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Philippe Jaroussky

Musi­ka­li­scher Masken­spieler

von Dorothea Walchshäusl

21. Februar 2019

Aufregende Freizügigkeit: Der Countertenor Philippe Jaroussky entdeckt die Frivolitäten des frühbarocken Francesco Cavalli.

CRESCENDO: Sie haben das Fach des Coun­ter­te­nors einmal als neue Form der Männ­lich­keit bezeichnet. Was meinen Sie damit?

: Ich glaube tatsäch­lich, dass der Coun­ter­tenor für eine neue Form steht – oder besser gesagt für eine neue alte Form (lacht). Die Eintei­lung der Stimmen in die weib­li­chen und die männ­li­chen Fächer entspringt der roman­ti­schen Kate­go­ri­sie­rung. Die Kastra­ten­stimme stach dabei immer als beson­dere Art der Stimme hervor. Aller­dings haben die Kastraten durchaus auch sehr starke Charak­tere inter­pre­tiert. Sie hatten zwar hohe Stimmen, aber das hat nicht bedeutet, dass sie nicht auch männ­liche Parts über­nommen hätten. Es ist sicher kein Zufall, dass nach Ende des Zweiten Welt­kriegs auf einmal die Coun­ter­te­nöre wieder eine Rolle spielten. Der Krieg war so furchtbar gewesen, dass die Menschen diese starren Rollen­bilder des Mannes, der in den Krieg zieht, und der Frau, die sich zu Hause um die Kinder kümmert, nicht mehr wollten. Die Wieder­ent­de­ckung des Coun­ter­te­nors und über­haupt der hohen Stimmen in der Musik war ein Weg zu sagen: Auch Frauen können stark sein und Männer dürfen ihre sensible Seite zeigen. Ein Mann kann weinen und eine Frau kann kämpfen.

Sie haben Ihre Stimme erst relativ spät als Ihr Instru­ment entdeckt. Wie hat sich das ange­fühlt?

Als ich begonnen habe zu singen, habe ich auf einmal eine große Frei­heit gespürt. Ich musste viel weniger kämpfen als an der Geige, aller­dings habe ich mich am Anfang auch regel­recht nackt gefühlt. Man kann sich schließ­lich nicht hinter seinem Instru­ment verste­cken. Aber ich habe hart daran gear­beitet und eine große Erfül­lung im Gesang gefunden. Dabei wollte ich nie sein und singen wie eine Frau. Der Coun­ter­tenor ist einfach die Stimme, in der ich mich zu Hause fühle.

Philippe Jaroussky

»Als ich begonnen habe zu singen, fühlte ich mich regel­recht nackt.«

Als Opern­sänger taucht man immer wieder in neue Charak­tere ein. Wie geht es Ihnen damit?

Wir Opern­sänger sind manchmal fast ein biss­chen zu sehr damit beschäf­tigt, ganz mit einer Rolle zu verschmelzen. Für mich ist es das Wich­tigste, die Verbin­dung zur Musik zu bekommen. Die Musik sollte beein­flussen, wie ich singe, und nicht umge­kehrt. Wenn ich eine neue Rolle lerne, beginne ich mit der Partitur und lasse die Gefühle, die diese Musik in mir auslöst, in meine Stimme über­gehen. Das ist ein sehr intui­tiver Prozess und manchmal entstehen dabei span­nende neue Dinge: Dann bekommt eine eigent­lich sehr schnelle Arie eine gewisse Süße oder eine lang­same Arie bekommt etwas sehr Domi­nantes. 

Auf Ihrem neuen Album widmen Sie sich verschie­denen Arien und Duetten von , außerdem sind reich instru­men­tierte Orches­ter­werke zu hören. Wie sind Sie auf diesen Kompo­nisten gestoßen?

Mein erster Kontakt mit Barock­musik in der Oper war Monte­verdi. Kurz darauf entdeckte ich Cavallis Musik und war von Beginn an faszi­niert von den viel­fäl­tigen Klang­farben, Kontrasten und Stim­mungen. Dabei war auch die Zusam­men­ar­beit mit Gabriel Garrido und ganz entschei­dend für mich. Bei ihnen habe ich unglaub­lich viel gelernt und entdeckt, wie reich Cavallis Musik ist. Mit nur wenigen Noten schafft er wunder­bare Melo­dien voller Charme. Die Opern von Cavalli haben großes drama­ti­sches Poten­zial, und mit gutem Grund werden sie seit einigen Jahren an vielen Opern­häu­sern wieder intensiv gespielt. 

Philippe Jaroussky

»Die Opern von Cavalli haben großes drama­ti­sches Poten­zial.«

Die Opern von Cavalli standen vor allem zur Karne­vals­zeit auf den Spiel­plänen in . Haben Sie den vene­zia­ni­schen Karneval selbst schon einmal erlebt?

Ich war oft in Venedig, aber nie während des Karne­vals. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob er heute noch wirk­lich das reprä­sen­tiert, was er einmal war. Aber ich wollte auf dem Album die Kontraste dieser Zeit zeigen. Der Karneval war einer­seits ja ein Moment des Über­flusses und des Luxus, gleich­zeitig gab es aber auch dunkle Seiten: Schließ­lich gab es damals viel Krank­heit, auch heftige Epide­mien wie die Pest. Umso mehr wollten die Leute das Leben im Moment genießen, weil sie nicht wussten, ob sie das nächste Jahr erleben würden. Cavallis Musik spie­gelt genau das wider. Beide Seiten, die helle und die dunkle Maske, der Reichtum, die Armut und der Tod, finden sich in seinen Opern. Dieses Yin und Yang wollte ich auf dem Album haben. Der Karneval war jene Zeit im Jahr, in der die Menschen hinter ihren Masken alle auf einer Ebene waren. Deswegen hatte er auch eine große gesell­schaft­liche Bedeu­tung. Die Reichen konnten uner­kannt bleiben, die Armen waren ein biss­chen weniger arm und alle feierten zusammen. 

Philippe Jaroussky

»Eine Lehre von Cavalli: freier und mutiger sein, uns weniger beschweren und beklagen.«

Cavalli war ein Schüler von Monte­verdi. Wie eigen­ständig ist seine Musik?

Erst einmal kann man klar fest­stellen: Monte­verdi hat einen Stil geschaffen. Cavalli ändert diesen Stil nicht, sondern er bleibt der Schule Monte­verdis treu. Gleich­zeitig hat unter Cavalli aber eine ganz entschei­dende Verän­de­rung statt­ge­funden: Die ersten öffent­li­chen Theater wurden aufge­macht! Bislang war Oper nur etwas für die reichen Leute gewesen. Cavalli machte sie nun für jeden zugäng­lich, und das ist wohl auch der Grund, warum der Humor und die Komik in seiner Musik eine so große Rolle spielen. Cavalli wollte nicht nur Könige und Fürsten porträ­tieren, er wollte den Alltag der Menschen zeigen und das Volk und dessen Leben reprä­sen­tieren. In seinen Opern kommen verschie­denste Charak­tere vor, und man kann die vene­zia­ni­sche Gesell­schaft förm­lich spüren. Inso­fern hat Cavalli den Stil von Monte­verdi erst richtig populär gemacht, und seine eingän­gigen Melo­dien könnten manchmal fast die Popmusik von heute sein. Wenn man Cavallis Opern hört, staunt man, wie frei und mutig diese Stoffe sind. Bei aller Tragik sind sie immer auch voller Humor und übri­gens auch sexuell sehr frei­zügig – an einer Stelle in einem Liebes­duett geht es unmiss­ver­ständ­lich um Sex (lacht). Das heißt, die Musik ist fast 400 Jahre alt, aber manchmal herrscht da mehr Frei­heit als in unserer heutigen Zeit. Das ist unglaub­lich span­nend. Manchmal habe ich das Gefühl, wir werden immer unfreier. Eine Lehre von Cavalli könnte sein: Wir sollten viel freier und mutiger sein, uns weniger beschweren und beklagen.

Fotos: Josef Fischnaller / Parlophone Records Ltd