in der Hand zu halten wie ein Buch oder eine CD mit einem Booklet. Man nimmt es so auch anders auf.
Das ist ja auch bei Ihrer CD so, das wunderschöne Booklet hilft mit, sich in die Musik zu versenken.