Selina Ott

Irrsinnig schön!

von Stefan Sell

13. Dezember 2020

Selina Ott hat für ihr Debüt-Album schweren Stoff ausgesucht: Alexander Arutiunian, Wladimir Peskin, Alfred Desenclos. Die Trompeterin meistert ihn virtuos. Ihr Geheimnis: Bodenhaftung und zwei Pferde…

„Irrsinnig schön!” Dieses Prädikat ist im Gespräch mit der Trom­peten-Virtuosin oft zu hören, egal, ob es um ihre Trom­pete oder um ihre Pferde geht. Und viel­leicht ist das eines der wenigen Indi­zien für ihre Jugend. Aber tref­fender ließe sich auch ihr Spiel, ihr Ton, ihre Musi­ka­lität und ihr natür­li­cher Flow nicht beschreiben. Dabei strahlt sie auf der Bühne eine unglaub­liche Natür­lich­keit aus. Und irgendwie ist man versucht zu glauben, sie selbst wüsste gar nicht, wie gut sie eigent­lich ist. Preis­ver­wöhnt gewann sie in ihrem Fach mit 20 Jahren als erste Frau den Ersten Preis des ARD-Musik­wett­be­werbs. Seither reißen die Anfragen führender Orchester und Festi­vals nicht ab.


Selina Ott über ihr Debüt-Album mit Trom­pe­ten­kon­zerten von Alex­ander Aruti­unian, Vladimir Peskin, Alfred Desen­clos

1998 in an der Donau geboren, unter­richten ihre Eltern, beide Musik­lehrer, sie von klein an, die Mutter in Flöte und Klavier, der Vater in Trom­pete – er selbst war bereits mit sechs Jahren Schüler seines Vaters gewesen. Mit 13 wird sie an der Univer­sität für Musik und darstel­lende Kunst in in den Kreis der Hoch­be­gabten aufge­nommen, studiert dann an der Musik­hoch­schule und schließt 2020 ihr Studium mit Auszeich­nung bei ihrem Mentor Roman Rind­berger an der Musik- und Kunst Privat­uni­ver­sität der Stadt Wien ab. Zählt man nun auch noch die Meis­ter­kurse dazu, ist das ein rasanter Aufstieg. Wie fühlt sie sich mit einem derart steilen Karrie­re­stars? „Es war über­wäl­ti­gend nach dem ARD-Wett­be­werb, aber jetzt, in Zeiten von Corona, hatte ich fast schon wieder ein halbes Jahr Pause.” Ihr Debut-Album „Trumpet Concertos“ zeigt eine mutige Reper­toire­aus­wahl: Alex­ander Arut­junjan, Wladimir Peskin, dazu ihr „Lieb­lings­stück”, das Trom­pe­ten­kon­zert Incan­ta­tion, Thrène et Danse von Alfred Desen­clos – eine echte Heraus­for­de­rung. Wie bewäl­tigt sie die?

Selina Ott

»Es gilt, die zu finden zwischen, genug und nicht zu viel üben. Und Balance braucht es auch, mental vorbe­reitet zu sein auf ein Konzert.«

„Bei der Trom­pete muss man den Ton mit den Lippen fassen. Das ist sehr tages­ab­hängig – manchmal sehr gut, manchmal aber schlecht. Dann kämpft man mit dem Instru­ment. Man kann ja nicht unend­lich viel üben – irgend­wann sind die Lippen einfach durch, und es tut weh. Da gilt es, die Balance zu finden zwischen, genug und nicht zu viel üben, um für die Konzerte fit zu bleiben. Balance braucht es auch, mental vorbe­reitet zu sein – zu wissen, dass man die Stücke, die man spielt, gut drauf hat.” Und unab­hängig von Spielen und Üben: Was macht eine gute Trom­pe­ten­stimme aus? „Für mich ist der Klang wichtig. Mir gefällt, wenn sie klar ist. Es gibt ein paar wenige, die haben einen irrsinnig guten Klang und große Musi­ka­lität – da muss die Technik passen. Es ist ein Zusam­men­spiel aus allem.“

Selina Ott mit ihrem Debüt-Album
„Musik sollte Emotion, Expan­sion sein“, ist Selina Ott über­zeugt.

Das Konzert von Desen­clos, ein Werk der fran­zö­si­schen Moderne, ist wider­sprüch­lich, sperrig, mit roman­ti­schen Kanti­lenen, mit extremen Tonspitzen nicht leicht zu fassen. Ott weiß es fili­gran, zart und farben­reich zu spielen, so virtuos wie tempe­ra­ment­voll, offen, klar und hell, dem Credo Desen­clos« folgend: „Musik sollte Emotion, Expan­sion sein”. Warum aber gerade dieses Stück? „Das war , das ich beim ARD-Wett­be­werb gespielt habe. Zum ersten Mal gehört habe ich es mit 14 während einer Master­class. Wow!, schoss mir durch den Kopf, das klingt schwer, ist so hoch und virtuos – irgend­wann will ich das spielen können! Dann lag es als eine der Möglich­keiten beim Wett­be­werb vor. Schicksal, dachte ich – das muss ich spielen. Es war eine echte Heraus­for­de­rung, tech­nisch anspruchs­voll und irrsinnig anstren­gend. Dafür braucht man viel Kraft. Aber ich fand’s richtig cool und fetzigund es wird so selten gespielt!”

Selina Ott

»Ein Jazz­trom­peter meinte, wenn er nach Noten spielen sollte, fühle er sich so einge­engt. Bei mir ist es umge­kehrt. Was mich aber am Jazz inspi­riert, ist der Flow.«

Wer all diesen Anfor­de­rungen gerecht wird, braucht Ausgleich. Da lacht Selina Ott: „Mein größter Ausgleich sind meine zwei Pferde. Ich habe einen Lipiz­zaner und einen Haflinger.” Und ebenso leiden­schaft­lich wie von ihrem Spiel erzählt sie erzählt sie von ihren beiden Pferden. Und dass das eine ohne das andere nicht denkbar sei. Viel­leicht liegt hier ihr Geheimnis. Sie ist geerdet, weiß, dass die Kommu­ni­ka­tion zwischen Mensch und Pferd hohe Acht­sam­keit und Aufmerk­sam­keit erfor­dert, also genau das, was die feinen Nuancen ihres Trom­pe­ten­spiels ausmacht. „Ja, Pferde sind sehr sensibel. Hätte ich sie nicht, könnte ich all das gar nicht absol­vieren.”

Und was ist mit Inspi­ra­tion? „Ich war gerade im „Zwe” in Wien, ein Mini-Jazz­club, halb so groß wie mein Schlaf­zimmer“, erzählt sie, und dass sie dort zum ersten Mal ein Free­jazz-Konzert gehört habe. „Die spielen minu­ten­lang über ein paar Akkord­vor­gaben. Ich habe meine Noten – das war’s. Ein Jazz­trom­peter meinte, wenn er nach Noten spielen sollte, fühle er sich so einge­engt. Bei mir ist es umge­kehrt: Ich habe Noten, ein vorge­ge­benes System. Aber die Musik darin, die kann sich frei entfalten. Was mich aber am Jazz inspi­riert, ist die Locker­heit, dieser Flow. Ohne den kann man nicht impro­vi­sieren.“

Doch braucht man diesen Flow in der Klassik nicht genauso? „Bei der letzten Probe mit meinem Pianisten ging es um diesen Flow“, bestä­tigt sie. Wir spielen zusammen, der Rhythmus muss passen, die Musi­ka­lität stimmen. Aber man muss Gleich­zei­tig­keit finden, gemeinsam, nicht stur nach Metronom und jeder nach seinem Schlag. Im Jazz mag das mehr betont sein, aber in der Klassik wird es vernach­läs­sigt.” Schließ­lich lacht sie: „Im Auto höre ich immer Michael Bublé. Ich find»s super! Schöne leichte Musik – Ausgleich und Inspi­ra­tion!”

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Auftrittstermine und weitere Informationen unter: www.selinaott.com

Fotos: Nancy Horowitz