Philipp Hochmair
Lust auf Limit
2. August 2023
Er ist der Mann fürs Extreme, im Film wie auf der Bühne: Philipp Hochmair, 2018 als Jedermann gefeierter Einspringer für Tobias Moretti in Salzburg, beherrscht die ganze Palette – eiskalt, herzenswarm, ironisch, bedrohlich, tödlich zynisch, smart, durchgeknallt ... Und ja, man glaubt ihm alles!
Herr Hochmair, Filmdrehs beginnen ja oft sehr früh, das sind Sie gewöhnt, trotzdem: Ist ein Interview um 10.30 Uhr nicht eigentlich eine Zumutung?
Im Gegenteil, für mich ist ein gemeinsames Philosophieren eine schöne Vormittagsbeschäftigung an einem freien Tag.
Haben Sie ein Morgenritual? Was frühstücken Sie, Kaffee und Zigarillo?
(lacht) Ich war gerade in Indien und habe eine Reinigungskur gemacht, also gibt es weder Kaffee noch Nikotin, und schon gar nicht morgens. Heißes Wasser mit ein paar Vitaminen, das macht mich heute froh.
Sie sind unglaublich erfolgreich mit Ihrer Jedermann Reloaded mit Ihrer Band „Die Elektrohand Gottes“, eine Performance, die im Verein mit dem Mashup-Künstler Kurt Razelli auch noch einen Ableger bekommen hat, mit dem Schiller Balladen Rave, mit Goethes Werther. Hofmannsthals Jedermann wird zwar in Salzburg seit 100 Jahren gespielt, dabei aber auch manchmal belächelt. Und Goethe und Schiller auf ihren Podesten sind, zusammen mit dem ganzen Kanon klassischer Bildung, schon etwas ins Wanken geraten …
Ich wurde in der Schule damit gequält – bis mir ein Licht aufgegangen ist. Und dieses Licht glüht und lodert bis zum heutigen Tag. In diesen Klassikern stecken enorm viel Wahrheit und Energie. Das ist es wert zu tradieren und immer aufs Neue zu beleben und zu durchleben. Traditionelle Jedermann-Aufführungen gab’s auch im Berliner Dom oder in der Hamburger Hafencity, zwei schöne Theaterabende, vielleicht etwas volkstümlicher. Aber man merkt, dass sich das Stück nicht umsonst so lange gehalten hat. Hofmannsthal greift dabei ja auf ein „Morality play“ aus dem Mittelalter zurück – und wenn mal etwas 500 Jahre überlebt hat, dann ist da wirklich etwas dran! Diese ewigen Mythen und Archetypen sind unzerstörbar und werden nicht zufällig immer wieder auch beispielsweise in Hollywood verwendet. So viele wirklich gute Geschichten gibt es ja gar nicht. Vielleicht habe ich als Unwissender auch mal darüber gelächelt und die Nase gerümpft. Aber sobald man da mal wirklich eintaucht, spürt man diese unglaubliche Kraft.
Wohl auch am liebeskranken Werther …
… bei dem es immerhin 300 Jahre sind, genau. Zuerst einmal ist das rein literarisch ein ganz hohes Niveau, jeder Satz ist komponiert und gedrechselt. Schon das ist eine Freude fürs Herz, fürs Hirn und für den ganzen Körper. Und dann noch diese geniale Geschichte eines Liebeswahns, die jeden Menschen betrifft, der jemals in so einen Gefühlsstrudel gekommen ist. Das Maß zu finden und zu wissen, wo die Grenze ist: Mit diesem Thema spielt das Buch.
Sie lassen sich Ihre Rollen vorlesen: Was muss man können für diese Dienstleistung?
Ich habe eine Leseschwäche und bin da auf eine gewisse Hilfe angewiesen. Aber zugleich ist das Üben und Durchexerzieren von Dialogen am Tisch – noch ohne Publikum – eine wunderbare Sache. Ich denke, dass das in der Musik nicht viel anders ist: Man kann bei Duetten auch nicht nur auf die eigenen Einsätze warten und den Rest ausblenden. Mir sind dafür alle Menschen recht, die Lust darauf haben, weil jeder eine Eigenart mitbringt, ob Friseur oder Literaturstudentin. Es geht mir um ein Erlebnis mit dem Text. Im Theater probt man gemeinsam, aufs Filmset muss man mit einem fertigen Charakter und einem in- und auswendig gelernten Text kommen. Und den erarbeite ich mir bewusst mit einem Gegenüber. Monatelang Schillers Don Karlos am Küchentisch: Das ist Sprechtanz, Musik, die einen noch weit über die Produktion hinaus begleitet.
Rollen hörend zu lernen, ist ja an sich schon überaus musikalisch. Die Stimme ist Ihr wichtigstes Instrument. Wie behandeln Sie sie?
Meine Stimme und ich: Wir sind zusammen durch dick und dünn gegangen. In 20, 25 Jahren auf der Bühne hat sich ein Muskel gebildet, der mich bis jetzt nie im Stich gelassen hat. Und um im Training zu bleiben, sind drei oder vier Vorstellungen im Monat perfekt. Also parallel zur Filmarbeit, denn im Film wird die Stimme nicht wirklich gefordert.
Weil das Mikro so nahe ist?
Ja, man muss ganz leise bleiben, die Mikros sind sehr sensibel. Da reicht ein Gesprächston. Laute Szenen im Film sind eher selten.
»Wir sind verpflichtet, die Türen in die finsteren Zimmer der Seele zu öffnen.«
Im Gegensatz dazu lassen Sie auf der Bühne ja regelmäßig ganze Sauherden raus – ist das nicht auch unglaublich anstrengend? Wie ökonomisch und achtsam kann man da überhaupt sein?
Letzten Dienstag am Burgtheater Jedermann Reloaded, das war wieder ganz typisch für diese Aufführung. Ich kam auf den letzten Drücker aus Berlin und musste am nächsten Morgen mit dem ersten Flugzeug wieder zurück zur Berlinale. Und dazwischen: dieser extreme Work-out für Seele und Körper gleichzeitig, der mit nichts anderem zu bekommen wäre. Bergbesteigung, Olympiasieg und Rauschzustand mit rein körpereigenen Substanzen! Endorphine, Stress- und Glückshormone, Stille und absolute Dynamik … Alles in 100 Minuten. Natürlich muss man da sehr auf sich aufpassen. Aber in dem Moment, in dem man sich dem Fluss hingeben darf, ist es ein unglaubliches Glück.
Dafür pausieren Sie dann wieder in Indien?
Ja, das ist dann der unersetzbare Gegenpol. Ohne rigorose Auszeiten wäre es nicht machbar. Den Körper muss man respektieren und pflegen – und zwar nicht bloß oberflächlich. Auf Filmsets verschlingt man schnell mal ein paar Schokoriegel, vor großen Aufführungen ist die Versuchung umso stärker, sich rasch noch aufzuputschen, mit Zucker, Kaffee, Fleisch. Und so kommt es im Körper zur Übersäuerung, und das sollte immer wieder mal ausgeglichen und neutralisiert werden.
Sie haben in „Wannseekonferenz“ Reinhard Heydrich gespielt, der den Massenmord an den Juden geplant hat. Kann man sich einen solchen Charakter überstülpen wie eine Maske – oder muss man versuchen, auch so einen Unmenschen in sich zu finden, aus sich heraus zu entwickeln? Kann man den „menschlich“ zeigen? Oder hilft es, sich mit irgendwelchen verbürgten Details historisch abzusichern?
All das zusammen. Als würde man bewusst ein Ticket lösen für die Reise auf einen wirklich bösen Planeten. Ich saß zum Beispiel im Hotelzimmer, und es kam eine Doku über Marc Dutroux, den belgischen Kindermörder. Grauenhaft. Mein erster Impuls war wegzuschalten, aber dann habe ich mich gezwungen, das mit den Augen eines Forschers anzusehen. Oder wie Professor Prokop in der Serie Charite, der an den Leichen, völlig emotionslos, nach Spuren sucht, die zum Täter führen können. Diese Haltung hat mir bei Heydrich sehr geholfen. Schon Dostojewski wusste: Der Künstler ist der Bruder des Verbrechers. Also: Man überwindet sich und identifiziert sich mit Gedanken, die nicht der eigenen Moralvorstellung entsprechen. Um unkommentiert einen Menschen zu spielen, der sich ein System überlegt hat, elf Millionen Menschen umzubringen. Und so dem Zuschauer eine Chance zu geben, , selbst zu entscheiden, was richtig und was fasch ist. Wir sind verpflichtet, die Türen in die finsteren Zimmer der Seele zu öffnen. Hinterher muss man dann als Darsteller allerdings Energie aufwenden, die Gedanken einer solchen Rolle wieder loszuwerden. Ähnlich wie mit der Übersäuerung des Körpers, man muss die Seele nach so einem intensiven Film wieder neutralisieren.
»Mich fasziniert nicht die Präzision, sondern das Unerwartete.«
Versuchen Sie so Method-acting-mäßig alle Fragen für sich zu klären, die eine Figur hinter dem Text aufwirft, oder darf auch etwas offen, intuitiv bleiben?
Da bin ich eher der zweite Typ. Man muss auch was dem Zufall überlassen. Ich komme vom Theater – und da weiß man, dass man nie im Vorhinein wissen kann, was in der Aufführung alles passieren wird. Auch im Film will ich ein gewisses Restrisiko behalten. Ich bin nicht der Typ, der jeden einzelnen Handgriff vorbereitet und abspult. Ich suche im Moment die Welle, die einen noch ganz woanders hinbringen kann.
Welche musikalischen Vorlieben hat Philipp Hochmair?
Genau wie in Theater und Film suche ich auch in der Musik Leute, die die Grenzen ausloten. Zum Beispiel, wenn Jimi Hendrix mit der Zunge Gitarre spielt und genialen Krach macht! Oder im Schauspiel etwa Klaus Kinski: Exzess, bis die Polizei kommt! Mich persönlich fasziniert nicht die Präzision, sondern das Unerwartete, an der Grenze zum Unkontrollierbaren.