Sophie Dervaux

Es muss nicht immer Mahler sein

von Walter Weidringer

7. Juni 2023

Ein Instrument mit hohem Anspruch: Die französische Fagottistin über ihre Liebe zu einer musikalischen Diva, die solistisch gern vergessen wird. Völlig zu Unrecht ...

Frau Dervaux, hat es Ihnen als Musi­kerin schon geholfen, dass Sie seiner­zeit bei der Frei­wil­ligen Feuer­wehr Notfall­sa­ni­tä­terin waren?

Woher wissen Sie das? (lacht) Direkt wohl nicht, indi­rekt schon. In meinem Leben ist die Musik das Wich­tigste, aber das kann sich rasch rela­ti­vieren. Kommt man zu einem Einsatzort, muss man zwar schnell sein, aber auch Ruhe bewahren, die Situa­tion analy­sieren. Dann kann man helfen und retten. Beim Musi­zieren gibt es Situa­tionen, die dem ähneln: vor schwie­rigen Soli Nerven­stärke zu beweisen zum Beispiel, auch die eigenen körper­li­chen Grenzen zu kennen.

Sie haben mit Gitarre begonnen, dann Klari­nette gelernt. Wie sind Sie beim Fagott gelandet?

Ich war auf der Klari­nette nicht so gut, mein Lehrer sagte manchmal: Du spielst, als wärst du Oboistin oder Fagot­tistin! Einmal konnte ich das Fagott auspro­bieren – und schon beim ersten Ton schoss mir durch den Kopf: Das ist es! Ich bin weinend nach Hause gegangen, weil ich dachte, ein drittes Instru­ment käme für meine Eltern nicht in Frage.

Gottlob war dem nicht so: Sie haben bald etliche Wett­be­werbe gewonnen, wurden 2013 Solo­kon­tra­fa­got­tistin bei den Berliner Phil­har­mo­ni­kern, 2015 Solo­f­agot­tistin im Orchester der Wiener Staats­oper und dann 2018 in dieser Funk­tion bei den Wiener Phil­har­mo­ni­kern aufge­nommen, deren Mitglieder ja tagtäg­lich in der Staats­oper spielen.

Als ich in Wien das Probe­spiel gewonnen hatte, gratu­lierten mir meine Solo-Kollegen und fragten, wie viel Opern­erfah­rung ich hätte. Ich war super­stolz, schon zwei Opern mit den Berli­nern gespielt zu haben – zwei! (lacht) Ich werde ihre entgeis­terten Blicke nie vergessen! Sie haben mir meinen Einstieg enorm erleich­tert, indem sie meine ersten drei Monate so einge­teilt haben, dass ich immer auch eine Probe vor der Auffüh­rungs­serie hatte. Auch danach habe ich neue Stücke gewis­sen­haft mit Fagott­stimme, Partitur und Aufnahme über Kopf­hörer vorbe­reitet.

»Wir Wiener sind ein sehr stolzes Orchester« 

Karajan hat einmal behauptet, würde er von den Berli­nern verlangen, beim Spielen den linken Fuß vorzu­schieben, würden sie es einfach machen. Bei den Wienern bekäme er zuerst die Frage: Wieso? Wo liegt für Sie der Unter­schied?

Wir Wiener sind ein sehr stolzes Orchester – aber das gilt für beide. Bei den Berli­nern, die jede Woche in der Digital Concert Hall zu hören sind, lautet die Maxime: Es muss klappen! Egal, ob man gerade gesund­heit­lich oder privat nicht so gut drauf ist. Das schafft man auch nur mit entspre­chendem Selbst­be­wusst­sein. Würde ich vor dem Solo denken: Das wird schwer!, hätte ich schon verloren. Es sind da wie dort viele sehr starke Persön­lich­keiten und groß­ar­tige Musiker. Der große Unter­schied ist, dass wir in Wien auch in der Oper spielen. Das ist ein biss­chen auch Alltag, denn die Staats­oper ist ein Reper­toire­haus mit durch­ge­hendem Betrieb von September bis Juni. Wir sind zu dritt auf der Solo­stelle, das heißt, jeder über­nimmt etwa 100 Vorstel­lungen allein in der Oper. Da kann schon rein physisch nicht jeder Abend abso­lute Spit­zen­klasse sein, auch wenn wir natür­lich danach streben. Dazu kommen die phil­har­mo­ni­schen Konzerte, bei mir Solo-Auftritte, Kammer­musik. Im Graben fühle ich mich geschützter, weniger unter Druck. In den Konzerten sind wir die glei­chen Menschen, aber die Span­nung ist ganz anders, eher wie in Berlin.

sagte einmal, in der Wiener Staats­oper müsse man beson­ders gut aufpassen, weil das Orchester von Natur aus mit den Sängern gehen würde, da könne und dürfe man sich als Diri­gent nicht dage­gen­stemmen.

Rigo­letto und Flie­gender Holländer waren meine beiden ersten Stücke hier. An meinem aller­ersten Abend im Graben hat mich der Solo-Oboist will­kommen geheißen und gesagt: „Mädel,“ – er sagte: Mädel! –, „egal, wie gut ein Diri­gent ist: Du musst mit denen da oben zusammen sein. Die Sänger sind der Chef.“ Das hat sich mir sofort einge­prägt, ich war ihm enorm dankbar dafür. Und ich bin es natür­lich auch den Diri­genten, die oft ohne Probe Außer­or­dent­li­ches, Uner­läss­li­ches leisten. Aber in der Oper bin ich oft fast mehr Zuhö­rerin – bei fantas­ti­schen Stimmen muss ich manchmal aufpassen, nicht meinen nächsten Einsatz zu verpassen!

Zuhören ist ein wich­tiger Teil des Musi­zie­rens.

Ja, und das ist viel­leicht die zentrale Beson­der­heit der Wiener Phil­har­mo­niker: Die Oper ist ein spezi­elles Zuhör-Trai­ning, das auch unseren Konzerten zugu­te­kommt. Wenn ich bei einem Solo noch leiser werde, machen die anderen sofort mit. Da können sich magi­sche Momente ergeben.

Spielen die Berliner im Vergleich dazu lauter, musku­löser?

Lauter auf jeden Fall, das habe ich an meinem Mate­rial gemerkt. Der psychi­sche Druck von Kameras und Mikro­phonen führt sicher auch zu musku­lö­serem Klang. Aber natür­lich können sie auch wahn­sinnig zart und fein spielen.

Welche sind die anspruchs­vollsten Stücke für das Fagott?

In der Oper L’elisir d’amore und Cheru­binis Médée, im Konzert natür­lich Le sacre du prin­temps, Schost­a­ko­witschs Sinfonie Nr. 9, Sche­he­ra­zade, der Boléro, allge­mein Tschai­kowsky, aber beson­ders die Sinfo­nien 4 bis 6.

In der Pathé­tique gibt es dieses berühmte Solo im Kopf­satz, das oft von der Bass­kla­ri­nette über­nommen wird …

Weil es so heikel ist! Einmal muss ich davor beson­ders ange­spannt ausge­sehen haben, denn eine Cellistin fragte mich: Warum ist das schwer? Es ist doch langsam, du bist allein und kannst machen, was du willst. Ich musste ihr erklären: Die Wahr­schein­lich­keit ist hoch, dass der Ton entweder nicht oder zu laut oder zu hoch kommt, auch nach jahre­langem Üben. Im Gegen­satz zu Flöte und Klari­nette ist es für uns viel schwie­riger, zart einzu­setzen. Wenn es klappt, fallen wir nicht auf, wenn aber ausge­rechnet Bass­töne zu spät kommen, unsauber oder zu laut, hören es alle und schimpfen. Deshalb ist das tiefere 2. Fagott oft noch schwie­riger.

»Die Behaup­tung, das Fagott habe kein Reper­toire, nervt mich« 

Hat man es als Fagott-Solistin leichter, weil es nicht so viele gibt, die mit diesem Instru­ment unter­wegs sind, oder schwerer, weil das Fagott nicht so populär ist?

Beides. Aufnahmen der herr­li­chen Werke von und Michael Haydn, die ich gerade mit dem Münchener Kammer­or­chester einge­spielt habe, gibt es nur sehr wenige, da kann man leichter etwas ganz Persön­li­ches darbieten. Umge­kehrt ist das Fagott stig­ma­ti­siert, es hat den Ruf, ein biss­chen grob, derb und humo­ris­tisch zu sein. Stimmt schon – aber es geht so viel mehr. Orchester und Veran­stalter program­mieren viel­leicht einmal in zehn Jahren ein Fagott­kon­zert, Klari­nette viel öfter, von Violine oder Klavier ganz zu schweigen. Das finde ich schade, denn das Publikum reagiert immer freudig über­rascht und begeis­tert. Wenn schon, dann wird Mozart gewünscht. Hummel und Vanhal sind nicht so bekannt, ihre Musik lohnt sich aber. Die Behaup­tung, das Fagott habe kein Reper­toire, nervt mich: Es gibt allein 39 Konzerte von Vivaldi! Johann Chris­tian Bach, Michael Haydn, später Franz Berwald. Außerdem spiele ich Urauf­füh­rungen, allein in diesem Jahr zwei: Bruno Dele­pelaire, Solo-Cellist der Berliner Phil­har­mo­niker, hat ein Konzert für mich kompo­niert, und auch mein Mann, der Horn­so­list Félix Dervaux. Er hatte auch schon ein Doppel­kon­zert für uns beide geschrieben. Es ist unsere Aufgabe, das Spek­trum zu erwei­tern, statt das Reper­toire immer weiter schrumpfen zu lassen. Es muss auch nicht jeden Tag eine Mahler-Sinfonie sein.

Sie haben ihre letzten beiden Alben auch selbst diri­giert.

Beson­ders meine Aufnahme mit dem Mozar­te­u­mor­chester habe ich als Kammer­mu­sik­pro­jekt empfunden: immer mit Augen­kon­takt, als stän­diges Geben und Nehmen, ein direktes Mitein­ander. Es gibt Vor- und Nach­teile des „Play & Conduct“, aber mensch­lich ist es beglü­ckend, weil jeder stärker invol­viert ist und größere Verant­wor­tung trägt. Im Diri­gieren habe ich natür­lich nicht die gleiche Erfah­rung wie als Fagot­tistin, aber es fühlt sich ganz natür­lich für mich an, ich habe es ja auch im Studium schon gemacht. Es ermög­licht ein anderes Level des Musi­zie­rens: Ich habe das Gefühl, noch tiefer in die Musik einzu­dringen, mit den Musi­kern ein gemein­sames Ziel zu verfolgen und zu verwirk­li­chen. Das eröffnet wunder­bare Möglich­keiten.

Fotos: Co Merz