Freemuse
Zensiert, verfolgt, getötet – Kunst(un)freiheit heute
von Maria Goeth
15. Februar 2019
Die Organisation Freemuse kämpft um die internationale Freiheit der Kunst. Ist ein Sieg möglich?
Sie sind zu zwölft, bald sogar zu fünfzehnt. Sie kommen aus Dänemark, sitzen inzwischen aber auch in Serbien, Marokko und Nigeria. Unterstützer und Kontaktpersonen haben sie auf der ganzen Welt. Und sie haben ein großes Ziel: Kunstfreiheit mit allen Mitteln zu verteidigen und Verstöße gegen sie zu dokumentieren und öffentlich zu machen. Das ist Freemuse, eine 1998 gegründete internationale Organisation. Ich spreche mit Geschäftsführer Srirak Plipat.
Zwei Drittel aller Verstöße gegen die musikalische Freiheit wurden von Regierungen begangen.
Im Jahr 2017 wurden
63 Musiker Opfer von Zensur
2 getötet
4 entführt
22 angegriffen
31 verhaftet
Wann immer die freie Meinungsäußerung beschnitten wird, trifft es meist gleichzeitig auch die Musik. Den Untersuchungen von Freemuse zufolge waren in den vergangenen Jahren Musiker am stärksten von Zensur betroffen, gefolgt von Filmemachern und Bildenden Künstlern. „Musik ist ein mächtiges Kommunikationswerkzeug. Und sie kommuniziert über die Gefühlsebene. Sie lässt den Hörer direkt teilhaben, während man zum Beispiel beim Film als Betrachter doch etwas außerhalb bleibt“, beobachtet Pripat. Deshalb gebe Musik so oft Anlass zur Verfolgung.
Aktuelle Beispiele seien etwa der kurdische Musiker Ferhat Tunç, der immer wieder über sein Ideal einer demokratischen Gesellschaft singt. Er ist Mitglied der Partei DBP, die sich für die Interessen der kurdischen Minderheit einsetzt. Deshalb wurde er im September in Istanbul wegen „Terrorpropaganda“ zu einem Jahr und elf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. „Das ist unvereinbar mit internationalen Menschenrechten!“ proklamiert Pripat.
Dann wäre da noch der russische Rapper Husky – weil seine Texte angeblich zu Kannibalismus aufrufen zu elf Tagen Haft verurteilt. [Im Rap sieht Präsident Vladimir Putin insgesamt einen bekämpfungswürdigen Mix aus „Sex, Drogen und Protest“, Anm. d. Red.]. Oder der ägyptische Künstler Ramy Essam, der aus seinem Heimatland fliehen musste und nun nicht zurück kann, weil er ein Gedicht für seine Liedtexte benutze, das für eine offenere Gesellschaft plädiert. [2011 trat er außerdem während der ägyptischen Revolution auf dem Tahrir-Platz in Kairo auf, Anm. d. Red]
„Etwa 90 Prozent der Musik wird wegen ihres Textes zensiert“, analysiert Pripat. Manchmal reiche aber auch der reine Gebrauch einer bestimmten Sprache zur Zensur, so etwa die Verwendung der Sprache Ndebele in Zimbabwe wegen Stammeskonflikten, aber auch des Joik-Gesangs – einer Art Jodler der Samen – in Norwegen, weil er angeblich Unglück bringt.
Top 5 der Länder mit Musikzensur 2017 (nach Anzahl der Fälle)
1. Spanien
2. Ägypten
3. China
4. Mexiko
5. Iran und USA
Neben diesen offenkundigen Formen von Zensur gibt es etliche Grauzonen, die Freemuse ebenfalls versucht zu erfassen. „Natürlich haben Politik und Institutionen das Recht, Kunstprojekte auszuwählen, die sie finanziell unterstützen wollen, solange nicht nachgewiesen werden kann, dass Entscheidungen nach Partei‑, Rassen- oder Religionszugehörigkeit getroffen werden“, erklärt Pripat. „In der Vergangenheit konnte Freemuse aber zum Beispiel in Osteuropa beobachten, wie Politiker ihren Einfluss nutzten, um Führungspersonal in Kulturinstitutionen zu kündigen und durch Personen auf ihrer politischen Linie zu ersetzen.“
Und natürlich könne man auch durch finanzielle Unterstützung beziehungsweise Nicht-Unterstützung politisch unerwünschte Projekte ausbooten – eine gefährliche Form der Zensur, weil sie schwer aufzuspüren ist. Auch in Deutschland herrscht nach Pripats Beobachtungen bei den Institutionen Zurückhaltung beispielsweise dabei, regierungskritische Kunst zu unterstützen.
Gründe für Musikzensur weltweit
48% politisch
23% wegen „Unanständigkeit“
14% religiös
8% Hassrede
„Grundsätzlich haben die meisten Fälle von Kunstzensur in Deutschland etwas mit Antisemitismus oder Antiisraelismus zu tun, was aufgrund der Geschichte nachvollziehbar ist“, erläutert Pripat. Letztes Jahr wurde die schottische Erfolgsband Young Fathers bei der Ruhrtriennale ausgeladen, da diese sich nicht von der israelkritischen sogenannten BDS-Kampagne distanzieren wollte. „Musiker aufgrund ihrer politischen Haltung Auftrittsverbot zu erteilen ist gegen internationale Menschenrechtsstandards“, betont Plipat.
Aber was, wenn beispielsweise antisemitische oder rassistische Inhalte in der Kunst vermittelt werden? Gibt es positive Formen von Zensur? Plipat definiert die Grenze der Kunstfreiheit mit der sogenannten „Hassrede“, die drei Komponenten hat: 1. Sie richtet ihren Hass gegen eine ganz bestimmte Gruppe (z.B. Religion, Rasse, sexuelle Orientierung oder sonstige Minderheit); 2. Diese Gruppe muss gezielt diskriminiert werden; 3. Es wird meist direkt zu Gewalt ermutigt. „Wenn wir zum Beispiel einen schlechten Film anschauen und – auch mit wirklich starken Worten – sagen, wie grauenvoll er war, ist das noch keine Hassrede. Oft singen Menschen Texte, mit denen wir uneins sind. Aber wir müssen diese Menschen schützen, auch wenn wir deren Meinung nicht teilen“, so Plipats Überzeugung.
In Saudi Arabien dürfen Frauen nicht öffentlich vor Männern auftreten, im Iran dürfen sie überhaupt nicht vor Männern auftreten.
In Europa, wo die Zensurlage insgesamt etwas besser sei, hapert es in Sachen Gender-Gleichheit. Plipat präzisiert: „Frauen wird der Weg zur künstlerischen Freiheit noch immer verwehrt! Sei es durch Chancen-Ungleichheit oder sexuelle Belästigung. Selbst in der klassischen Musik: In der 150-jährigen Geschichte der Wiener Philharmoniker gab es gerade mal eine Dirigentin.“
Und Srirak Plipats Blick in die Zukunft? „Es wird noch schlechter werden, bevor es besser wird!“ In Nordamerika und in mindestens 13 Ländern Europas sind rechte Gruppierungen im Aufstieg begriffen, während der Zustand in den traditionell repressiven Ländern wie Iran, China und Russland unverändert bleibt. In liberalen Ländern wie Frankreich oder Spanien hat sich die Situation in den letzten zwei Jahren massiv verschlechtert. Plipat bleibt dennoch optimistisch: „Wir werden noch viel härter arbeiten müssen, bevor es wieder besser wird!“
Statistiken und Zahlen entstammen dem Bericht „The State of Artistic Freedom 2018“ von Freemuse. Der Bericht 2019 ist derzeit im Entstehen und erscheint voraussichtlich im April auf www.freemuse.org.