Salman Rushdie

Die Magie der Worte

von Ilaria Heindrich

23. Juni 2023

Salman Rushdie steht für die Freiheit des Wortes. Die Fatwa vermochte ihn nicht zum Schweigen zu bringen, und auch die schändliche Messerattacke vermag es nicht. Mit seinem Roman »Victory City« hat der Träger des Friedenspreises 2023 eine Ode an die Erzählkunst geschaffen.

Am Anfang war ein kleines Mädchen … In Salman Rush­dies Roman Victory City wird mit gewohnt wunder­barer Fabu­lier­kunst die Geschichte einer sagen­um­wo­benen Stadt erzählt, aber auch die Geschichte eines beson­deren Mädchens. Südin­dien im 14. Jahr­hun­dert. Mit gerade einmal neun Jahren verliert Pampa Kampana auf trau­ma­ti­sche Weise ihre geliebte Mutter: Mit den Frauen der Stadt erwählt diese einen schreck­li­chen Freitod durch Feuer, nachdem die Männer nach einer verlo­renen Schlacht ums Leben gekommen sind.

An diesem Tag wird die junge Pampa von einer mäch­tigen Göttin auser­koren: Sie soll ihr Sprachroh in die Welt sein! „Du wirst dafür sorgen, dass sich Frauen nie wieder auf diese Weise verbrennen“, spricht die Göttin zu ihr, „und, dass Männer lernen Frauen mit neuem Blick zu sehen.“ Pampa, die nun gött­liche Kräfte besitzt, zieht los, um eine Stadt zu erschaffen, in der Frauen und Männer gleich­be­rech­tigt sind. Eine Hand voll Samen und die Kraft ihrer Worte. Mehr braucht sie nicht, um aus dem Nichts gewal­tige Mauern, tausende Menschen und präch­tige Paläste erscheinen zu lassen. Doch auch ihre Stadt wird dem Unter­gang geweiht sein …

Salman Rushdie hat mit seinem Werk ein fanta­sie­volles Epos geschaffen, dass den Leser sofort in den Bann zieht. Man mag es femi­nis­ti­sche Nach­er­zäh­lung, Fanta­sie­roman, Gesell­schafts­kritik oder Fabel nennen: Vor allen Dingen ist dieses Buch aber eine Ode an die Erzähl­kunst und den Zauber des Geschich­ten­er­zäh­lens. Denn wenn ein Hand­werk der Magie gleicht, dann das Hand­werk des Schrift­stel­lers, und Rushdie, so beweist er einmal mehr, beherrscht dieses wie kein Zweiter.