Sir Peter Ustinov
»Mach einfach etwas, wozu du Lust hast!«
von Ruth Renée Reif
15. April 2021
Sir Peter Ustinov war ein Kosmopolit und Multitalent. Für seine Ideen fand er ein breites Spektrum an Ausdrucksformen. Am 16. April 2021 jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal.
Zu den zahlreichen künstlerischen Betätigungsfeldern von Sir Peter Ustinov gehörte auch die Oper. Sir Georg Solti, der Intendant des Royal Opera House in London, war es, der Ustinov 1962 zu seiner ersten Operninszenierung einlud. Ausgewählt hatte er für Ustinov, wie dieser in seinen Erinnerungen festhält, „ein höchst seltsames Dreierprogramm“, bestehend aus Giacomo Puccinis Gianni Schicchi, Maurice Ravels L’heure espagnole und Arnold Schönbergs Erwartung. Für jedes Werk stand ein eigener Bühnenbildner zur Verfügung, der aus dem Land des Komponisten stammte.
Als Wien des Ersten Weltkrieges überdrüssig war
Ustinov berichtet anekdotisch über die Aufgabe. Vor allem Schönbergs Erwartung, das seine Erstaufführung am Royal Opera House erfuhr, kommentiert er mit Ironie als „eklige Angelegenheit, entstanden, als Wien des Ersten Weltkrieges überdrüssig war, in der eine Frau im Wald nach einem realen oder eingebildeten Liebhaber sucht und eine reale oder eingebildete Leiche findet, untermalt von neunzehn Minuten gereizter Musik“. Da Ustinov der Sopranistin Amy Shuard schauspielerische Fähigkeiten aberkannte, habe er mit Günther Schneider-Siemssen ein Bühnenbild entworfen, „das sich mehr bewegte als sie“. Unglücklicherweise zersprangen die von Schneider-Siemssen bemalten Dias, die für Projektionen zum Einsatz kamen, als dieser sie in die Laterna magica schob. „Er weinte vor Wut“, erzählt Ustinov, „bis ich ihn darauf hinwies, dass sie mit Hilfe von Heftpflastern sogar noch abstrakter wirkten als vorher und dem Leid der umherwandernden Sopranistin einen klinischen Anstrich verliehen.“
Sir Georg Solti erinnert sich in seiner Autobiografie an Ustinovs für die damalige Zeit ungewöhnliche Regiearbeit. Er habe die Sänger ihre Texte vorlesen lassen, als wären sie Schauspieler. Anschließend habe er improvisiert. Solti betont, wie schockiert er gewesen sei, als er Ustinov zu Geraint Evans, der die Titelpartie in Gianni Schicchi sang, sagen hörte: „‚Mach was.‘ – ‚Was soll ich denn machen?,‘ fragte Geraint verblüfft. – ‚Mach einfach etwas, wozu du Lust hast‘, erwiderte Ustinov.“ Solti habe sich am Rand einer Katastrophe gesehen. Wenig später jedoch erkannte er, dass „etwas Kluges und Brillantes“ entstanden war. Auch die Kritiker zeigten sich begeistert.
Sein weiteres Opernengagement rund fünf Jahre später verdankte Ustinov ebenfalls Solti. Unter dem Intendanten Rolf Liebermann inszenierte er an der Hamburger Staatsoper Mozarts Zauberflöte. Entgegen der herablassenden Sicht auf Emanuel Schikaneder nahm er dessen Text sehr ernst. „… wenn er für Mozart gut genug war, ist er bestimmt gut genug für mich“, war Ustinov überzeugt. „Die Moral der Geschichte ist von entwaffnender Einfachheit… Es geht um nicht mehr als um den ewigen Kampf zwischen Tag und Nacht, zwischen plötzlichem Sonnenschein und Mondlicht, Gut und Böse, also zwischen elementaren Kräften, von denen winzige Sterbliche auseinandergerissen und wieder zusammengefügt werden.“ Auch diese Inszenierung im Bühnenbild von Jean-Denis Malclès geriet zum Erfolg. Sie wurde anschließend beim Maggio Musicale in Florenz gezeigt. Und Peter Ustinov erhielt die Einladung, beim Festival von Edinburgh 1973 mit Daniel Barenboim am Pult Mozarts Don Giovanni zu inszenieren. Für Barenboim war es die erste Oper, die er dirigierte.
Diesmal schuf Ustinov auch das Bühnenbild. Vehement lehnte er es ab, Don Giovanni als psychologische Tragödie zu begreifen. Er sah in dem Stück „ein Dramma giocoso, eine Moritat“ und in Don Giovanni einen „vergnügten, verantwortungslosen Schurken“. Besonderes Gewicht legte er auf die Coda, die das 19. Jahrhundert abgehackt hatte. Sie führe „zum eigentlichen Geist der Oper“ zurück. So brachte Ustinov am Ende zwei Polizisten auf die Bühne, „die das Loch ausmaßen, durch das Don Giovanni verschwunden war, um ihre Erkenntnisse in einem langatmigen Bericht zu verwenden“. Er berief sich dabei auf die Erwähnungen von „signori miei“ und „due ufficiale“ im Text.
Ein stürmisches Pfeifkonzert
Die nächste Operneinladung kam von Rolf Liebermann, der 1973 die Leitung der Pariser Oper übernommen hatte. Begeistert von Ustinovs Inszenierung der Zauberflöte, bat er Ustinov nach Paris zur Inszenierung von Jules Massenets Don Quixote mit Nikolaj Gjaurov in der Titelrolle und Robert Massard als Sancho Pansa. Ustinov erinnert sich an „Zuschriften wütender, alter, pensionierter Baritone und anderer Stützen des französischen Musikestablishments“, die ihn bereits im Vorfeld beschimpften und an Chaos und Konfusion auf den Proben. Als er am Abend der Première vor den Vorhang trat, empfing ihn ein stürmisches Pfeifkonzert.
Liebermann denkt mit schmerzlichem Bedauern an den Abend zurück. Er selbst war begeistert „von der Einstudierung und den originellen Ideen und Ausstattungsgags“ Ustinovs. „Sein schwarzer englischer Humor war ganz nach meinem Sinn. Die Franzosen dagegen haben Esprit, doch keinen Humor. Außerdem hingen sie an ihrem romantischen Don Quichotte des 19. Jahrhunderts, also dem Don Quichotte, der in der Massenetschen Verzuckerung jegliche Dämonie verliert und vor allem Liebhaber der Dulcinea ist. Den wollten die Franzosen sehen. Und genau ihn bekamen sie nicht zu sehen. Die Ablehnung durch die französische Presse war einstimmig und gnadenlos.“
Peter Ustinov ließ sich davon jedoch nicht abschrecken. Er widmete sich weiter der Oper, inszenierte u.a. an der Deutschen Oper Berlin Jacques Offenbachs Opéra-bouffe Die Banditen sowie 1982 die komische Oper Mavra von Igor Strawinsky und die Kammeroper Die Flut von Boris Blacher an der Piccola Scala in Mailand. Eine Spitze gegen die Kritiker landete er mit seinem Theaterstück Beethoven’s Tenth. Es wurde 1983 am Vaudeville Theatre in London uraufgeführt und war 1987 in der Übersetzung von Wulf Teichmann auch am Schiller Theater Berlin zu sehen. Ustinov selbst stand mehrfach in der Rolle Beethovens auf der Bühne.
1985 folgte eine weitere Einladung von Rolf Liebermann, der erneut die Intendanz der Hamburger Staatsoper übernommen hatte: Katja Kabanova von Leoš Janáček. Bis in die späten 1990er-Jahre inszenierte Ustinov Opern. 1997 setzte er am Moskauer Bolschoi-Theater Die Liebe zu den Drei Orangen von Sergei Prokofjew in Szene und kehrte mit dieser Inszenierung dahin zurück, wo seine Familie väterlicherseits herstammte, nach Russland. „Mit Sicherheit weiß ich“, so schreibt er in seinen Erinnerungen, „dass ich zwar in London zur Welt kam (in einem merkwürdigerweise ‚Swiss Cottage‘ genannten Stadtteil), jedoch in Leningrad gezeugt wurde, in einem hohen zugigen Haus mit von Einschusslöchern gespickter Fassade, zu dem ich recht spät im Leben eine Wallfahrt zwecks Danksagung unternahm.“