KlassikWoche 08/2024

Wo bleibt das Klassik-Radio? Und wo ist Frau Haane?

von Axel Brüggemann

19. Februar 2024

Funk­stille im Radio, eine schwie­rige Suche in Berlin, eine Nach­be­trach­tung der Fest­wo­chen-Absage und ein Buch-Tipp für junge Ohren

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit Funk­stille im Radio, einer schwie­rigen Suche in Berlin, einer Nach­be­trach­tung der Fest­wo­chen-Absage und einem Buch-Tipp für junge Ohren.

Klassik-Funk­stille beim rbb?

Ist das das Ende der Klassik im Radio? Jörg Thadeusz wird vom 2. April an die Morgen­strecke beim Sender rbbKultur über­nehmen (von 6 bis 10 Uhr) und damit das kluge Kultur­pro­gramm des rbb durch eine Morning-Show ablösen. Aber das ist noch nicht alles, denn der Sender gibt sich auch einen neuen Namen: aus „rbbKultur“ wird „radio3“. Wellen­chefin Doro­thea Hacken­berg erklärte im Tages­spiegel, dass in diesem Programm weniger Klassik gespielt werden soll. Ihre Worte machen Angst: „Wir stre­ben einen anspruchs­vol­len Mix ver­schie­de­ner Gen­res an, Jazz, Soul, aus­ge­wählte Sin­ger­Song­wri­ter. (…) Wir wis­sen aus Befra­gun­gen, dass viele Men­schen Klas­sik vor allem zur Ent­span­nung hören. Wenn also nach einem Bei­trag über mora­li­sche Vor­be­halte gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen Vivaldi gespielt wird, ent­steht für die Leute ein emo­tio­na­les Hin und Her, das wir ihnen erspa­ren möch­ten.“ Das Motto des neuen öffent­lich-recht­li­chen Kultur­ra­dios scheint also zu sein: „Bloß keine Aufre­gung!“ Klassik wird zum Tran­qui­lizer. Nun warten wir noch auf den ange­kün­digten Zusam­men­schluss der regio­nalen Kultur­wellen im ARD-Abend­pro­gramm und die voll­kom­mene Elimi­nie­rung alles Komplexen aus den Programmen. Aber hey, Ihr Leute beim rbb: diese Art von Kuschel-Radio machen private Sender längst viel besser. Bleibt für anspruchs­volle Klassik-Gespräche bald etwa nichts anderes mehr als „Alles klar, Klassik“? 

Helfen Sie Radio Stephansdom!

Echte, gute Klassik im klugen Dialog mit Künst­le­rinnen und Künst­lern sendet seit Jahren das öster­rei­chi­sche Radio Klassik Stephansdom. Doch das Konzept ist nicht mehr trag­fähig, da auch die Erzdiö­zese ihren Kultur­auf­trag nicht mehr ernst nehmen kann oder will. Eine breit ange­legte Spen­den­kam­pagne wurde ins Leben gerufen.

Der Tod und die Musik

Ausge­ruhte Gespräche über Tabu­themen der Klassik hören Sie im Podcast „Alles klar, Klassik?“. Diese Woche geht es um den Tod und die Musik. Können wir in der Musik das Sterben lernen? Wie schauen wir im Ange­sicht des Todes auf die Kunst? Welchen Trost kann die Musik uns geben? Ich treffe den Diri­genten Roberto Pater­nostro zu einem sehr privaten und intimen Gespräch. Pater­nostro hat ernst­haft Krebs und kämpft, um ihn zu besiegen. Welche Rolle spielt dabei die Musik? Kann die Musik helfen? Oder verliert sie im Ange­sicht des Todes ihren Wert? Antworten gibt auch Hermann Reigber: Er ist geschäfts­füh­render Akade­mie­leiter am LMU Klinikum in München in der Klinik und Poli­klinik für Pallia­tiv­me­dizin. Also jemand, dessen Alltag es ist, Ster­bende auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Eine Stunde über die Kraft des Lebens, die Kunst des Ster­bens – und die Rolle der Musik (hier für alle Player, oder für Spotify).

Mäkelä in Baden-Baden

Ist das die Rettung oder pure Verzweif­lung? Wenn die Berliner Phil­har­mo­niker mit ihre Oster­re­si­denz Baden-Baden 2026 in Rich­tung Salz­burg verlassen, werden sie nun durch zwei Orchester ersetzt: Das König­liche Concert­ge­bou­wor­kest Amsterdam unter Leitung seines desi­gnierten Chef­di­ri­genten Klaus Mäkelä soll den sympho­ni­schen Teil abde­cken, das Mahler Chamber Orchestra unter Leitung von die Opern­auf­füh­rungen. Außerdem will das auf Hoch­glanz getrimmte Baden-Baden plötz­lich auch „Vermitt­lungs­ar­beit“ und „Salons“ veran­stalten und den „Spielort Baden-Baden“ ausbauen. Kommt da nicht jemand etwas spät zur parti­zi­pa­tiven Klassik-Party?

Keiner will mit Mall­witz

Es mag sein, dass Baden-Baden sich auf Joana Mall­witz freut, die Berliner bekommen derzeit die Kehr­seite ihres Enga­ge­ments zu spüren. Mall­witz wurde als Chefin des Konzert­haus­or­ches­ters geholt, kann aber auch über die Inhalte im Konzert­haus mitent­scheiden. Dass lässt einer zukünf­tigen Inten­dantin oder einem Inten­danten an ihrer Seite nur wenig Spiel­raum. Auch deshalb gestaltet sich die Suche nach einem Nach­folger für , der Berlin in Rich­tung Luzern verlassen wird, allmäh­lich offenbar drama­tisch. Die Anrufe der Politik bei Inten­dan­tinnen und Inten­danten in der ganzen Welt sollen inzwi­schen ziem­lich verzwei­felt klingen. Offen­sicht­lich haben nur wenige Lust, im Schatten der Chef­di­ri­gentin, umzin­gelt von Deut­sche Gram­mo­phon-PR, mittel­mä­ßiger künst­le­ri­scher Leis­tung und großem Ego-Programm die tägliche Fleiß­ar­beit zu erle­digen. Namen aus der zweiten Reihe, die als Manage­ment-Abwickler in Frage kämen, sollen – so hört man – der Diri­gentin nicht genehm sein. Mall­witz sucht jemanden auf „Augen­höhe“ … na dann: viel Glück! Immerhin: die letzte Auswahl­runde läuft. 

Kleine Nach­be­rei­tung: Wiener Fest­wo­chen 

Nachdem wir an dieser Stelle vor zwei Wochen exklusiv das State­ment von veröf­fent­licht hatten, die nicht in einem Rahmen mit bei den Wiener Fest­wo­chen auftreten wollte, ist viel passiert. Inten­dant Milo Rau hat Curr­entzis inzwi­schen ausge­laden, viele Medien haben berichtet, selbst die New York Times zeigt Verständnis für Lyniv. Öster­reichs natio­na­lis­ti­sche Partei, die FPÖ, kriti­sierte die Ausla­dung indes und soli­da­ri­siert sich mit Curr­entzis. Passt zum aktu­ellen Böhmer­mann-Song mit Toni Teller­lift. Und, klar: Auch erboste sich, wie es Oksana Lyniv wagen könne, Forde­rungen zu stellen – dafür blieb ihm aller­dings nur ein magerer Platz in den Leser­brief-Spalten der „Presse“. Eine tragi­sche Form des Bedeu­tungs­ver­lustes.

Hier noch einige Gedanken zum Thema: FRAGE 1: Wo ist Sabrina Haane? Das offi­zi­elle State­ment des SWR zur Ausla­dung des Orches­ters hat Programm­di­rek­torin Anke Mai abge­geben. Das wundert, denn es hieß stets, Programm und Orchester seien unab­hängig. Warum gibt es keine Äuße­rung von der Orchester-Gesamt­lei­terin Sabrina Haane? Viel­leicht, weil ihre Fatal-Kommu­ni­ka­tion der letzten Monate dafür gesorgt hat, dass das Image des SWR-Orches­ters immer weiter bergab ging? Muss der SWR jetzt schon seine Verant­wort­li­chen verste­cken? FRAGE 2: Hat Milo Rau richtig gehan­delt? Keine Frage, der Fest­wo­chen-Inten­dant hat die Situa­tion falsch einge­schätzt. Aber er hat schnell reagiert, Fehler einge­standen und strin­gent gehan­delt. Das ist im Kultur-Zirkus nicht immer selbst­ver­ständ­lich. Viel­leicht ging er wirk­lich davon aus, dass man mit Curr­entzis reden könne. Nun musste er im Deutsch­land­funk einge­stehen, dass der Diri­gent nicht einmal mit ihm gespro­chen hätte. Das ist das wirk­liche Problem des SWR: ein Chef­di­ri­gent, der dem Orchester auf so vielen Ebenen schadet. FRAGE 3: Wie war die Bericht­erstat­tung? Sehr fair und objektiv, die meisten Zeitungen in Deutsch­land, Frank­reich, Italien und den USA zeigten Verständnis für Lyniv. Einige warfen den Fest­wo­chen vor, sich von der Diri­gentin erpressen zu lassen. Aber wie hätte man reagieren sollen, wenn Curr­entzis nicht bereit ist zu reden? Frieden zu schließen, mit jemandem, der den Krieg tabui­siert, ist schwer. FRAGE 4: Wie geht es weiter? Die Absage in Wien war nur ein weitere Eklat in der Causa SWR und Curr­entzis. Das Fest­halten eines öffent­lich-recht­li­chen Senders an einem Diri­genten, dessen russi­sches Ensemble von jenen Firmen unter­stützt wird, die auch die Bomben auf die Ukraine finan­zieren, wird nun noch breiter geführt werden. Es geht schließ­lich nicht allein um Curr­entzis‘ Schweigen, sondern um seine viel­fäl­tigen Verstri­ckungen in Russ­land, um seine öffent­li­chen Auftritte und Abhän­gig­keiten, die er selber geschaffen hat. Auch darum, dass er noch nach der Anne­xion der Krim die russi­sche Staats­bür­ger­schaft haben wollte. Eine Debatte, die sicher­lich auch wieder die Salz­burger Fest­spiele errei­chen wird. 

Lasst die Zauber­flöte in Ruhe!

Vor kurzem haben wir noch über das Fake einer „gegen­derten Zauber­flöte“ berichtet. Nun über­holt die Realität die Parodie. Der Regis­seur und lang­jäh­rige Opern­in­ten­dant der Wupper­taler Bühnen Bert­hold Schneider hat die Edition „Critical Clas­sics“ ins Leben gerufen, in der er alter­na­tive Text­vor­schläge für Opern­klas­siker macht. Als erstes nimmt sich Schneider Mozarts „Zauber­flöte“ vor und da – natür­lich – der Figur des Mono­st­atos. Aber ist es nicht klar, dass sich jeder, der sich mit dieser Oper ausein­an­der­setzt, eh Gedanken über diese Fragen machen muss? Dass eine histo­ri­sche Partitur immer auch aus ihrer Zeit ins Heute über­setzt werden muss? Durch Bear­bei­tungen, durch Regie oder andere Einord­nungen? Ich habe neulich mit einem Freund über die Rolle des Mono­st­atos gespro­chen, sein Argu­ment hat mich über­zeugt: Hat Mozart hier nicht als einer der ersten über­haupt einen Schwarzen auf die Bühne gestellt? Und zwar mit typi­scher Mozart-Empa­thie und genau der Proble­matik, dass Mono­st­atos durch sein Umfeld diskri­mi­niert wird? Hat Mozart ihm nicht wunder­schöne Musik gegeben, so wie übri­gens auch dem Serail-„Bösewicht“ Osmin? Können wir bitte mit der Kunst selber auf diese Fragen antworten, mit dem Spiel, der Krea­ti­vität – und nicht mit neuen Editionen? 

Perso­na­lien der Woche

Final­mente! Eigent­lich war die Sache schon lange geritzt, alles was noch fehlte, war ein offi­zi­eller Vertrag. Nun ist er da, und der briti­sche Diri­gent Leo McFall wird kommende Saison auch ganz offi­ziell Gene­ral­mu­sik­di­rektor des Staats­thea­ters Wies­baden. Den Neuan­fang der Doppel­in­ten­danz von Doro­thea Hart­mann und Beate Heine nach dem Abschied von Kai Uwe Laufen­berg steht also nichts mehr im Wege. +++ Wir hatten letzte Woche darüber berichtet, dass Lydia Grün, die Präsi­dentin der Musik­hoch­schule München das Ansinnen von Dieter Borchmeyer abge­lehnt hat, den unbe­kannten Wagner im eins­tigen „Führer-Bau“ der Musik­hoch­schule aufzu­führen – aus histo­ri­schen Bedenken und aus Bedenken auf Grund der Rolle Borchmeyers in der Causa . Ich fand ihre Entschei­dung richtig und gut. Der Direktor des Hauses Wagner in Bayreuth, , ist da aller­dings anderer Meinung. Er hat einen Brief geschrieben, der hier zu lesen ist. +++ Chris­tian Höppner, Gene­ral­se­kretär des Deut­schen Musik­rats scheidet am 29. Februar aus seinem Amt. Kommt nun ein radi­kaler Aufbruch und endlich die nötige Moder­ni­sie­rung der Insti­tu­tion?

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Viel­leicht ja hier: Die OceanKIDS sind los – ein wunder­bares neues Geschichts-Bilder­buch für Kinder. Ein modernes Märchen über Gemein­schafts­sinn, Umwelt­be­wusst­sein und das globale Mitein­ander. Das Beson­dere: Die Reise durch die Welt ist eine Idee der „Die Nixen“, den Musi­ke­rinnen , (Geige) Katha­rina Wild­hagen (Geige), Kris­tina Menzel-Labitzke (Viola) und Nikola Spin­gler (Cello). Der eigent­liche Strom der Geschichte ist die Musik, lässige Klassik-Arran­ge­ments, Rap-Songs, die sich nicht anbie­dern, humor­volle Lieder zum Mitma­chen – immer auf höchster Qualität. Dass das ganze vorliest und Julia Gins­bach als Illus­tra­torin gewonnen wurde, macht das Buch zu einem Gesamt­kunst­werk. Nur, die MuBiBu-App – die ist noch ein wenig ausbau­fähig! Unbe­dingte Lese- und Höremp­feh­lung. 

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de