KlassikWoche 51/2023

Plädoyer für kriti­schen Kultur­jour­na­lismus

von Axel Brüggemann

18. Dezember 2023

Ein Rückblick auf das Klassik-Jahr 2023, Verleger Winfried Hanuschik über kritischen, unabhängigen und mutigen Journalismus.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit einem etwas anderen News­letter. CRESCENDO-Heraus­geber Winfried Hanu­schik erklärt, was ihm kriti­scher Kultur­jour­na­lismus bedeutet, und mit welchen Mitteln immer wieder versucht wird, Einfluss auf unsere Bericht­erstat­tung zu nehmen. Es geht unter anderem um eine juris­ti­sche Ausein­an­der­set­zung mit dem Diri­genten  und ein Plädoyer für enga­gierten und mutigen Jour­na­lismus. Zunächst schauen wir aber kurz zurück auf das Klassik-Jahr 2023.

Rück­blick: Tops und Flops 2023

Die drei Klassik-Tops und die drei Klassik-Flops des Jahres 2023. In dieser Video-Kolumne stelle ich meinen ganz persön­li­chen Jahres­rück­blick vor. Am Ende gibt´s einen kurzen Schlenker nach Kassel und eine Buch­emp­feh­lung für die Weih­nachts­tage! 

Bevor ich an den Heraus­geber weiter­gebe noch dieses: Ich arbeite inzwi­schen seit 16 Jahren mit Winfried Hanu­schik zusammen: Wir haben das CRESCENDO Ende 2007 einige Jahre lang gemeinsam weiter entwi­ckelt, haben mitein­ander gerungen, gestritten und eine gemein­same und freund­schaft­liche Kultur für Argu­mente und Diskus­sionen entwi­ckelt. Basis ist dabei das gegen­sei­tige Vertrauen und der Gedanke, unsere Begeis­te­rung für die Musik zu teilen! Es gibt wenige Heraus­geber, die ihren Autoren so sehr vertrauen, ihnen, auch wenn es schwierig wird, den Rücken stärken und sich mit Leiden­schaft und großem Risiko als Ermög­li­cher begreifen. Das CRESCENDO und dieser News­letter sind ein Teil dieses jour­na­lis­ti­schen Macher­tums, vor dem ich – nicht nur weil Weih­nachten ist – den Hut ziehe! 

Gemeinsam für kriti­schen Jour­na­lismus

Liebe Lese­rinnen und Leser der Klas­sik­Woche,

mit dem letzten News­letter in diesem Jahr möchte ich Sie als Verleger von CRESCENDO auf einen Blick hinter die Kulissen mitnehmen. In den letzten vier Jahren ist die Klas­sik­Woche zu einer zentralen Infor­ma­ti­ons­quelle der Klassik-Lieb­haber und der Klassik-Branche geworden. Ich freue mich, wie viele von Ihnen uns sagen oder schreiben, dass Sie sich auf den Montag freuen, da wir Ihnen dann aktu­elle Debatten und gut recher­chierte Geschichten in einem unter­halt­samen Format liefern. Dass Sie uns berichten, wie unser News­letter beim Publikum und hinter den Kulissen des Musik­be­triebes disku­tiert wird. Wir sind davon über­zeugt, dass Kunst und die Kultur kriti­schen Jour­na­lismus brau­chen, der die Prot­ago­nisten bei ihren Entschei­dungen beob­achtet und Zusam­men­hänge sichtbar macht. 

Das Ergebnis liest sich oft leicht dahin­ge­schrieben, tatsäch­lich ist derar­tiger Jour­na­lismus aber sehr aufwändig und steht schnell in der Kritik. Wir können das gut aushalten – denn das ist unsere Aufgabe. Und wir schätzen es, Meinungen auszu­tau­schen und Themen zu debat­tieren.

Oft wird versucht, Einfluss auf unsere Bericht­erstat­tung zu nehmen. Manchmal schon im Kleinen, wenn kriti­sche Berichte zu Werbe­ein­bußen führen. Wir haben es aber auch mit Einschüch­te­rungen zu tun und zuweilen gar mit Sabo­tage. Wir haben Diskri­mi­nie­rungen und Verleum­dungen hinter den Kulissen – auch durch soge­nannte „Troll­fa­briken“ – erlebt und gezielte Atta­cken auf unsere tech­ni­sche Infra­struktur. Regel­mäßig versu­chen Personen und Unter­nehmen, über die wir kritisch berichten, unsere Arbeit mit Andro­hung juris­ti­scher Schritte zu erschweren. Wir haben es mit teil­weise kruden Versu­chen, eine Gegen­dar­stel­lung zu erwirken zu tun oder mit Unter­las­sungs­for­de­rungen und Klagen, die am Ende vor Gericht ausge­fochten werden müssen, um der Wahr­heit zu ihrem Recht zu verhelfen. All das gehört zum Quali­täts­jour­na­lismus dazu. 

In den letzten Jahren haben wir derar­tige Klagen in den für uns zentralen Aussagen meis­tens gewonnen. Dennoch fressen solche Verfahren nicht nur Geld, sondern auch Zeit und Nerven. Für ein kleines Medi­en­un­ter­nehmen wie meines, geht das durchaus an die Substanz.

In diesem Jahr waren es vor allem die kultur­po­li­ti­schen Verstri­ckungen nach Russ­land, die wir aufge­deckt haben und mehrere juris­ti­sche Ausein­an­der­set­zungen in dieser Sache führen mussten. 

Etwa mit dem Kultur­ma­nager Andreas Richter, der für das Orchester UTOPIA tätig ist. Das Land­ge­richt Hamburg hat inzwi­schen entschieden, dass es durchaus zulässig ist, dessen Arbeit in Sachen UTOPIA als „Geheim­nis­krä­merei“ zu inter­pre­tieren. Das ist nach unserem Verständnis auch richtig. Schließ­lich sind die Finan­ciers des Orches­ters nicht trans­pa­rent und Herr Richter hatte auf unsere konkreten Nach­fragen nicht geant­wortet.

Land­ge­richt Hamburg

In einem Verfahren, das der Diri­gent Teodor Curr­entzis gegen CRESCENDO ange­strengt hat, haben wir eben­falls in einem für uns entschei­denden Punkt Recht vor dem Land­ge­richt Hamburg bekommen. So war es in dem hier erschie­nenen Beitrag legitim zu titeln „Putin zahlt Curr­entzis für Kultur-Propa­ganda“. Das Gericht erklärte: „Der Umstand, dass das Diag­hilev-Festival, dessen künst­le­ri­scher Leiter der Antrag­steller (Teodor Curr­entzis, die Red.) ist, Förder­mittel in einem Umfang von umge­rechnet 280.000 Euro aus dem Fonds erhalten hat, ist unstreitig. Auch bei dem Begriff »Kultur-Propa­ganda« handelt es sich um eine zuläs­sige, wertende Meinungs­äu­ße­rung, für die Anknüp­fungs­tat­sa­chen bestehen. So ist der Antrag­steller als künst­le­ri­scher Leiter des Festi­vals tätig, dessen Namens­geber, Sergej Diag­hilev, in der Begrün­dung der Förde­rung des Festi­vals für seine Verdienste um das inter­na­tio­nale Ansehen Russ­lands gewür­digt wird.“

Winfried Hanu­schik

Uns liegt eine gesunde, funk­tio­nie­rende Demo­kratie am Herzen. Dafür braucht es inves­ti­ga­tiven, kriti­schen, unab­hän­gigen und mutigen Jour­na­lismus. Aber auch Menschen und Unter­nehmen, die diesen Jour­na­lismus unter­stützen. Derzeit finan­ziert sich die Klas­sik­Woche ausschließ­lich aus Werbe­ein­nahmen. Und wir freuen uns, wenn Sie auch weiterhin zeigen, dass Sie es für wichtig halten, dass es Medien wie uns gibt. Ihre Banner­wer­bung ermög­licht einen freien Jour­na­lismus in der Kultur. Ganz abge­sehen davon, dass es wohl kaum ein anderes Medium gibt, das so aufmerksam von Ihrer Ziel­gruppe gelesen wird. Wenn Sie es für wichtig halten, dass es Medien wie die Klas­sik­Woche gibt – zeigen Sie es! Viel­leicht sogar, wenn wir Sie auch mal kriti­sieren, denn das gehört zur Glaub­wür­dig­keit. Wir freuen uns, wenn Sie auch im kommenden Jahr bewusst in Ihre Botschaften und unseren Jour­na­lismus inves­tieren. Und wenn sie es noch nicht tun – viel­leicht ist das ja ein guter Vorsatz für das kommende Jahr!

Wir alle in der CRESCENDO-Redak­tion wünschen Ihnen ein besinn­li­ches Weih­nachts­fest und ein erfolg­rei­ches 2024. Danke für Ihre Treue, Ihre Kritik, Ihr Lob und Ihr Vertrauen.

Ihr

Winfried Hanu­schik

wh@​portmedia.​de

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht in den Gedanken, die sich wie ein Bogen über die tägli­chen und wöchent­li­chen Nach­richten aus der Klassik spannen. Wir befinden uns offen­sicht­lich auf vielen Ebenen in einer Zeit des Umbru­ches. Wir müssen ansehen, wie vieles, das wir lieben, verloren geht. Aber wir sehen auch, dass neue Leer­stellen entstehen. Und es ist eine wunder­bare Heraus­for­de­rung, diese neuen Orte gemeinsam zu defi­nieren, sie mit Leben zu füllen und viel­leicht mit kultu­rellen Welten, die besser noch als das, was wir hatten, in die Zahn­räder unserer Welt greifen. Ja, zuweilen ist unserer Gegen­wart zum Verzwei­feln – aber: sie ist auch eine Heraus­for­de­rung, die wir mir Lust, Neudenken und Inspi­ra­tion anpa­cken können. Diese Woche habe ich die Urauf­füh­rung von Lass uns die Welt vergessen an der Volks­oper Wien gesehen: Das Ensemble probt eine Operette zur Zeit des Einmar­sches Hitlers nach Öster­reich. Wie verhalten sich die Mitglieder des Ensem­bles, wie reagieren Juden und Öster­rei­cher, und vor allen Dingen: Wie verkommt eine diverse Kultur, wenn sie „arisch“ gleich­ge­schaltet wird? Selten hat mich ein Thea­ter­abend so nach­haltig beein­druckt wie dieser, was Sie auch hier im Jahres­rück­blick sehen können). Wenn Sie die Chance haben, gehen Sie hin (oder hören Sie rein in den histo­ri­schen Podcast dazu)! Ach ja, und wenn Sie dann noch hören wollen, wie Doro­thea Gregor und ich über die aktu­elle Klas­sik­Woche plau­dern, dann bitte hier entlang (Apple PodcastSpotify oder alle anderen Player).

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif, eine besinn­liche Weih­nachts­zeit und ein groß­ar­tiges Neues Jahr.

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Und noch etwas in eigener Sache

Auf meinem YouTube-Kanal und auf Insta­gram halte ich Sie auch zwischen den Jahren auf dem Laufenden – und dann gibt es natür­lich noch die Jahres­edi­tion der CRESCENDO-Redak­tion, die ich Ihnen sehr ans Herz lege. Inspi­ra­tion auf allen Ebenen! 

Wenn Sie Lust haben, die Tops und Flops in Podcast-Gesprä­chen weiter zu verfolgen: Hier hier ein Podcast zum Thema Klassik-Kritikhier eine Folge zur Situa­tion der Musik­szene in Belarushier ein span­nendes Inter­view mit Lydia Grün und hier ein Gespräch mit Steven Walter.

P.S.: Unser Titel­bild zeigt übri­gens eine unda­tierte Kari­katur des Kultur­jour­na­listen Alfred Kerr.