KlassikWoche 05/2020

Von Tyrannen und Klassik-Katzen

von Axel Brüggemann

27. Januar 2020

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

wer glaubt, dass es nicht balla-balliger geht als im letzten News­letter – doch, das geht! Der schlechte Geschmack fand in diese Woche seinen Super­lativ, unter anderem mit einer Preis­ver­lei­hung an einen Diktator. Außerdem: Rätsel­raten um eine Sopra­nistin, eine Play­list für Katzen und ein viel zu teures Klo. 

WAS IST 

Bereits in Ägypten: Der Veran­stalter des Semper­Opern­balls Hans-Joachim Frey bei Diktator Al-Sisi

DRESDEN UND DIE DIKTA­TOREN

Im letzten News­letter hatten wir über das Hick-Hack beim Semper­Opern­ball berichtet: Veran­stalter Hans-Joachim Frey hat zunächst die arme­ni­sche Sängerin Ruzan Mant­as­hyan einge­laden, sie dann – angeb­lich auf Druck von Netrebko-Mann (er ist aus Aser­bai­dschan) wieder ausge­laden, bevor der Ball bekannt gab, dass sie nun doch wieder auf der Künst­ler­liste stünde. Alles wieder Friede-Freude-Opern­ku­chen? Von wegen! Der Bass und der Bariton Thomas Quast­hoff haben Frey auf ihren Social Media Kanälen scharf kriti­siert. Bei mir hat sich die Semper­oper gemeldet: hörbar erschro­cken über das, was am eigenen Haus vorgeht, und mit der eindring­li­chen Bitte, darauf hinzu­weisen, dass die Oper mit dem Ball nichts zu tun habe – er sei ledig­lich eine Fremd­ver­an­stal­tung. Wer glaubt, dass der Ball ein von Wladimir Putin gesteu­ertes Tanz­ver­gnügen am eins­tigen Spio­nage-Standort des Kreml-Chefs in der DDR sein könnte, wird nun durch Freys letzten Fauxpas beflü­gelt: Frey will den St. Georgs-Orden des Opern­balls an den ägyp­ti­schen Staats­chef und Diktator Al-Sisi vergeben, der die Oppo­si­tion unter­drückt, die Versamm­lungs­frei­heit einschränkt und in Libyen auf der Seite von General Haftar steht – also wieder ein Putin-Freund. Liebe Semper­oper: Sich zu distan­zieren ist das eine, den eigenen Laden an derar­tige Bälle zu vermieten das andere. Zur Entschei­dungs­hilfe: Selten gab es mehr zustim­mende Leser­briefe als zu meiner Erklä­rung, mich nicht von Frey als Juror nach Sotschi einladen zu lassen. Also, bitte: Mehr Mut in Dresden!

RÄTSEL­RATEN UM

Nichts Genaues weiß man nicht. Fakt ist: Der -Isolde Petra Lang wurde die Probe­zeit als Leiterin der Gesangs­klasse der Akademie für Tonkunst in gekün­digt. Niemand weiß, warum – die Akademie beruft sich auf ihre Schwei­ge­pflicht, Lang will nicht spre­chen. Ihre Studenten indes protes­tieren, wie Jens Joachim in der Frank­furter Rund­schau berichtet: „‚Es ist noch Lang nicht vorbei!‘, ‚#Save­Petra‘ und ‚Hilfe! Unsere Dozentin wird gefeuert!‘, stand auf Protest­pla­katen, die auf dem Platz vor dem Darm­städter Kongress­zen­trum zu sehen waren. Studie­rende der Akademie für Tonkunst machten jüngst Besu­cher des Neujahrs­emp­fangs der Stadt darauf aufmerksam, dass ihrer Dozentin Petra Lang zum 31. Januar gekün­digt worden ist. Am Mitt­woch waren die Studie­renden auch im Staats­theater unter­wegs, um sich für eine Weiter­be­schäf­ti­gung Langs einzu­setzen.“ – bislang blieb all das ohne Erfolg. Noch immer schweigen beide Seiten. 

PINKELN IN BAYREUTH

Pinkeln wird für Touristen des Bayreu­ther Fest­spiel­hauses zukünftig zu einem logis­ti­schen Problem: Das alte Toilet­ten­häus­chen (in dem auch der Buch­laden unter­ge­bracht war) ist bereits abge­rissen, ein neues Mehr­zweck-Gebäude sollte für 540.000 Euro entstehen. Doch die Kosten steigen immer weiter – 130.000 Euro Mehr­kosten werden erwartet. Nun hat die Stadt das Projekt erst einmal auf „Pause“ gestellt. 

WAS WAR

Klassik macht auch Ihre Katze glück­lich – sagt jeden­falls Diri­gent

NÉZET-SÉGUINS SCHNUR­RENDE PLAY­LIST

Für ein Tier­heim in Penn­syl­vania hat der Diri­gent Yannick Nézet-Séguin eine Play­list für Katzen veröf­fent­licht. Die Liste besteht aus 326 Titeln klas­si­scher Werke, die der derzei­tige Chef­di­ri­gent des Phil­adel­phia Orchestra auch kommen­tiert hat. So wären Chopins Nocturnes, gespielt von Claudio Arrau, ideal für ein Nach­mit­tags­schläf­chen von Katzen. Impres­sio­nis­ti­sche Musik aus Frank­reich von Debussy, Fauré und Ravel würden zur Lieb­lings­musik seiner eigenen drei Katzen gehören, so Nézet-Séguin. Aber es geht in der Play­liste nicht nur anschmiegsam zu: So beinhaltet sie eben­falls Auszüge aus Stra­win­skys Sacre du prin­temps, welche zu Mäuse­jagd-Spielen und Herum­tollen anregen sollen.

KHUON SPÜRT KULTUR­FEIND­LICH­KEIT DER AfD

Der Präsi­dent des Deut­schen Bühnen­ver­eins, Ulrich Khuon, kriti­siert die AfD in einem Inter­view mit dem SWR. Die AfD beziehe eine „klare Posi­tion der Kunst­feind­lich­keit“. Eines der poli­ti­schen Mittel bestehe darin, die öffent­li­chen Einrich­tungen mit Anfragen zu über­ziehen, mit dem Ziel, dass „eine Schere im Kopf“ entstehe, man selber vorsich­tiger werde, um nicht anzu­ecken. In Russ­land oder habe sich bereits gezeigt, dass eine solche Methode erfolg­reich sein könne, wobei sich die Inten­danten in nach seiner Einschät­zung nicht einschüch­tern ließen, so Khuon. Zugleich stelle die AfD Anträge auf Mittel­kür­zungen, wenn Kunst­ein­rich­tungen kein Entge­gen­kommen zeigten. „Die AfD versucht auch direkt in die Kunst einzu­greifen, einzelne Insze­nie­rungen zu verhin­dern oder zu verän­dern.

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PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Bitte anschauen! Der SWR hat den Kompo­nisten für eine große Doku besucht und spricht mit ihm natür­lich über Musik – aber auch über seine Krebs­krank­heit. Und er ist Prag­ma­tiker wie immer: „Ja, soll ich mich jetzt zum Sterben zurück­lehnen? Ich fühle mich nicht so … es geht mir gut. Soll ich jammern? So bin ich nicht konfi­gu­riert!“ Der Film trägt den Titel „Das Vermächtnis“ und wurde von Victor Gran­dits und Magda­lena Adugna gemacht. +++ Der erst 26-jährige Diri­gent Thomas Guggeis wird 2020 Staats­ka­pell­meister in Berlin. +++ Anne Sophie-Mutter hat ein Holly­wood-Geheimnis geleaked: Welches Orchester wird den Sound­track zu Steven Spiel­bergs Verfil­mung der West Side Story über­nehmen? Es sind die Phil­har­monic mit . +++ Die Brat­schistin bekommt den Ernst von Siemens Musik­preis 2020. +++ Sieg­wald Bütow wird im Sommer 2020 neuer Direktor des Mozar­te­u­mor­ches­ters Salz­burg. +++ Die künst­le­ri­sche Leitung des neuen Festi­vals Bayreuth Baroque wird Max Emanuel Cencic über­nehmen. Das Barock­fes­tival findet erst­mals vom 3. bis 13. September 2020 im Mark­gräf­li­chen Opern­haus statt. +++ Irgendwie war er auch ein Klas­siker: Monty-Python-Gründer und ‑Regis­seur Terry Jones ist mit 77 Jahren gestorben. +++ Er war die große, charak­ter­liche Stimme meiner ersten Bayreuth-Besuche: Der einma­lige und mensch­lich wunder­bare Sänger Franz Mazura ist im Alter von 95 Jahren gestorben. 

POST VON ROŠČIĆ

Der desi­gnierte Inten­dant der , Bogdan Roščić, hat mir geschrieben – und dabei kurzer­hand die halben in CC gesetzt:-) Anlass seiner Mail war der letzte News­letter. Roščić schrieb aus „hygie­ni­schen Gründen“ (was auch immer er mit diesem histo­risch besetzten Wort meint). Sein wich­tigster Punkt: Dass Premieren in siebenmal hinter­ein­ander gespielt werden sollen, sei „voll­kommen aus der Luft gegriffen“. Warten wir einfach auf die ersten, konkreten Spiel­pläne – die Luft, die uns den Plan zuge­weht hat, umweht Roščić jeden­falls auch. Fakt ist: Die Staats­oper wird sich haupt­säch­lich struk­tu­rell verän­dern, und die Nerven scheinen schon vor Amts­an­tritt ziem­lich blank zu liegen. In seiner Mail erklärte der desi­gnierte Inten­dant mir noch die jedem bekannten Unter­schiede von Opern­or­chester und Wiener Phil­har­mo­ni­kern. Was er nicht schrieb und was ich im letzten News­letter eben­falls vergaß, ist, dass das Staats­opern­or­chester in Zukunft nicht nur durch den Concentus Musicus Konkur­renz bekommt, sondern auch durch « (eine Idee, die Roščić von Markus Hinter­häuser in Salz­burg abge­kup­fert hat). Wie auch immer: Die Wiener Phil­har­mo­niker haben derweil eine rauschende Ball­nacht mit ihren künst­le­ri­schen Freunden gefeiert – nach­zu­schauen: hier.

Manchmal – gerade bei Gegen­wind – ist es nötig, die Ohren steif zu halten.

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de