Seong-Jin Cho

„Ohne Musik können wir nicht leben!“

von Verena Fischer-Zernin

28. Juni 2020

Seong-Jin Cho über sein neues Album „The Wanderer“ mit Klaviersonaten von Liszt, Schubert und Berg und seine Sorgen um das Musikleben.

Seong-Jin Cho über sein neues Album „The Wanderer“ mit Klavier­so­naten von Liszt, Schu­bert und Berg und seine Sorgen um das Musik­leben.

Seong-Jin Cho legt am Telefon die unauf­ge­regte Konzen­tra­tion an den Tag, die auch sein Klavier­spiel prägt. Der 26-Jährige versenkt sich in einer Weise in die Musik, die das Publikum unwei­ger­lich ergreift. Seit er 2015 den Chopin-Wett­be­werb in gewann, zeigt seine Karrie­re­kurve steil nach oben. Cho tritt in den großen Konzert­häu­sern rund um den Globus auf. Norma­ler­weise. Ein Gespräch in Zeiten von Corona.

der Pianist Seong-Jin Cho
Versenkt sich auf ergrei­fende Weise in sein Spiel: der Pianist Seong-Jin Cho
(Alle Fotos dieses Beitrags: © Chris­toph Köstlin)

CRESCENDO: Wo erreiche ich Sie, Herr Cho?
Seong-Jin Cho: Zu Hause in .

CRESCENDO: Wären Sie in der Corona-Krise nicht gern in bei Ihrer Familie?
Seong-Jin Cho: Ich habe Glück, meine Eltern sind hier in Berlin. Sie waren ohnehin in Europa, als die Krise ausbrach.

Seong-Jin Cho

»Als ich in den Konzer­t­an­kün­di­gungen in Paris die Namen meiner Idole versam­melt sah – Radu Lupu, , Krys­tian Zimerman, –begriff ich, dass Paris das Herz Europas ist.«

CRESCENDO: Sie leben schon seit 2012 in Europa. Da waren Sie erst 17 Jahre alt und haben ange­fangen, bei Michel Béroff in Paris zu studieren. Was hat Sie ange­zogen?
Seong-Jin Cho: Ich war 2011 schon einmal in Paris …

CRESCENDO: … das Jahr, in dem Sie den dritten Preis beim Tschai­kowsky-Wett­be­werb in Moskau gewonnen haben.
Seong-Jin Cho: Ja, aber in Paris war ich privat. Es war sehr aufre­gend für mich. Ich kannte den Eiffel­turm nur von Bildern, und dann sah ich ihn in echt. Und das Musik­leben! Viele große Orchester und Musiker kommen nach Korea, aber als ich in den Konzer­t­an­kün­di­gungen in Paris die Namen meiner Idole versam­melt sah – Radu Lupu, Martha Arge­rich, Krys­tian Zimerman, Claudio Abbado – da begriff ich, dass Paris das Herz Europas ist. Ich war im Musée d’Orsay und konnte van Gogh und Monet im Original sehen. In dem Moment beschloss ich, hier­her­zu­ziehen. Nicht nur wegen des Unter­richts, sondern um meine Sehn­sucht nach Kultur zu stillen.

Seong-Jin Cho

»Mein Lieb­lingsort in Berlin ist der Tier­garten. Ich mag es, im schnellen, aufre­genden 21. Jahr­hun­dert zu leben, aber ich brauche die Stille der Natur. Sie inspi­riert und erfrischt mich.«

CRESCENDO: Und warum sind Sie 2017 nach Berlin gegangen?
Seong-Jin Cho: Ich war einmal für ein Foto-Shoo­ting in Berlin. Die Stadt hat mich beein­druckt. In Seoul, wo ich aufge­wachsen bin, herrscht ein sehr hohes Tempo. Und in Paris auch. Berlin ist eine Welt­stadt, das merkt man natür­lich, aber das Leben ist nicht so schnell wie in Seoul oder Paris. Es ist eine Welt­stadt, aber gleich­zeitig ist es wie auf dem Land.

CRESCENDO: Wo in Berlin fühlen Sie sich denn am wohlsten?
Seong-Jin Cho: Mein Lieb­lingsort ist der Tier­garten. So einen Park findet man in kaum einer Welt­stadt. London hat den Hyde Park und den Central Park. Aber der Tier­garten ist wie ein Wald. Ich mag es, im schnellen, aufre­genden 21. Jahr­hun­dert zu leben, aber ich brauche die Stille der Natur. Sie inspi­riert und erfrischt mich. Vielen Kompo­nisten ging es auch so – Schost­a­ko­witsch hat oft beim Spazie­ren­gehen in Gedanken kompo­niert.

Seong-Jin Cho

»Jeder von uns Pianisten klingt und spielt anders. Die eigene Stimme zu finden und zu entwi­ckeln, das ist der Schlüssel zur Inter­pre­ta­tion. Und das Wich­tige bei dieser Stimme ist, dass sie natür­lich ist.«

CRESCENDO: Wenn Sie an etwas Kompli­ziertem arbeiten und dann mal für zwei Stunden raus­gehen, ist das Stück dann viel­leicht hinterher von selber besser?
Seong-Jin Cho: Das hoffe ich!

CRESCENDO: Wie beein­flusst Sie beim Einstu­dieren eines Werks das Wissen um die Mythen und Welt­an­schau­ungen, die sich darum ranken?
Seong-Jin Cho: Ich weiß, dass es Hunderte von histo­ri­schen Aufnahmen oder Auffüh­rungen gibt. Aber wissen Sie, es gibt viele fantas­ti­sche Sänger. Pava­rotti und Kauf­mann singen Nessun dorma sehr unter­schied­lich, und bei beiden ist es toll. Mit Pianisten ist es ähnlich. Jeder von uns klingt und spielt anders. Die eigene Stimme zu finden und zu entwi­ckeln, das ist der Schlüssel zur Inter­pre­ta­tion. Und das Wich­tige bei dieser Stimme ist, dass sie natür­lich ist. ist sehr origi­nell und manchmal exzen­trisch, aber das wirkt bei ihm authen­tisch. Wenn ich wie er spielen würde, wäre es das nicht.

Seong-Jin Cho

» endet oft bril­lant und laut. Aber seine Sonate verschwindet ganz still. Für mich erzählt sie die Geschichte eines Lebens.«

CRESCENDO: Wie sind Sie auf das Programm für Ihr neues Album „The Wanderer“ gekommen?
Seong-Jin Cho: Ich stelle meine Programme nach Gefühl zusammen. Die Stücke für „The Wanderer“ habe ich mir im Sommer 2018 über­legt, als ich gerade mit auf Tournee war. Wir haben Pfitzner, Wagner und Strauss gemacht – es war sehr inspi­rie­rend. Danach war mir klar, dass ich ein roman­ti­sches Programm aufnehmen wollte. Die Liszt-Sonate habe ich ausge­sucht, weil sie sehr roman­tisch ist, aber über­haupt nicht bombas­tisch.

CRESCENDO: Wobei Liszt so viele Virtuo­sen­stücke geschrieben hat…
Seong-Jin Cho: Sie ist tech­nisch sehr schwer, aber sehr ernste, tiefe Musik. Ich staune immer, wenn ich das Ende spiele. Liszt endet oft bril­lant und laut. Aber die Sonate verschwindet ganz still. Für mich erzählt sie die Geschichte eines Lebens. Sie ist sehr fort­schritt­lich in der Kompo­si­ti­ons­weise: Liszt hat nur einige rhyth­mi­sche Elemente verwendet, die er dann viel­fältig verän­derte und weiter­ent­wi­ckelte.

CRESCENDO: Und was ist die Verbin­dung zwischen der Liszt-Sonate und der Wanderer-Fantasie?
Seong-Jin Cho: Ich bin sicher, dass Liszt die Wanderer-Fantasie mochte, denn er hat eine Tran­skrip­tion von ihr gemacht. Seine Sonate ist durch­kom­po­niert wie die Schu­bert-Fantasie, ohne Pause zwischen den Sätzen. Die Struktur ist ähnlich, der letzte Satz beginnt mit einer Fuge. Die Wanderer-Fantasie hat Liszt bestimmt beein­flusst.

Seong-Jin Cho

»Es sind viele verschie­dene Charak­tere in Franz Schu­berts Wanderer-Fantasie. Sie handelt nicht nur von Melan­cholie und nicht nur von Selbst­ver­trauen.«

CRESCENDO: Zur Wanderer-Fantasie gibt es ganz unter­schied­liche Inter­pre­ta­ti­ons­an­sätze. Für manche ist sie kompo­nierte Einsam­keit, andere finden, sie birst gera­dezu vor juve­nilem Übermut.
Seong-Jin Cho: Der zweite Satz ist eng mit dem Lied Der Wanderer verwandt. Er ist voller Melan­cholie. Aber der erste und der letzte Satz erzählen von einem jungen Mann, der die Welt erobern will, voller Selbst­ver­trauen. Der dritte ist ein Wiener Walzer, sehr anmutig. Es sind viele verschie­dene Charak­tere in diesem Stück, es handelt nicht nur von Melan­cholie und nicht nur von Selbst­ver­trauen. Tech­nisch ist es genauso schwer wie Liszt, es gibt so viele Arpeggi und Sprünge, so viele Noten. Wenn ich das spiele, will ich aber nicht, dass die Leute darüber nach­denken, wie schwer das ist. Das muss man verste­cken. Man muss die Musik ausdrü­cken.

Seong-Jin Cho

»Alban Bergs Sonate hat mich faszi­niert, weil sie nach Schön­berg klingt, aber viel roman­ti­scher. Sie ist sehr geheim­nis­voll für mich.«

CRESCENDO: Auf dem Album steht zwischen Schu­bert und Liszt die Klavier­so­nate von Berg. Hat Ihr Lehrer Michel Béroff sie Ihnen nahe­ge­bracht?
Seong-Jin Cho: Herr Béroff hat mich mit großer Musik des 20. Jahr­hun­derts vertraut gemacht, mit Stra­winsky und Bartók etwa. Aber die Berg-Sonate habe ich selbst durch Zufall entdeckt. Das Stück hat mich faszi­niert, weil es nach Schön­berg klang, aber viel roman­ti­scher. Es ist sehr geheim­nis­voll für mich. Ist es roman­tisch, klas­sisch, modern? Es ist irgend­etwas dazwi­schen. Ich bin immer wieder verblüfft, dass es Bergs op. eins ist. Er war 25 Jahre alt, als er es schrieb.

CRESCENDO: Sie sind doch selbst noch so jung! Sind Sie manchmal über­rascht über Ihre Karriere?
Seong-Jin Cho: Ich habe sehr viel Glück – aber wenn ich daran denke, dass Brahms sein erstes Klavier­kon­zert mit Anfang 20 schrieb, dann schäme ich mich und gehe wieder üben.

CRESCENDO: Aber Ihnen ist schon klar, dass Sie Teil eines Star-Zirkus sind?
Seong-Jin Cho: Nein, das ist mir ehrlich gesagt nicht bewusst. Meine Freunde behan­deln mich ganz normal. Ja, es stimmt, meine Karriere ist ziem­lich weit gediehen. Aber alles, was ich tue, tu« ich für mich. Ich spiele einfach gern.

Seong-Jin Cho

»Ohne Musik ist es, als wäre man in den unter­wegs und würde den Wind nicht hören.«

CRESCENDO: Wie geht es Ihnen mit der Zwangs­pause in der Corona-Krise?
Seong-Jin Cho: Ich hätte nicht gedacht, dass sie so lange dauern würde. Es ist mir ein biss­chen unan­ge­nehm, aber am Anfang war ich begeis­tert, dass ich Zeit hatte, neue Stücke lernen zu können und mehr Zeit mit meinen Eltern und zu Hause zu haben. Nach zwei Wochen habe ich ange­fangen, mir Sorgen zu machen. Es gab so viele Menschen, denen es wirk­lich schlecht ging. Und ich machte mir auch Sorgen um das Musik­leben. Ohne Musik können wir nicht leben. Sie ist essen­ziell, auch im Film zum Beispiel. Ohne Musik ist es, als wäre man in den Bergen unter­wegs und würde den Wind nicht hören.

CRESCENDO: Wie viele Ihrer Konzerte sind abge­sagt worden?
Seong-Jin Cho: Fast alle Orches­ter­kon­zerte. Klavier­abende sind verschoben worden. In Europa rechnen die Veran­stalter damit, dass ich im September wieder Klavier­abende geben kann. In den wird es wohl noch etwas länger dauern. In Asien ist es wieder anders. In Korea sieht es so gut aus, dass ich dort viel­leicht schon im Juli Klavier­abende spielen kann.

CRESCENDO: Nur ein Pianist auf der Bühne, das ist in Corona-Zeiten natür­lich günstig.
Seong-Jin Cho: Sie werden bestimmt auch die Zuhö­rer­zahlen beschränken.

Seong-Jin Cho

»Wenn ich während der Auffüh­rung nicht so zufrieden bin, dann würde ich aller­dings manchmal gern aufhören und sagen: Kann ich nochmal von vorne anfangen?«

CRESCENDO: Wenn Sie einen Klavier­abend geben, fühlen Sie sich manchmal allein auf der Bühne?
Seong-Jin Cho: Ich bin immer ein biss­chen nervös, das gehört dazu. Manche Leute sagen, sie fühlen sich allein. Das geht mir nicht so. Ich fühle mich frei. Wenn ich während der Auffüh­rung nicht so zufrieden bin, dann würde ich aller­dings manchmal gern aufhören und sagen: Kann ich nochmal von vorne anfangen? Man muss sich halt sehr gut vorbe­reiten. Es geht bei der Vorbe­rei­tung nicht nur ums Üben, sondern auch um Routinen. Ich esse kein Fleisch vor dem Konzert, weil es mir schwer im Magen liegt. Ich esse Nudeln oder Reis. Fleisch esse ich hinterher, um die Energie wieder aufzu­füllen.

der Pianist Seong-Jin Cho
Freut sich auf Klavier­abende im September: der Pianist Seong-Jin Cho

CRESCENDO: Was machen Sie nach dem Konzert?
Seong-Jin Cho: Manchmal gehe ich einfach ins Hotel und ruhe mich aus. Aber wenn Freunde da sind oder Manager oder Orches­ter­mu­siker, gehe ich gerne aus.

CRESCENDO: Zum Tanzen?
Seong-Jin Cho: In Clubs oder laute Bars gehe ich selten.

CRESCENDO: In dem berühmten Berliner Techno-Club Berg­hain waren Sie noch nicht?
Seong-Jin Cho: Nein, da war ich noch nicht.

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Fotos: Christoph Köstlin